Frauen und Männer mit einer Depression haben ein mehr als doppelt so hohes Demenzrisiko wie Personen ohne Depressionserkrankung – selbst wenn die Depression schon in jüngeren oder mittleren Jahren diagnostiziert wird. Das berichten Forschungsteams aus Dänemark und den USA im Fachblatt JAMA Neurology [1].
„Wir wissen, dass die Depression ein Risikofaktor für Demenz ist“, bestätigt Prof. Dr. Richard Dodel, der an der Universität Duisburg-Essen den Lehrstuhl für Geriatrie leitet, im Gespräch mit Medscape. „Interessant an dieser Studie ist die lange Nachbeobachtung über 40 Jahre von mehr als 200.000 Patientinnen und Patienten.“
Die Depression gilt vor allem im höheren Alter als Risikofaktor für eine Demenz. Laut einem Bericht der Lancet Commission im Jahr 2020 trägt eine Depression im Alter über 65 Jahren 4% zum Gesamtrisiko für eine Demenz bei, ebenso viel wie soziale Isolation (4%) und fast so viel wie das Rauchen (5%).
Depression kommt häufig vor der Demenz
„Depressive Symptome gehen einer Demenz häufig voraus“, schreiben Erstautorin Dr. Holly Elser von der Abteilung für Klinische Epidemiologie am Universitätsklinikum Aarhus, Aarhus, Dänemark, und ihre Kollegen. „Aber die Daten zur Bedeutung von Depressionen im jüngeren und mittleren Alter sind weitgehend inkonsistent.“

Prof. Dr. Richard Dodel
© privat
In ihre Kohortenstudie schlossen sie aus Registern in Dänemark Patientinnen und Patienten ein, bei denen eine Depression diagnostiziert worden war. Sie wurden von 1977 bis 2018 nachbeobachtet. Als Vergleichsgruppe dienten Personen gleichen Geschlechts und Alters, aber ohne Depressionsdiagnose.Insgesamt konnten sie 246.499 Patientinnen und Patienten mit Depression analysieren. Sie waren zu Studienbeginn zwischen 34 und 71 Jahre alt gewesen, fast 2 Drittel waren Frauen. Die Vergleichsgruppe bestand aus fast 1,2 Millionen Personen. Bei etwa 2 Dritteln der Depressionspatienten war die Depression vor dem 60. Lebensjahr diagnostiziert worden.
Adjustiert wurden die Ergebnisse um Bildungsstand, Einkommen, kardiovaskuläre Erkrankungen, chronisch-obstruktive Lungenerkrankungen (COPD), Diabetes mellitus, Angststörungen, Belastungsstörungen, Substanzgebrauchsstörungen und bipolare Störungen.
Risikoerhöhung auch bei lang zurückliegender Diagnose
Die Auswertung zeigte: Depressionspatienten erkrankten 2,41-mal häufiger an einer Demenz als die Vergleichspersonen. Diese Assoziation persistierte auch dann, wenn seit dem Zeitpunkt der Depressionsdiagnose mehr als 20 bis 39 Jahre vergangen waren (Hazard Ratio 1,79).
Auch die Stratifizierung nach dem Alter bei Depressionsdiagnose änderte nichts, mit Depression war das Demenzrisiko erhöht – unabhängig davon, ob die Diagnose im jüngeren, mittleren oder höheren Alter gestellt wurde. Bei 18- bis 44-Jährigen (bei Diagnose) war das Demenzrisiko um das 3,08-Fache und bei 45- bis 59-Jährigen um das 2,95-Fache erhöht. Eine Depressionsdiagnose ab dem Alter von 60 Jahren war mit einer Risikoerhöhung für Demenz um das 2,31-Fache assoziiert.
Depressive Männer stärker gefährdet
„Interessant ist, dass Frauen zwar eine höhere Inzidenz der Depression haben, das zeigt auch diese Studie wieder, aber das damit einhergehende Demenzrisiko ist für Männer offenbar höher als für Frauen“, betont Dodel. Bei Männern war das Demenzrisiko um das 2,98-Fache erhöht, bei Frauen um das 2,21-Fache, wenn bei ihnen im Laufe des Lebens eine Depression diagnostiziert worden war.
„Im Einklang mit früheren Studien zeigt auch unsere Arbeit eine Assoziation zwischen Demenz und Depression im höheren Alter, übereinstimmend mit der theoretisierten Rolle der Depression als reaktives oder frühes Symptom einer kognitiven Verschlechterung“, schreiben die Autoren. „Aber die persistierende Assoziation zwischen Demenz und Depression – auch wenn sie im frühen oder mittleren Leben diagnostiziert wird - deutet darauf hin, dass eine Depression das Demenzrisiko erhöht“, ergänzen sie.
„Es gibt sicherlich pathophysiologische Mechanismen, die dem Zusammenhang zwischen Depression und Demenz zugrunde liegen“, sagt auch Dodel. Deren Aufklärung stehe noch ganz am Anfang. „Wir wissen bislang nicht einmal mit Sicherheit, wie eine Depression im Gehirn pathophysiologisch entsteht.“
Hilft es, die Depression zu behandeln?
Viel spannender – zumindest im Moment – sei aber die Frage, was passiere, wenn die Depression durch Antidepressiva und/oder Psychotherapie adäquat behandelt werde und zurückgehe. „Dies kann diese longitudinale Studie leider nicht beantworten“, bedauert er. Es gebe zwar Studien, die darauf hindeuteten, dass eine antidepressive Therapie einen Effekt auf das Demenzrisiko haben könnte. „Aber eindeutig klären könnten das nur prospektive Langzeitstudien.“
Für die Entwicklung wirksamer Präventionsstrategien könnte dieses Wissen von größter Bedeutung sein: „Wenn die Depression ein derart starker Risikofaktor ist, dann könnte ihre Behandlung möglicherweise auch der Vorbeugung einer Demenz dienen“, so Dodel.
Darüber hinaus könnte dies Auswirkungen nicht nur auf die Demenz, sondern auch auf andere neurodegenerative Erkrankungen haben: „Wir wissen, dass Parkinson-Patienten oft Jahre vor der Manifestation des Morbus Parkinson eine Depression entwickeln. Möglicherweise könnte die Depression eines Tages als früher Indikator für die Diagnostik von Erkrankungen wie Demenz oder Parkinson dienen.“
Fanden Sie diesen Artikel interessant? Hier ist der Link zu unseren kostenlosen Newsletter-Angeboten – damit Sie keine Nachrichten aus der Medizin verpassen.
Credits:
Photographer: © Syda Productions
Lead image: Dreamstime.com
Medscape Nachrichten © 2023
Diesen Artikel so zitieren: Erst depressiv, später dement: Auch Depression in jungen Jahren erhöht schon Demenz-Risiko – Schutz durch Antidepressiva? - Medscape - 7. Aug 2023.
Kommentar