Booster für Bakteriophagen-Therapie? Fachgesellschaften arbeiten an einer S2-Leitlinie 

Bettina Micka

Interessenkonflikte

16. August 2023

Leipzig – Eine Therapie, die gezielt und individuell ist und bei der bisher keine nennenswerten Nebenwirkungen bekannt sind – die Bakteriophagen-Therapie bei Infektionen ist ein lohnendes Forschungsfeld, sollte man meinen. Doch während die personalisierte Therapie in anderen Bereichen der Medizin, beispielsweise in der Krebstherapie, als Meilenstein gefeiert wird und Forschungsgelder fließen, hat es die Forschung zur Bakteriophagen-Therapie noch schwer (siehe Kasten).

Doch nun könnte Bewegung in die Sache kommen. Das Problem zunehmender Antibiotika-Resistenzen wird dringlicher. Das Interesse der Politik an dem Thema wächst (siehe Kasten) und es gibt neue, vielversprechende Entwicklungen in der Forschung, die auf dem Kongress für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (KIT) vorgestellt wurden [1].

Wählerische Bakterienkiller

Bakteriophagen sind bekanntlich Viren, die Bakterien infizieren können. In der Bakterienzelle werden dann Phagen produziert und die Zelle schließlich durch Lyse zerstört. Daher eignen sich Bakteriophagen für die Bekämpfung bakterieller Infektionen.

Phagen sind hochspezifisch, d.h. sie befallen fast ausschließlich jeweils nur Stämme einer bestimmten Bakterienart. Die gesunde Bakterienflora eines Patienten bleibt dadurch unbehelligt. Geschätzt 1031 Phagen-Partikel könnte es global geben – überall dort, wo es auch Bakterien gibt. Ein schier unerschöpfliches „Waffenarsenal“ gegen verschiedenste bakterielle Infektionen.

Medizinische Leitlinie als Wegbereiter zur Implementierung der Therapie

Eine Leitlinie soll nun helfen, dieses therapeutische Arsenal für mehr Patienten in Deutschland verfügbar zu machen. Dr. Annika Claßen, Ärztin an der Uniklinik Köln und Wissenschaftlerin des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF e.V.), stellte Hintergründe zu einer geplanten medizinischen Leitlinie „Personalisierte Bakteriophagen-Therapie in Deutschland“ vor.

Die Leitlinie wird aktuell unter Schirmherrschaft der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI) und unter Mitarbeit von 19 Fachgesellschaften und Organisationen entwickelt. Eine Veröffentlichung ist für 2024 geplant. Es handelt sich um eine konsensbasierte AWMF S2-Leitlinie (AWMF Registrier-Nr.: 092-003).

Zunächst bezieht sich die Leitlinie auf regulatorische Aspekte und generelle Prinzipien für die Phagen-Herstellung und -Therapie beim Menschen, etwa (infra-)strukturelle und technische Voraussetzungen für die Herstellung von Phagen-Therapeutika.

Ziel ist es zum einen, durch harmonisierte Empfehlungen die Implementierung einer personalisierten Phagen-Therapie in Deutschland voranzubringen. Zudem sollen Ansatzpunkte für translationale Forschungsprojekte durch Identifikation relevanter Wissenslücken aufgezeigt werden. Sobald mehr Evidenz zu therapeutischen Anwendungen vorliegt, ist auch ein Update der Empfehlungen hinsichtlich der Therapie vorgesehen.

Genetisch veränderte Phagen

Einen innovativen Weg in der Phagen-Therapie geht ein Forschungskonsortium in der Schweiz. In vom schweizerischen Nationalfond (CAUTIphage) und der Hochschulmedizin Zürich (ImmunoPhage) geförderten Projekten wollen Forschende Phagen mittels Gentechnik für die Therapie optimieren.

Als Behandlungsmodell dienen dabei Harnwegsinfektionen wie PD Dr. Lorenz Leitner, Oberarzt in der Neuro-Urologie der Universitätsklinik Balgrist in Zürich auf dem Kongress berichtete.

Vorteil und gleichzeitig ein Problem von Phagen ist, dass sie sehr wirtsspezifisch sind. Vor jeder Therapie müssen also zunächst die individuell für die Infektion des Patienten passenden Phagen gefunden werden. Um einen solchen Match schnell nachweisen zu können, wurde durch die Experten des Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich ein Gen für Nanoluciferase, ein grün fluoreszierendes Protein, in Phagen eingeschleust [3].

Wenn Phagen auf Bakterien treffen, die sie infizieren können, lässt sich in Kultur das grün fluoreszierende Signal nachweisen. Es ist also ein Indikator, dass die passenden Phagen für ein Bakterium gefunden wurden und ein therapeutischer Effekt zu erwarten ist. Ein Reporter-Phagen-Assay dauert von der Urinabgabe des Patienten bis zum Nachweis des Reporterproteins zirka 5 Stunden. Die Sensitivität liegt je nach Bakterium bei 66 bis 81%, die Spezifität bei 97 bis 98%.

In einem nächsten Schritt wurde zudem das tödliche Potential der Phagen erhöht. Dafür nutzten die Forschenden die Gene für Colicin E7, Klebicin M und EC300, so genannte enhanced killing Proteine [4].

Ziel ist es, beide Methoden zu kombinieren: Zunächst werden die passenden Phagen mithilfe des Reportergens identifiziert. Diese Phagen erhalten dann das Gen für das enhanced killing Protein und werden dem Patienten via Katheter appliziert.

Genetisch modifizierte Phagen bieten eine Vielzahl neuer Möglichkeiten. Nicht zuletzt könnten sie auch das Interesse der Pharmaindustrie an der Phagen-Forschung wecken.

