Dass eine Frau versucht, ihren Lebenspartner zu töten, ist eher selten, aber zumindest für Juristen, Mitarbeiter von Mordkommissionen und Rechtsmediziner nicht ungewöhnlich. Klassische „weibliche Tatwaffen“ war viele Jahrhunderte lang Gifte aller Art. Eine recht unkonventionelle Tatwaffe hat die Ex-Frau eines 47-jährigen Mannes benutzt. Hamburger Rechtsmediziner schildern den Fall [1].
Der Patient und seine Geschichte
Ein 47-jährige Mann verbringt einen Abend mit seiner Adoptivtochter und seiner Ex-Frau in seiner Wohnung. Als der Mann eingeschlafen ist, nimmt die Ex-Frau eine 65 bis 70 cm lange Bohrmaschine und rammt den Bohrer in das rechte Ohr des Mannes. Der im Bohrfutter eingespannte Bohrer hat eine Länge von 35 cm und einen Durchmesser von 10 mm.
Nach der Tat flieht die Frau. Der Mann rettet sich aus der Wohnung und macht andere auf sich aufmerksam, bevor er bewusstlos wird.
Körperliche und apparative Untersuchungen
Die Ärzte fassen nach der bildgebenden Diagnostik folgende Befunde zusammen:
Wundkanal vom äußeren Gehörgang in Richtung Schädelmitte mit geringer Neigung nach frontal,
knorpeliger Gehörgang zerfetzt,
nach Abrutschen des Bohrers am Mastoid weiterer Verlauf nach schräg vorn-unten,
Verletzung der V. jugularis interna, Ruptur der A. occipitalis und Riss des N. accessorius, zudem Zerstörung des N. hypoglossus und zerfetzter M. stylohyoideus,
Glandula parotis durchbohrt, einzelne Äste des N. facialis intraglandulär zerstört (Folge: eine periphere Fazialisparese).
Therapie und Verlauf
Nach Abschluss der Diagnostik wird der Patient sofort operiert; er überlebt die Verletzungen. Postoperativ entwickelt er ein organisches Psychosyndrom mit Orientierungsstörung, psychomotorischer Verlangsamung und depressiver Verstimmung. Eine armbetonte Hemiparese links mit geringer Spastik bleibt wohl dauerhaft bestehen.
Die unmittelbar nach der Tat geflohene Frau wird per internationalem Haftbefehl gesucht und schließlich festgenommen. Sie gesteht und nennt als Motiv wiederholte sexuelle Gewalt durch ihren Ex-Mann; das Urteil gegen sie ist eine Haftstrafe von 3 Jahren und 4 Monaten.
Diskussion
Verletzungen durch elektrische Bohrmaschinen geschehen in der Regel unbeabsichtigt oder in suizidaler Absicht. Als Tatwerkzeug seien elektrische Bohrmaschinen sowohl für suizidale Handlungen als auch zur „Fremdbeibringung“ von Relevanz, da sie gut zugängig seien und in unterschiedlichen Größen in fast jedem Haushalt vorkämen, schreiben die Rechtsmediziner.
Schwierig sei die Unterscheidung zwischen Verletzungen durch Dritte und Verletzungen in suizidaler Absicht. Als wichtige Aspekte einer Selbstbeibringung sollte außer dem „Vorliegen von aktiven und passiven Abwehrverletzungen oder Probier- und Zauderverletzungen insbesondere die Erreichbarkeit des Eintrittsortes des Suizidwerkzeugs berücksichtigt werden“, lautet ihre Einschätzung.
Im Fall des 47-jährigen Mannes habe vor allem das Fehlen von Abwehrverletzungen den Verdacht eines Suizids bzw. Suizid-Versuches aufkommen lassen. Da der Mann jedoch im Schlaf angegriffen worden sei, hätte er keine Möglichkeiten gehabt, sich zu wehren. Aufgrund der Maße der Bohrmaschine und der Biometrie des Arms des Geschädigten konnten Gerichtsmediziner suizidale Handlungen jedoch ausschließen.
Der Artikel ist im Original erschienen auf Univadis.de.
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Diesen Artikel so zitieren: Fall: Schwere Kopfverletzungen mit einer Bohrmaschine – war es ein Suizidversuch oder doch ein Mordversuch? - Medscape - 28. Aug 2023.
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