San Diego – Höhere Dosen von oralem Semaglutid als die derzeit bei Typ-2-Diabetes zugelassene Dosis von 14 mg/Tag könnten eine zusätzliche therapeutische Option für Patienten mit Prädiabetes, Diabetes und Adipositas sein. Dies geht aus den Ergebnissen zweier kürzlich veröffentlichter klinischer Phase-3-Studien hervor.
Ergebnisse der Studien OASIS 1 mit Patienten mit Übergewicht oder Adipositas ohne Diabetes und PIONEER PLUS mit Patienten mit unzureichend kontrolliertem Typ-2-Diabetes wurden im Rahmen der Scientific Sessions der American Diabetes Association (ADA) 2023 vorgestellt und gleichzeitig in The Lancet veröffentlicht [1,2,3].

Dr. Filip K. Knop
Dr. Filip K. Knop von der Universität Kopenhagen, Dänemark, präsentierte die wichtigsten Ergebnisse von OASIS-1, und Dr. Vanita R. Aroda, Brigham and Women's Hospital und Harvard University, Boston, Massachusetts, ging auf die zentralen Resultate von PIONEER PLUS ein.
OASIS-1 habe gezeigt, dass „oral verabreichtes Semaglutid 50 mg eine wirksame Option für die Behandlung von Adipositas darstellen kann, insbesondere bei Patienten, die eine orale Einnahme bevorzugen“, fasste Knop zusammen.
Und „die PIONEER-PLUS-Studie hat gezeigt, dass höhere Dosen von einmal täglich oral verabreichtem Semaglutid (25 mg und 50 mg) im Vergleich zur derzeit [höchsten] zugelassenen 14-mg-Dosis zu einer besseren Kontrolle des Blutzuckerspiegels und zu einer Verringerung des Körpergewichts sowie zu einer Verbesserung der kardiometabolischen Risikofaktoren führen“, ergänzte Aroda.
Die Sitzungsvorsitzende Dr. Marion Pragnell, Vizepräsidentin für Forschung und Wissenschaft bei ADA, erklärte gegenüber Medscape, dass es Bedarf an mehreren Behandlungsoptionen gebe, da verschiedene Patienten unterschiedlich auf die einzelnen Medikamente ansprächen. Die orale Dosis von Semaglutid müsse aufgrund der Bioverfügbarkeit höher sein als die für die subkutane Injektion (Ozempic®, Wegovy®). Aber die Forschung an kleinen Molekülen schreite voran, so dass in Zukunft niedrigere Dosen von oralen Medikamenten die gleiche Wirkung haben könnten als die derzeitigen niedrigeren subkutanen Dosen des Medikaments.

Dr. Vanita R. Aroda
Die orale Version von Semaglutid (Rybelsus®) wurde 2019 in den USA für Typ-2-Diabetes in einer Dosierung von 7 mg oder 14 mg pro Tag zugelassen; für die Behandlung von Adipositas ist sie nicht zugelassen. Das gilt auch für Europa.
Knop merkte an, dass etwa 25% seiner Patienten mit Typ-2-Diabetes die tägliche orale Einnahme von Semaglutid bevorzugen würden; der Rest präferiere die wöchentliche Injektion von Semaglutid.
„Die Verfügbarkeit einer oralen Formulierung von Semaglutid zusätzlich zur subkutanen oder injizierbaren Formulierung wird es Menschen, die mit Diät und körperlicher Aktivität allein nur schwer abnehmen können, ermöglichen, dieses wirksame Medikament auf die für sie am besten geeignete Weise einzunehmen“, fügte er hinzu.
Teilnehmer an den Studien OASIS und PIONEER PLUS wurden angewiesen, das Medikament morgens nüchtern mit bis zu einem halben Glas Wasser (120 ml) mindestens 30 Minuten vor dem Frühstück und vor der Einnahme anderer Medikamente zu schlucken.
Prof. Dr. Sean Wharton, Diskussionsleiter und Redner im vollbesetzten Saal der ADA-Sitzung, in der die Ergebnisse präsentiert wurden, sagte: „OASIS 1 und PIONEER PLUS stellen der Welt ein Medikament vor, das oral eingenommen wird, relativ einfach zu verabreichen, skalierbar und wirksam ist und eine ähnlich große Wirksamkeit wie injizierbares Semaglutid aufweist.“ Konkret handele es sich um einen Gewichtsverlust von 15% nach 52 Wochen.
Wharton ist Assistenzprofessor an der Universität von Toronto, Ontario, Kanada, und Hauptautor der kanadischen Adipositas-Leitlinien 2020. Er war an keiner der beiden Studien beteiligt.
OASIS: 50-mg-Tablette täglich bei Erwachsenen mit Übergewicht oder Adipositas
Knop und Kollegen erklären, OASIS sei ihres Wissens „die erste Studie, welche die gewichtsreduzierende Wirkung eines oralen GLP-1-Agonisten (Semaglutid 50 mg einmal täglich) bei Erwachsenen mit Übergewicht oder Adipositas ohne Typ-2-Diabetes untersucht hat“.
Die 50-mg-Dosis führte zu einer klinisch bedeutsamen Verringerung des Körpergewichts und zur Verbesserung kardiometabolischer Risikofaktoren, was mit Ergebnissen für subkutanes Semaglutid 2,4 mg bei 1-mal wöchentlicher Anwendung (Wegovy®) in einer ähnlichen Population übereinstimmt.
Die orale Einnahme von 50 mg Semaglutid in Kombination mit einer Diät und mit körperlicher Betätigung führte zu einer durchschnittlichen Verringerung des Körpergewichts um 15,1% im Vergleich zu 2,4% in der Placebogruppe. Ein größerer Prozentsatz der Teilnehmer erreichte die angestrebte Verringerung des Körpergewichts von mindestens 5%, 10%, 15% und 20%.