Perspektiven für die Phagen-Forschung

Noch sind sehr viele Fragen zur Phagen-Therapie offen – etwa nach dem Titer der Phagen, der Dauer der Behandlung oder der Form der Applikation. Letztlich müsse das für jeden Infekt, für jedes Bakterium herausgefunden werden – so wie es auch bei den Antibiotika sei, so Leitner gegenüber Medscape. Und auch wenn bisher kaum Nebenwirkungen beschrieben seien, fehle es hierzu noch an größeren Studien und einer systematischen Erfassung. Hinzu komme die Frage, ob möglicherweise erst nach längerer Zeit Nebenwirkungen auftreten.

 
Ich habe täglich Anfragen von Patienten. PD Dr. Lorenz Leitner
 

Es könnte also noch einige Zeit ins Land gehen, bis die Therapie einer größeren Anzahl von Menschen zur Verfügung steht. „Ich habe täglich Anfragen von Patienten“, berichtete Leitner. Er muss sie dann auf kommende Studien vertrösten, für die sie eventuell als Probanden infrage kommen.

Auf die Frage, ob die Phagen-Therapie womöglich eines Tages die Antibiotikatherapie ersetzten könnte, sagte Leitner: „Ich bin der Meinung, dass Antibiotic Stewardship für unsere Zukunft noch essenzieller wird. Als Beispiel haben Antibiotika bei Harnwegsinfekten eine Effektivität zwischen 65% und 85%. Wenn wir sehen, dass ein alternative Behandlung wie z.B. Phagen eine Effektivität von 50% haben und es keinen Behandlungsdruck gibt, könnte die Alternative zur ersten Wahl werden und das Antibiotikum bei Nichtansprechen zum Einsatz kommen.“

Was die Phagen-Therapie derzeit noch behindert

Weil Bakteriophagen der Natur entnommen werden, lässt sich das Therapiekonzept bisher kaum monetarisieren. Pharmafirmen haben daher kein Interesse, die Forschung zu finanzieren. Zudem fehlt bisher ein einheitliches Vorgehen bei der Herstellung von Phagen-Präparaten.

Nicht zuletzt fehlt es an medizinischer Evidenz – vor allem, weil die derzeitigen Richtlinien und Verordnungen die Nutzung von Phagen in der EU und in Deutschland behindern. Zu diesem Ergebnis kam jetzt ein Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung (TAB) beim Deutschen Bundestag, der die Anwendungsperspektiven, Innovations- und Regulierungsfragen bei Bakteriophagen in der Medizin sowie in der Land- und Lebensmittelwirtschaft analysiert hat [2].

Die Autoren des Berichts geben nun Schützenhilfe für eine Intensivierung der Forschung. Sie resümieren, dass die Potenziale von Phagen stärker erforscht und genutzt werden sollten. Neben der Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen müssten dafür Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zu Phagen gezielter gefördert werden. Zudem sollten spezielle Zulassungsprogramme und wirtschaftliche Anreize geschaffen werden.

Momentan wird die Phagen-Therapie in Deutschland praktisch nur im Rahmen individueller Heilversuche eingesetzt. Um sie für mehr Patienten in Deutschland bereits jetzt zugänglich machen zu können, schlagen die Experten vor, rechtliche Ausnahmen zu ermöglichen. Denkbar wäre es, dem belgischen Beispiel zu folgen. Dort kann ein Phagen-Präparat für Therapie auf ärztliche Verordnung individuell in Apotheken hergestellt werden.

Phagen könnten sich nicht nur in Hinblick auf Nebenwirkungen als die bessere Wahl erweisen. Ein großes Problem bei Antibiotika sind bekanntlich Resistenzen. Zwar treten auch bei einer Phagen-Therapie Resistenzen auf. Allerdings gibt es wichtige Unterschiede: „Es ist bekannt, dass Bakterien, die unter der Phagen-Therapie resistent geworden sind, oft einen Fitnessverlust erleiden und sie werden häufig wieder sensibel gegenüber einem Antibiotikum“, erläuterte Dr. Christine Rohde vom Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH Braunschweig und eine der Pionierinnen der Phagen-Forschung in Deutschland gegenüber Medscape.

 
Wenn wir sehen, dass ein alternative Behandlung wie z.B. Phagen eine Effektivität von 50% haben und es keinen Behandlungsdruck gibt, könnte die Alternative zur ersten Wahl werden ... PD Dr. Lorenz Leitner
 

Zudem sei nicht klar, ob es sich wirklich um Resistenzen handele, sondern es könnte auch sein, dass sich Bakterien vorübergehend in einem Ruhe-Zustand befinden, in dem sie nicht von Phagen infiziert werden können, ergänzte Leitner.

„Wenn eine Resistenz gegen einen Phagen auftritt, dann findet man einen zweiten, gegen den die Bakterien nicht resistent sind. Und wenn man mehrere Phagen-Arten gleichzeitig verabreicht, wird sich das Bakterium nicht gleichzeitig gegen alle wehren können“, sagte Leitner. Phagen-Resistenz und Antibiotikaresistenz seien grundsätzlich 2 verschiedene Mechanismen, waren sich Rohde und Leitner einig.

 
Es ist bekannt, dass Bakterien, die unter der Phagen-Therapie resistent geworden sind, oft einen Fitnessverlust erleiden und sie werden häufig wieder sensibel gegenüber einem Antibiotikum. Dr. Christine Rohde
 

Die Stimmung der Forscherinnen und Forscher ist verhalten optimistisch und einiges darauf hin, dass die Phagen-Forschung bald in eine neue Phase eintreten könnte – und das sogar weltweit. Erst kürzlich hat das World Economic Forum „Designer Phages“ unter den Top Ten der Emerging Technologies gerankt.

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