„Bahnbrechende Erfindung“ für Diabetiker: Designer-Hormon Icodec deckt mit einer Spritze Insulin-Bedarf für eine Woche ab

Dr. Angela Speth

Interessenkonflikte

3. August 2023

Nicht mehr Tag für Tag die unvermeidliche Insulin-Spritze, sondern bloß noch einmal wöchentlich und obendrein günstigere Blutzuckerwerte – welcher Diabetes-Patient wünscht sich das nicht? Eine Studie belegt genau diese Vorteile: Während der anderthalbjährigen Behandlung war der HbA1c-Spiegel mit dem Wochen-Insulin Icodec niedriger als mit einer täglich notwendigen Variante [1].

Das Ergebnis der Studie namens ONWARDS 1 lässt eine Diabetes-Expertin mit großem Optimismus in die Zukunft blicken: „Wem wird diese Innovation helfen? Vermutlich Millionen Menschen auf der ganzen Welt – jedes Mittel, das den Alltag mit einer Insulintherapie vereinfacht und die Ergebnisse verbessert, ist eine bahnbrechende Erfindung“, schreibt Prof. Dr. Jane E. Reusch von der University of Colorado in ihrem Editorial im New England Journal of Medicine [2].

Bis zu 200 Millionen Menschen brauchen Insulin

Reusch rechnet vor: Für 50 Millionen der insgesamt 537 Millionen Diabetes-Patienten weltweit ist Insulin von vornherein unverzichtbar, weil sie an Typ-1Diabetes erkrankt sind. Und weitere 100 bis 150 Millionen Menschen mit Typ-2-Diabetes benötigen das Hormon, um ihren Blutzucker in Schach zu halten.

Allerdings spritzt sich schätzungsweise mehr als die Hälfte derer, die davon profitieren würden, das Hormon nicht – weil sie es nicht bezahlen können, die Diagnose aus Angst vor Stigmatisierung verdrängen, keinen Zugang zu Gesundheitsdiensten haben, sich vor Unterzuckerung fürchten oder schlicht zu gleichgültig sind. Ihnen drohen weitere Erkrankungen und vorzeitiger Tod, der Gesellschaft enorme Kosten.

„Einer aktuellen Überprüfung zufolge ist bei fast einem Viertel der Menschen mit Typ-2-Diabetes die Zahl der Insulindosierungen zu gering ... Icodec eröffnet durch die erleichterte Therapie die Möglichkeit, dass Patienten die ärztlichen Anweisungen sorgfältiger befolgen und dann günstigere Glukosewerte erreichen“, so Reusch.

 
Icodec eröffnet durch die erleichterte Therapie die Möglichkeit, dass Patienten die ärztlichen Anweisungen sorgfältiger befolgen und dann günstigere Glukosewerte erreichen. Prof. Dr. Jane E. Reusch
 

GLP-1-Rezeptoragonisten waren die Vorreiter

Der Vorteil einer verminderte Injektionsfrequenz hat sich bereits an den Glucagon-like Peptide1 (GLP-1)-Rezeptoragonisten erwiesen: Bei einmal wöchentlichen im Vergleich zu täglichen Injektionen stiegen Therapietreue und Blutzuckerkontrolle, berichtet Reusch: „Insulin Icodec stößt somit in eine interessante Nische, da ein ähnlicher Effekt zu erwarten ist.“

Schon seit Jahrzehnten suchen Forscher nach Molekülen mit immer besserem pharmakodynamischen Profil, um den Blutzucker möglichst lange konstant halten. Icodec ist eines dieser Designer-Insuline, dessen Überlegenheit auf 2 Eigenschaften beruht: Es hat eine verringerte Affinität zum Insulinrezeptor und bindet stark, aber reversibel an Serum-Albumin. Aus diesem Speicher flutet es besonders langsam an, und zwar mit einer Halbwertszeit von rund 8 Tagen [3].

Die Wirksamkeit und Sicherheit wurde im Phase-3-Programm ONWARDS in 6 Studien getestet. Die Studien unterschieden sich in der Länge (26 oder 52 Wochen), in den Komparatoren (Insulin Degludec oder Glargin U100/U300), in den Populationen (Patienten mit Typ-2-Diabetes mit oder ohne vorherige Insulintherapie oder Patienten mit Typ-1-Diabetes), der Medikation (Icodec allein oder mit zusätzlichem Bolus-Insulin) und im Design (offen oder doppelblind).