Dieser Erfolg ging mit einer signifikanten Verbesserung der kardiometabolischen Risikofaktoren im Vergleich zur Placebogruppe einher.
„Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die orale Einnahme von Semaglutid 50 mg eine wirksame Option für Menschen mit Übergewicht oder Adipositas sein könnte“, schlussfolgern die Forscher.
PIONEER PLUS: Unzureichend kontrollierter Typ-2-Diabetes
Aroda und Kollegen berichten über Ergebnisse von PIONEER PLUS: „Bei Menschen mit unzureichend kontrolliertem Typ-2-Diabetes, die eine stabile Dosis von 1 bis 3 oralen Blutzuckersenkern einnehmen, boten höhere Dosen (25 mg und 50 mg) von einmal täglich oral verabreichtem Semaglutid eine wirksamere Blutzuckerkontrolle und einen größeren Körpergewichtsverlust als 14-mg-Semaglutid, ohne zusätzliche Sicherheitsbedenken“, schreiben sie.
PIONEER PLUS ist die 1. Studie, die darauf hinweist, dass höhere Dosen von Semaglutid eine hochwirksame orale Option zur Verbesserung der Blutzuckerkontrolle und der Gewichtsabnahme bei Typ-2-Diabetes darstellen könnten.
„Diese Studie liefert überzeugende Beweise dafür, dass die Verfügbarkeit eines breiteren Spektrums an Dosierungen von oralem Semaglutid eine individuelle Dosierung bis zur gewünschten Wirkung und die Möglichkeit einer Intensivierung der Behandlung nach Bedarf ermöglicht“, sagte Aroda. „Wir hoffen, dass diese Ergebnisse eine frühere effektive Behandlung von Typ-2-Diabetes fördern und eine breitere Behandlung in der Primärversorgung ermöglichen.“
In einem begleitenden Editorial [4] schreiben Dr. Christina H. Sherrill und Dr. Andrew Y. Hwang: „Diese Erweiterung der Dosistitration könnte Ärzten mehr Möglichkeiten bieten, die maximale Wirksamkeit dieses oralen GLP-1-Agonisten zu erzielen.“
„Es sind jedoch weitere Untersuchungen erforderlich, um festzustellen, ob die bei diesen höheren Dosierungen beobachtete überragende Senkung des Blutzuckerspiegels zu einer Verringerung des kardiovaskulären Risikos führt“, so Sherrill von der High Point University in North Carolina und Hwang vom Massachusetts College of Pharmacy and Health Sciences University in Boston. Solche Untersuchungen „würden den Stellenwert von hochdosiertem oralem Semaglutid in der Therapie weiter klären“, schlussfolgern sie.
Aroda und Kollegen stimmen dem zu: „Weitere Studien sind erforderlich, um die klinischen Auswirkungen der Verfügbarkeit höherer Dosen von oralem Semaglutid zu untersuchen.“
Wo passt orales Semaglutid in das Spektrum an Therapien?
Bei der Diskussion sagte Wharton, er sehe eine rasche Entwicklung von Medikamenten zur Gewichtskontrolle, eine hohe Nachfrage, die mangelnde Verfügbarkeit von Injektionspräparaten und ein „Hollywood-Phänomen“: Menschen würden die Medikamente außerhalb der Zulassung einnehmen, um ein paar Pfunde zu verlieren. Er spielte u.a. darauf an, dass Stars, aber auch Influencer aus Social Media, das Präparat massiv propagieren.
„Orales Semaglutid in den Dosierungen 25 mg und 50 mg ist wirksam“, fasste Wharton zusammen. Das Ausmaß des durchschnittlichen Gewichtsverlusts in diesen Studien (15%) sei bei den oralen Medikamenten das gleiche wie bei 2,4 mg subkutanem Semaglutid. Bei beiden Formulierungen verliere 1 Drittel der Patienten mehr als 20% ihres Ausgangsgewichts.
Semaglutid: Weltweit mehr Behandlungen durch die orale Galenik?
Wharton wies darauf hin, dass injizierbare GLP-1-Rezeptor-Agonisten weltweit für viele Menschen mit Adipositas nicht verfügbar seien. Länder, die injizierbares Semaglutid 2,4 mg (Wegovy®) auf den Markt gebracht hätten – Norwegen, Dänemark und die Vereinigten Staaten – gehörten zu den reichsten Nationen der Welt.
Eine Tablette könnte eine größere globale Reichweite haben und den Zugang zur Behandlung verbessern. Semaglutid 50 mg könnte eine langfristige Lösung für die Adipositas sein und die damit verbundenen Komorbiditäten verringern, sagte Wharton.
Das Bemerkenswerte an diesen Studien sei, dass „das Unternehmen in der Lage war, ein sensationelles Molekül zu produzieren, von dem viele Leute nicht dachten, dass es eine so bedeutende Wirkung haben würde“, kommentierte Wharton gegenüber Medscape.
„Für diejenigen, die es sich leisten können, es einzunehmen, hat es einen sehr schönen Platz in der Gesamttherapie, um zusätzliche Optionen zu bieten, die ähnlich wirksam sind. Ich halte es auch für möglich, dass wir die Chance haben, auch anderen Menschen neuere Medikamente zukommen zu lassen“, so Wharton.
Der Beitrag wurde von Michael van den Heuvel aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Credits:
Photographer: © Luchschen
Lead image: Dreamstime.com
Medscape Nachrichten © 2023
Diesen Artikel so zitieren: Hochdosiertes Semaglutid als Tablette lässt die Pfunde schmelzen – eine Option für viele Patienten mit Adipositas - Medscape - 13. Jul 2023.
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