Der Schlüssel zur Verringerung problematischen Alkoholkonsums ist vielleicht nur einen Klick weit entfernt. Eine kurzzeitige Intervention mit Web- und App-basierten Technologien half Menschen mit riskantem Trinkverhalten, ihren Alkoholkonsum auf ein Niveau zu verringern, das als nicht gefährlich gilt, wie australische Forscher herausgefunden haben. Ihre Ergebnisse wurden in Alcohol: Clinical & Experimental Research veröffentlicht [1].

Screenshots der von Dr. Antoinette Poulton entwickelten App zum Alkoholkonsum.
Teilnehmer an der randomisierten, kontrollierten Studie erfassten Informationen über ihren Alkoholkonsum, einschließlich der Menge und der Häufigkeit. Daraus errechnet die App einen Wert zur Impulsivität und zum damit verbundenen Verlust der Selbstkontrolle. Sie gibt auch Folgen des Konsums für das individuelle Risiko alkoholbedingter Störungen, Krankheiten, Krankenhausaufenthalte und Tod an.
Alkoholabusus – weltweit ein immenses Problem
Der Bedarf an Interventionen wäre groß: Weltweit führt Alkoholkonsum jedes Jahr zu 5,3% aller Todesfälle. In den Vereinigten Staaten hatten im Jahr 2021 schätzungsweise 29,5 Millionen Menschen, die älter als 12 Jahre waren, eine Alkoholkonsumstörung. Für Deutschland nennt die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) zirka 3 Millionen Erwachsene.
Mehr als 60% der Menschen mit Alkoholproblemen nehmen nie eine ärztliche oder psychotherapeutische Behandlung in Anspruch. Viele fürchten, vorverurteilt oder stigmatisiert zu werden. Auch die Scham ist bei Betroffenen groß, Kontakt zu Heilberuflern aufzunehmen. Solche Barrieren könnten jedoch durch die Anonymität einer Smartphone-App überwunden werden, schreiben die australischen Forscher.
Sie haben untersucht, ob riskante Trinker, die per App ein personalisiertes Feedback zu ihrem Alkoholkonsum und ihrem Maß an Selbstkontrolle erhalten, ihren problematischen Alkoholkonsum stärker reduzieren als riskante Trinker, die nur personalisierte Informationen über ihren Alkoholkonsum oder kein Feedback erhalten.

Dr. Antoinette Poulton
„Aus meiner früheren Forschung wusste ich, dass Informationen allein nicht ausreichen, um den Alkoholkonsum von Personen zu verändern“, sagt Dr. Antoinette Poulton von der Universität Melbourne, Australien. Sie hat die App entwickelt und die Studie geleitet. Poulton weiter: „Es scheint, dass das Eingeben der Informationen und die anschließende Aussage ‚Sie haben x Getränke getrunken, und dieser Alkoholgehalt ist nach australischen Standards oder nach Standards der WHO [Weltgesundheitsorganisation] hoch‘ der entscheidende Punkt sein könnte.“
Psychologiestudenten testeten die App
Die Studie wurde zwischen 2020 und 2022 unter Psychologiestudenten im 1. Studienjahr an der Universität von Melbourne durchgeführt. Alle 313 Probanden (Durchschnittsalter 21,7 Jahre; 74% Frauen) gaben Schätzungen zum eigenen Alkoholkonsum über 14 Tage ab. Eine Subgruppe von 178 Personen nutzte Alcohol Capture, die validierte Smartphone-App. Sie erfasst den Alkoholkonsum in Echtzeit und bewertet auch die Impulsivität. Der Konsum aller Teilnehmer wurde gemäß den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation als „gefährlich“ oder „unschädlich“ eingestuft.
Die Forscher wiesen alle Probanden 3 Gruppen zu:
Mitglieder der Gruppe mit Feedback zum Alkoholkonsum (Alc) erhielten persönliche Rückmeldung, einschließlich der Frage, ob ihr Alkoholkonsum die australischen und/oder die WHO-Empfehlungen überschreitet.
Die anderen Teilnehmer wurden der Gruppe Alc plus kognitives Feedback (AlcCog) zugewiesen und erhielten dasselbe Feedback plus Angaben zu ihrem Grad an Selbstkontrolle via App. Hinzu kamen Informationen über Zusammenhänge zwischen mangelnder Selbstkontrolle und der Anfälligkeit für den Übergang zu einer Alkoholabhängigkeitserkrankung.
Die Kontrollgruppe erhielt kein personalisiertes Feedback.
Nach 8 Wochen wurde der Alkoholkonsum in allen 3 Gruppen erneut über 14 Tage hinweg erfasst.
Signifikant geringerer Konsum in der App-Gruppe mit digitaler Warnung
Im Vergleich zu riskanten Trinkern in der Kontrollgruppe sank der Alkoholkonsum bei riskanten Trinkern in der Alc-Gruppe um 32% oder um 3,8 Standardgetränke pro Woche. In der AlcCog-Gruppe waren es 35% oder 4,2 Standardgetränke pro Woche weniger. Der Unterschied zwischen den Gruppen mit Intervention erwies sich als statistisch nicht signifikant.
„Unsere kurze digitale Intervention hatte eine deutliche Auswirkung auf das Trinkverhalten von riskanten Trinkern“, berichten die Forscher. „Tatsächlich unterschieden sich die riskanten Trinker nach der Intervention nicht von den nicht riskanten Trinkern in Bezug auf den Gesamtalkoholkonsum, die Menge des Konsums pro Tag oder die Häufigkeit von sechs oder mehr Trinkanlässen.“
Auch die Menge an Getränken pro Tag ging in der Alc- und AlcCog-Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe um 31% (oder um 1,6 Standardgetränke) bzw. um 32% (oder um 2,1 Standardgetränke) zurück.
Der Alkoholkonsum schien sich bei Personen mit nicht schädlichem Trinkverhalten in keiner der Studiengruppen zu verändern.
Neue Möglichkeiten der Intervention
„Dies ist eine schöne Studie, weil sie zeigt, dass eine einfache, kleine Intervention wirklich eine tiefgreifende Wirkung auf den riskanten Alkoholkonsum haben kann“, sagte Dr. Akhil Anand. Er ist Psychiater mit Spezialisierung auf Suchterkrankungen und medizinischer Direktor des Alcohol and Drug Recovery Center an der Cleveland Clinic, Ohio.
Anand: „Wir können derzeit nicht sagen, ob diese Intervention bei sehr schweren Fällen funktionieren würde, aber ich finde sie gut, weil sie anonym ist, schnell geht, leicht zugänglich ist und nicht zu viel Kraft des Gesundheitspersonals erfordert.“
Der Beitrag wurde von Michael van den Heuvel aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Credits:
Photographer: © Syda Productions
Lead image: Dreamstime.com
Medscape Nachrichten © 2023
Diesen Artikel so zitieren: App für gesunden Alkoholgenuss: Bei kritischem Trinkverhalten kann Smartphone-App helfen – zumindest in leichteren Fällen - Medscape - 25. Jul 2023.
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