Impfungen während einer Immuntherapie: Welche Strategien eignen sich für MS-Patienten? Erste europäische Konsensuserklärung

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

18. August 2023

Seit bei multipler Sklerose (MS) hochwirksame Immuntherapien zur Verfügung stehen, stellt sich für viele Ärzte die Frage, wann – und mit welchem Vakzin – sie Patienten impfen sollten. Deshalb haben das European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis (ECTRIMS) und die European Academy of Neurology (EAN) Impf-Empfehlungen erstellt, die unterschiedliche krankheitsmodifizierende Therapien berücksichtigen [1,2].

 
Wir glauben, dass wir durch die Umsetzung dieser Empfehlungen die Impfstrategien optimieren, die Risiken minimieren und die bestmöglichen Ergebnisse für Menschen mit MS erzielen können. Dr. Mar Tintoré
 

„Wir glauben, dass wir durch die Umsetzung dieser Empfehlungen die Impfstrategien optimieren, die Risiken minimieren und die bestmöglichen Ergebnisse für Menschen mit MS erzielen können“, erklärt die ECTRIMS-Präsidentin Dr. Mar Tintoré in einer Meldung.

So wurde das Konsensus-Dokument erstellt

Die europäische Arbeitsgruppe befasste sich mit der Sicherheit und Wirksamkeit von Impfstoffen, mit globalen Impfstrategien und mit Impfungen bestimmter Patientengruppen wie Kindern, Schwangeren, älteren Patienten und Menschen, die in Risikogebiete reisen.

Grundlage der Arbeit waren systematische Literaturrecherchen. Die Autoren haben die Qualität der Evidenz von Publikationen anhand des Oxford Centre for Evidence-Based Medicine Levels of Evidence bewertet. Nach 3 Konsensrunden einigten sie sich auf insgesamt 53 Empfehlungen zu Impfungen.

Kernaussagen des europäischen Konsensus-Dokuments

  • Bei MS-Patienten mit oder ohne krankheitsmodifizierende Therapie (DMT) sind Impfstoffe nicht mit einem erhöhten Risiko für Schübe oder Behinderungen verbunden.

  • MS-Patienten, die Sphingosin-1-phosphat-Rezeptor-Modulatoren bzw. Anti-CD20-Antikörper erhalten, bilden im Vergleich zu unbehandelten Patienten oder Patienten, die Interferone bekommen, weniger Antikörper nach Impfungen. Womöglich reicht der Schutz gegen Infektionen nicht aus.

  • Es gibt nur wenige Daten über den Schutz nach Impfungen bei Patienten, die Alemtuzumab bzw. Cladribin erhalten. Aufgrund der Wirkmechanismen ist mit einem verminderten Schutz zu rechnen.

  • Die Autoren empfehlen eine Bewertung des Impfstatus bei allen MS-Patienten, unabhängig von den Therapieplänen, um Risiken zu minimieren. Idealerweise sollte die Impfung zum Zeitpunkt der Diagnose oder in frühen Stadien der Erkrankung durchgeführt werden.

  • Bei Patienten mit Schub sollte die Impfung so lange aufgeschoben werden, bis die akuten Beschwerden abgeklungen sind oder sich das Krankheitsbild stabilisiert hat.

  • Bei nicht behandelten MS-Patienten oder bei Patienten, die eine immunmodulatorische Behandlung erhalten oder bei denen Ärzte den Beginn einer immunsuppressiven Therapie planen, gilt:

    • Inaktivierte Impfstoffe können jederzeit verabreicht werden, idealerweise mindestens 2 Wochen vor Beginn der Behandlung, um eine vollständige Immunantwort zu gewährleisten.

    • Attenuierte Lebendimpfstoffe sollten mindestens 4 Wochen vor Beginn der Behandlung verabreicht werden, bei Ocrelizumab und Alemtuzumab sind es 6 Wochen.

  • Attenuierte Lebendimpfstoffe…

    • können bei MS-Patienten ohne DMT oder bei Personen, die immunmodulatorische Behandlungen erhalten, sicher verwendet werden,

    • sollten bei MS-Patienten, die Dimethylfumarat, Natalizumab Teriflunomid, Sphingosin-1-Phosphat-Modulatoren bzw. Anti-CD20-Antikörper erhalten, vermieden werden,

    •  sollten unter Cladribin und Alemtuzumab vor Wiederherstellung des Immunsystems vermieden werden.

  • Bei Patienten, die kurzzeitig hochdosierte Steroide erhalten, sollten attenuierte Lebendimpfstoffe einen Monat später verabreicht werden. Inaktivierte Impfstoffe sollten idealerweise ebenfalls um einen Monat verschoben werden, können aber jederzeit verabreicht werden.

  • Erwachsene und Kinder mit MS sollten alle Impfstoffe erhalten, die in Empfehlungen für die Allgemeinbevölkerung zu finden sind – in Deutschland sind das die STIKO-Empfehlungen.

  • Bei schwangeren Frauen sollten ebenfalls alle nationalen Impfempfehlungen berücksichtigt werden, um potenziellen Infektionen vorzubeugen, die sich stark auf die Morbidität und Mortalität von Müttern und Kindern auswirken.

  • MS-Patienten, insbesondere Patienten, die für eine immunsuppressive Therapie in Frage kommen oder diese erhalten, auch Patienten mit erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen, sollten jährlich gegen Influenza und Pneumokokken geimpft werden.

  • Bei Patienten, die für eine immunsuppressive Therapie in Frage kommen bzw. diese erhalten, sollten folgende Impfstoffe in Betracht gezogen werden:

    • ein humaner Papillomavirus-Impfstoff (HPV) bei Frauen und Männern, für die eine Behandlung mit Alemtuzumab, Fingolimod, Cladribin oder Anti-CD20 vorgesehen ist, unabhängig von ihrem Alter,

    • ein inaktivierter Herpes-Zoster-Impfstoff bei Patienten über 18 Jahren, bei denen eine Behandlung mit hohem Risiko für Herpes-Infektionen geplant ist,

    • ein Hepatitis-B-Impfstoff bei Hochrisikopatienten, insbesondere bei Patienten, bei denen eine Behandlung mit Anti-CD20-Antikörper vorgesehen ist.

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Kommentar

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