Schmerzen in der Onkologie: Das WHO-Stufenschema flexibel handhaben – Beginn auch mit Stufe 3 ist möglich

Dr. Thomas Kron

Interessenkonflikte

1. August 2023

Viele Patienten mit Krebs leiden an Tumorschmerzen, etwa infolge von Knochenmetastasen. Eine effiziente Analgetika-Therapie kann diese Schmerzen lindern. Empfehlungen dazu gibt es von der Weltgesundheitsorganisation und von Fachgesellschaften. 

In einem aktuellen Zeitschriftenbeitrag erläutern Anke Mütherig und Ulrich S. Schuler von Palliativ-Zentrum des Universitätsklinikums in Dresden sowie Gesine Scheffler von der Klinik-Apotheke die Möglichkeiten der medikamentösen Schmerz-Therapie in der Onkologie. In dem Beitrag diskutieren sie die abnehmende Bedeutung des WHO-Stufenschemas und Risiken von Nichtopioid-Analgetika [1]

WHO-Stufenschema: Flexibilität ist möglich

Wie die Autoren erklären, wurde die WHO-Leitlinie mehrfach aktualisiert. 2018/2019 gab es zuletzt eine Anpassung erfolgt, nach der das Stufenschema eine etwas untergeordnete Rolle einnimmt. So müssen nicht mehr zwangsläufig alle Stufen durchlaufen werden; bei stärkeren Schmerzen können Ärzte auch mit einem Medikament der Stufe 3 beginnen. 

Paracetamol und nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) als Nichtopioid-Analgetika sind international die wesentlichen Substanzen der Stufe 1. Zu diesen Analgetika zählt auch Metamizol.

Wesentliche Empfehlungen zur Therapie mit Stufe-1-Wirkstoffen lauten:

  • Bei der Entscheidung für ein bestimmtes Analgetikum der Stufe 1 sollte stets die gesamte Medikation der Patienten berücksichtigt werden. So werde beispielsweise zur Vermeidung eines akuten Nierenversagens von der Kombination eines NSAR mit Diuretika und Hemmstoffen des Renin-Angiotensin-Systems abgeraten.

  • Bei der Kombination von NSAR mit Glukokortikoiden sollte zusätzlich ein Protonenpumpen-Hemmer verschrieben werden.

  • Viele Krebspatienten gehören zu der Altersgruppe an, in der auch die aktuell überarbeiteten Priscus-Empfehlungen zu potenziell inadäquaten Medikamenten zu beachten wären. Experten raten von Ibuprofen weitgehend ab; Paracetamol hingegen wird empfohlen. Ob dies in der onkologischen Situation wirklich hilfreich sei, müsse jedoch hinterfragt werden, so Anke Mütherig und Kollegen. So zeige eine aktuelle Studie erneut bestenfalls marginale Effekte von Paracetamol, wenn bereits ein Opioid gegeben werde. Zudem sei zu bedenken, dass einer Studie zufolge Paracetamol möglicherweise die Wirksamkeit von Therapien mit Checkpointinhibitoren massiv beeinträchtige.

Die Autoren weisen auch darauf, dass die WHO seit 2015 von Paracetamol bei Beschwerden nach Impfungen abrate, „weil es auch dort Hinweise auf verminderte Immunreaktivität gäbe“. Für NSAR sei dies weniger genau untersucht, aber Hinweise auf ähnliche Effekte gebe es nicht.

Therapie mit Opioiden der Stufen 2 und 3

Zu den Analgetika der Stufe 2 gehören Tramadol, Codein und Tilidin, zu den Opioiden der Stufe 3 Morphin, Hydromorphon, Oxycodon, Fentanyl, Buprenorphin und Levomethadon. Seit Langem gilt nicht mehr, dass nur bei Stufe-3-Analgetika ein BtM-Rezept erforderlich ist; so ist für nichtretardiertes Tilidin in Deutschland ein BtM-Rezept erforderlich, die rechtliche Einstufung von Tramadol sei international uneinheitlich.