Vorwärts mit einem Programm aus 6 Studien

In der nun publizierten, von Novo Nordisk unterstützten ONWARDS-1-Studie untersuchten Prof. Dr. Julio Rosenstock von der University of Texas in Dallas und seine Kollegen Insulin Icodec gegen Glargin U100 [1]. Diesen Wirkstoff hatten sie deshalb als Vergleich gewählt, weil er am häufigsten als einmal tägliches Basalinsulin verwendet wird.

Bei den knapp 1.000 Erwachsenen, die zuvor kein Insulin erhalten hatten, lag der Spiegel an glykiertem Hämoglobin anfangs zu hoch, nämlich zwischen 7% und 11%. Sie stammten aus 143 Städten in 12 Ländern: aus Indien, Israel, Japan, Mexiko, Russland, den USA und europäischen Staaten (Deutschland nicht). Nach dem Zufallsprinzip wurden sie im Verhältnis 1:1 Insulin Icodec einmal wöchentlich oder Insulin Glargin U100 einmal täglich zugeteilt. Beide Gruppen erhielten zusätzlich Glukose-Senker wie GLP1-Rezeptoragonisten und SGLT2-Hemmer.

Placebo für anderthalb Jahre – das wäre zu viel

Auf eine Doppelverblindung hatten die Forscher verzichtet, da sie der Icodec-Gruppe tägliche Schein-Injektionen über eine so lange Zeit nicht zumuten wollten, zumal ONWARDS 3 bereits in einem doppelblinden Design (Icodec gegen Degludec) die Phase-2-Ergebnisse bestätigt hatte. Denn ONWARDS 1 dauerte 78 Wochen – eine 52-wöchige Hauptphase plus 26 Wochen Verlängerung.

Gleich beim primären Endpunkt schnitt Icodec besser ab: Der Spiegel des glykierten Hämoglobins war nach einem Jahr im Mittel von 8,5% auf 6,9% gesunken, mit Glargin jedoch von 8,4% auf nur 7,1%. Anders gesagt: Icodec erhöhte die Chance, wie empfohlen die Grenze von 7% zu unterschreiten.

Blutzucker bleibt länger im erwünschten Bereich

Beim sekundären Endpunkt bewährte sich das Ultra-Langzeitmedikament ebenfalls: Damit verbrachten die Teilnehmer signifikant mehr Zeit im glykämischen Zielbereich (70 bis 180 mg/dl) als jene mit Glargin; in den Wochen 74 bis 78 beispielsweise zusätzlich 1 Stunde und 4 Minuten pro Tag. Mit anderen Worten: Mit Icodec waren die Werte während 72% der Zeit günstig, mit Glargin nur während 67%.

Unerwünschte Ereignisse kamen in beiden Gruppen insgesamt ähnlich häufig vor. Speziell klinisch relevante Hypoglykämien traten allerdings mit Icodec geringfügig öfter auf: 0,29-mal im Vergleich zu 0,15-mal mit Glargin, jeweils pro Personenjahr.

„Enormer Fortschritt“ durch doppelten Nutzen

Fazit der Autoren: Die längste Studie im ONWARDS-Programm zeigt, dass wöchentliche statt täglicher Injektionen den Beginn einer Behandlung mit Basalinsulin erleichtern. Und sie bestätigt, dass Icodec dem Glargin U100 nicht nur nicht unterlegen, sondern sogar überlegen ist.

Und Reusch schließt mit dem Appell: „Lassen Sie uns als globale Gemeinschaft ... diesen enormen Fortschritt fortsetzen, die Unterschiede beim Diabetesrisiko und beim Zugang zur Gesundheitsversorgung angehen und wichtige Innovationen bei Diabetes-Therapeutika voll ausschöpfen.“ 

 
Lassen Sie uns als globale Gemeinschaft ... diesen enormen Fortschritt fortsetzen, die Unterschiede beim Diabetesrisiko und beim Zugang zur Gesundheitsversorgung angehen. Prof. Dr. Jane E. Reusch
 

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