Wer unter dem Hochstapler-Syndrom leidet, ist überzeugt davon, dass der eigene Erfolg unverdient und nicht auf persönlichen Einsatz, Fachkompetenz und persönliche Fähigkeiten zurückzuführen ist. Eine Reihe neuer Studien trägt nun zum Verständnis des Hochstapler-Syndroms bei. Hier die wichtigsten Ergebnisse im Überblick.
Die Erwartungen an Ärztinnen und Ärzte sind hoch. Selbstverständlich wird angenommen, dass sie mühelos über die normalen menschlichen Grenzen hinausgehen, dass sie ihrer Arbeit stets oberste Priorität einräumen und immer wissen, was zu tun ist. Diese stereotypen Vorstellungen führen dazu, dass viele Ärztinnen und Ärzte sich überfordern und ihre persönliche Gesundheit zugunsten ihrer Arbeit vernachlässigen. Als Konsequenz entwickeln sie Angstgefühle, wenn sie ihren Patienten nicht in dem gewünschten Maße helfen können.
Hochstapler-Syndrom: Das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit
Als Hochstapler-Syndrom – auch als Impostor-Syndrom (impostor phenomenon, IP) bekannt – wird ein psychologisches Phänomen von intellektuellen und professionellen Selbstzweifeln beschrieben. Eine davon betroffene Person glaubt, dass andere ihre Fähigkeiten überschätzen, und hat Angst davor, als Betrüger entlarvt zu werden – trotz anhaltender Erfolge, die ihre Fähigkeiten beweisen. Eine solche Person weist Lob zurück, ist extrem selbstkritisch und schreibt ihre Erfolge äußerlichen Faktoren wie Glück oder zwischenmenschlichen Beziehungen zu und nicht ihren eigenen Fähigkeiten, Kenntnissen und Kompetenzen.
Die 5 Typen des Hochstapler-Syndroms
Das Hochstapler-Syndrom zeichnet sich durch Gefühle von Unsicherheit, Unzulänglichkeit und Zweifel an den eigenen Leistungen trotz gegenteiliger Beweise aus. Es handelt sich nicht um eine formelle psychiatrische Diagnose, aber das Syndrom kann in 5 Subtypen eingeteilt werden:
“Perfektionisten” leiden aufgrund von selbst auferlegten und unerreichbaren Zielen an Unsicherheit.
“Experten” fühlen sich mangels ausreichender Kenntnisse unzulänglich.
“Superhelden” überladen sich mit Arbeit, um sich von ihren Kollegen geschätzt zu fühlen.
“Naturgenies” schämen sich, wenn sie sich anstrengen müssen, um eine Fertigkeit zu erlernen.
“Solisten” glauben, dass es ein Zeichen von Schwäche ist, andere um Hilfe zu bitten.
Wer ist vom Hochstapler-Syndrom betroffen?
Das Hochstapler-Phänomen tritt bei Männern und Frauen auf, doch in einigen Studien wird auf eine höhere Prävalenz unter Frauen verwiesen. Es kann sich als echtes Syndrom manifestieren, das sowohl mit persönlichen Konsequenzen – wie schlechtem emotionalem Wohlbefinden, Problemen bei der Integration von Beruf und Privatleben, Angst, Depression und Suizid – als auch mit beruflichen Konsequenzen – wie beeinträchtigter Arbeitsleistung und beruflichem Burnout – verbunden ist.
Es zeigen sich 4 zentrale Risikofaktoren:
Medizinstudierende scheinen anfälliger für das Hochstapler-Syndrom zu sein. Es wurde bei mehr als einem Viertel der Studierenden nachgewiesen. Außerdem zeigte sich, dass Betroffene auch ein höheres Burnout-Risiko aufweisen.
Studien deuten auf die Prävalenz des Hochstapler-Syndroms in den frühen Jahren des Medizinstudiums hin, doch über die Prävalenz in der klinischen Praxis gibt es nur begrenzte Informationen.