Übereinstimmend hinterfragen Experten in den Leitlinien den Einsatz von Stufe-2-Opioiden. Empfohlen werden niedrig dosierte Opioide der Stufe 3 analog zum Einsatz der Stufe 2. Dies führt dazu, dass mittlerweile niedrig dosierte Opioide der Stufe 3 (unterhalb von 30 mg oralem Morphinäquivalent) der Stufe 2 zugerechnet werden. Grund für die Empfehlung seien Studien, die randomisiert keinen Vorteil für den Einsatz von Stufe-2-Wirkstoffen belegt hätten, so die Autoren. „Durchaus gängig“ sei demzufolge die Ersteinstellung eines opioidnaiven Patienten mit der niedrigsten möglichen Dosis eines retardierten Opioids der Stufe 3.

Von Codein als Analgetikum wird in der „Leitlinie Palliativmedizin“ der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften abgeraten, da es eine deutlich geringere Wirkung und starke Variabilität im Vergleich zu Tramadol und Tilidin/Naloxon hat. Aufgrund des in Deutschland häufigen Einsatzes von Tramadol und Tilidin/Naloxon sind diese Medikamente in die Empfehlungen der S3-Leitlinie Palliativmedizin aufgenommen worden, obwohl es keine systematischen Daten zu Tilidin für die Wertung innerhalb der Leitlinie gibt und das Medikament in den internationalen Leitlinien in der Regel nicht erwähnt wird.

Der Großteil aller Opioide muss per BtM-Rezepten verordnet werden (Ausnahmen sind Tramadol, retardiertes Tilidin, Codein). Klinisch tätige Ärzte sollten zumindest Kenntnis über die entsprechenden Abschnitte des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) und der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) haben.

Die Auswahl und Dosis sollte sich orientieren an…

  • der Intensität und Qualität der Schmerzen,

  • der Art und Verabreichungsweg des Opioids,

  • dem individuellen Patienten (Begleitmedikation, Alter, Vorerkrankungen, Vigilanz) sowie den Möglichkeiten der klinischen Therapiekontrolle.

Weitere Empfehlungen lauten:

  • Die Ersteinstellung und Titration können prinzipiell durch orale, subkutane oder intravenöse Gaben erfolgen. Bei einer kritischen Schmerzsituation mit einem Wert auf einer numerischen Rating-Skala von 6 oder mehr sei zur Ersteinstellung die parenterale, wenn möglich intravenöse Gabe zu empfehlen. 

  • Entscheiden sich Ärzte für Morphin, seien als Einzeldosis (2,5-)5 mg (oder 0,1 mg/kg; analog für Hydromorphon etwa (0,5-]1 mg) ratsam. 

  • Bei unzureichender Wirkung sollte die Gabe nach Erreichen der Maximalkonzentration wiederholt werden. Bei intravenöser Gabe sei dies nach etwa 15 min. der Fall. 

  • In einem weiteren Schritt könnten Ärzte Patienten auf andere Opioide und Verabreichungswege umgestellt werden.

  • Bei jeder Neueinstellung, Umstellung oder Dosissteigerung muss das Risiko einer Überdosierung gegen die jeweils mögliche Überwachung abgewogen werden. Bei intravenöser Titration ist in der Regel eine stationäre Überwachung zu empfehlen.

Methadon ist, wie die Autoren erklären, in Deutschland nur zur Substitutionstherapie zugelassen. Als Fertigarzneimittel zur Schmerztherapie steht Levomethadon zur Verfügung; es kann als Alternative zu anderen Opioiden der Stufe 3 eingesetzt werden. Seine spezielle Pharmakokinetik und die lange und stark schwankende Halbwertszeit erschwerten jedoch die Dosiseinstellung, sodass Levomethadon nur von schmerztherapeutisch erfahrenen Ärzten eingesetzt werden sollte.

Begleitmedikation für die Schmerztherapie 

Da Opioide Obstipationen verursachen könnten, seien („mit leichter Präferenz“) osmotische Laxanzien wie Macrogol zur Prophylaxe ratsam; „zum Abführen dürften stimulierende Laxanzien Vorteile“ haben, heißt es weiter. 

Wenn herkömmliche Maßnahmen nicht ausreichend wirkten, sollten peripher wirksame Opioid-Antagonisten wie Methylnaltrexon, Naldemedin oder Naloxegol in Betracht gezogen werden. Für opioidbedingte Übelkeit können Haloperidol in niedrigster Dosierung (formal „off label“, Rote-Hand-Brief zur Indikation Übelkeit) bzw. Metoclopramid verwendet werden.

Der Beitrag ist im Original erschienen auf Univadis.de.

 

Kommentar

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