Häufig wechselnde Aufgabenbereiche sind ein Risikofaktor für das Hochstapler-Syndrom, zu dessen Prävalenz in diesen Fällen das Gefühl beiträgt, ein „ständiger Anfänger“ zu sein.
Negative berufliche Erfahrungen in der klinischen Praxis spielen ebenfalls eine Rolle, wie z.B. ungünstige Ergebnisse für Patienten oder Beschwerden, abgelehnte Bewerbungen oder Manuskripte, schlechte Bewertungen in Ausbildungsprogrammen oder Bewertungen der Patientenzufriedenheit.
Diagnose des Hochstapler-Syndroms
Die Clance Impostor Phenomenon Scale ist eine Möglichkeit, die Auswirkungen des Hochstapler-Syndroms zu beurteilen. Dabei handelt es sich um einen Fragebogen mit 20 Elementen, in dem die Teilnehmer gebeten werden, auf einer 5-Punkte-Skala anzugeben, inwieweit jedes Element ihren Erfahrungen entspricht – von „überhaupt nicht“ bis „sehr zutreffend“. Mit der Summe der Antworten wird ein aggregierter Score erstellt (IP-Score). Je höher der Score, desto häufiger und maßgeblicher beeinträchtigt das Hochstapler-Phänomen das Leben der befragten Person.
In einer Analyse von 3.237 Ärztinnen und Ärzten aus den USA wurde eine vereinfachte Version dieses IP-Scores herangezogen, um die Zusammenhänge zwischen dem Hochstapler-Syndrom und Burnouts zu untersuchen und den Anteil der Betroffenen mit anderen Berufsrichtungen zu vergleichen.
Die durchschnittlichen Scores waren bei Ärztinnen höher als bei Ärzten (Mittelwert: 10,91 gegenüber 9,12; p < 0,001). Die Scores nahmen mit zunehmendem Alter ab und waren auch unter verheirateten oder verwitweten Personen niedriger.
Höher waren die IP-Scores bei mit einer Universität verbundenen Ärztinnen und Ärzten. Unter Kinder- und Notärztinnen und -ärzten gab es höhere Scores, während die niedrigsten Scores bei Ärztinnen und Ärzten aus der Ophthalmologie, Radiologie und orthopädischen Chirurgie vorlagen.
5 Strategien zur Abschwächung
In einem redaktionellen Kommentar zur US-Studie wird auf verschiedene Strategien für Ärztinnen und Ärzte hingewiesen, die sich im Berufsleben vom Hochstapler-Syndrom betroffen fühlen:
Erinnern Sie sich an Ihre Leistungen, die Sie zu Ihrer beruflichen Rolle geführt haben, und feiern Sie sie.
Teilen Sie Ihre Sorgen mit vertrauenswürdigen Kollegen, die Ihre Leistungen bestätigen und Ihre Gefühle normalisieren können, indem sie von ihren eigenen Kämpfen mit dem Hochstapler-Syndrom berichten.
Bekämpfen Sie den Perfektionismus, indem Sie akzeptieren, dass es in Ordnung ist, gut genug zu sein, wenn man die Herausforderungen eines anspruchsvollen Berufs bewältigt.
Üben Sie sich in Selbstmitgefühl, um sich nicht auf einen externen Ort des Selbstwerts zu verlassen.
Verstehen Sie, dass das Hochstapler-Syndrom häufig vorkommt, insbesondere bei Übergängen wie dem Beginn des Medizinstudiums, der medizinischen Weiterbildung oder einer neuen Karriere.
Dieser Artikel ist erschienen auf Coliquio.de . Er erschien ursprünglich bei Univadis Italy .
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Photographer: © Daniela Spyropoulou
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Medscape Nachrichten © 2023
Diesen Artikel so zitieren: Kennen Sie das Hochstapler-Syndrom? Ein Risiko für Ängste und Burnout bei Ärzten und medizinischen Fachkräften – was hilft - Medscape - 26. Jul 2023.
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