MEINUNG

Die Leiden der Päpste: Ihre Krankheiten sind oft ein Tabu – ein Historiker über Wahrheit und Mythen um die Würdenträger

Marc Fröhling & Sebastian Schmidt

Interessenkonflikte

12. Juli 2023

Jahrhundertelang waren die Krankheiten von Päpsten ein absolutes Tabu. Entsprechend viele Mythen ranken sich darum. Coliquio blickt mit dem Arzt und Historiker Ronald D. Gerste hinter die Gemäuer des Vatikans und spricht mit ihm über die Leiden der Würdenträger.

Coliquio: Kürzlich wurde Papst Franziskus nach einer Bauchoperation aus dem Krankenhaus entlassen. Mittlerweile hat er seine Amtsgeschäfte wieder aufgenommen. Weshalb wurde der Papst operiert und wie geht es ihm aktuell?

Gerste: Papst Franziskus wurde am 7. Juni 2023 in der Gemelli-Klinik in Rom wegen einer eingeklemmten Laparozele, eines Narbenbruchs am Darm, operiert. Der Behandlung wurde entweder als Folge einer früheren, in seinem Heimatland Argentinien erfolgten chirurgischen Intervention oder einem 2021, den damaligen Angaben zufolge, wegen einer Divertikulitis durchgeführten Eingriffes vorgenommen. Die Operation soll 3 Stunden gedauert haben und gut verlaufen sein.

 
Der Papst hat wie einst die gekrönten Häupter und wie heute nicht wenige Staatsoberhäupter einen Leibarzt. Ronald D. Gerste
 

Allerdings war kurz danach von einer Fieberattacke die Rede. In der Folgezeit hatte er Atembeschwerden und bekam eine Atemtherapie. Inzwischen soll er soweit wieder hergestellt sein, dass er seine geplanten Reisen wahrscheinlich wird vornehmen können, zunächst zum katholischen Weltjugendtag nach Lissabon im August.

Coliquio: Was ist darüber hinaus über die Gesundheit des inzwischen 86-Jährigen bekannt? Generell scheint Franziskus – im Gegensatz zu seinen Amtsvorgängern – ja sehr offen mit seinen Gebrechen umzugehen.

Gerste: Grundsätzlich ist es im Vatikan wie in jedem anderen Staat: Von offizieller Seite wird bekannt gegeben, was sich ohnehin nicht lange unter Verschluss halten lässt. Und natürlich möchte keine Staatskanzlei, keine Regierungssprecherin sich hinterher verantworten müssen, wenn die Öffentlichkeit sich getäuscht fühlen könnte. Insoweit ist der Vatikan schon wesentlich weiter als noch zu Zeiten zum Beispiel von Papst Johannes XXIII. (1958-1963). Damals ließ man verlautbaren, der Heilige Vater sei „sehr müde“. Bald darauf starb er an einem Magenkarzinom.

Das ist in der Tat heute anders. Ende März war Papst Franziskus – ebenfalls in der Gemelli-Klinik – wegen einer Pneumonie stationär behandelt worden; auch da wurde die Öffentlichkeit umgehend informiert. Und richtig: Papst Franziskus selbst ist sehr offen und macht keinen Hehl daraus, dass ein der zehnten Lebensdekade entgegengehender menschlicher Körper zunehmend schwächer und anfälliger wird. Er hat ja auch recht ausführlich zu seinen Kniebeschwerden Stellung genommen.

Coliquio: Wie hat man sich die päpstliche medizinische Versorgung im Vatikan vorzustellen?

Gerste: Der Papst hat wie einst die gekrönten Häupter und wie heute nicht wenige Staatsoberhäupter einen Leibarzt. Es ist der Internist Roberto Bernabei. Bernabei ist Direktor der Schule für Spezialisierung in Geriatrie an der Katholischen Universität vom Heiligen Herzen in Rom – als Kardiologe und Geriater hat er zweifellos die bestmögliche Kompetenz für die Betreuung eines 86-jährigen Patienten.

Im täglichen Leben hat der Papst stets einen für Gesundheitsfragen zuständigen Assistenten in seiner Nähe, Massimiliano Strappetti, ein Mann mit immenser Erfahrung, der schon für die beiden Vorgänger von Franziskus, Benedikt XVI. und Johannes Paul II. gearbeitet hat.

Bernabei sorgt nicht nur für regelmäßige Untersuchungen und Check-ups; er ist auch dabei, wenn der Papst operiert wird. Solche Eingriffe und auch sonstige stationäre Eingriffe finden in aller Regel im Gemelli-Krankenhaus statt. Der volle Name dieses Universitätsklinikums lautet Fondazione Policlinico Universitario Agostino Gemelli; es ist mit mehr als 1.500 Betten das zweitgrößte Klinikum Italiens.

Eine komplette Station im zehnten Stock wird stets für den Papst in Bereitschaft gehalten und verfügt auch über Zimmer für das Begleitpersonal. Wenn ein Papst sich hier als Patient aufhält, hat er von dem auf dem Monte Mario gelegenem Klinikum einen schönen Ausblick auf den Vatikan.

Coliquio: Was kann man generell zur Kommunikation des Vatikans bei gesundheitlich angeschlagenen Päpsten sagen?

Gerste: Über Jahrhunderte vertrat man am Heiligen Stuhl die Auffassung, dass die Gesundheit eines Papstes die Gläubigen nichts angehe. Das entsprach der Auffassung weltlicher Regierungen, die bis weit ins 20. Jahrhundert hinein vor allem chronische Erkrankungen von Staatenlenkern zu Geheimnissen machten und, auf etwaige Leiden angesprochen, meist die Öffentlichkeit schlichtweg anlogen.

Im Falle der Päpste kommt hinzu, dass die beiden über Mittelalter und Neuzeit hinweg wahrscheinlich häufigsten Symptomatiken zahlreicher Oberhirten überhaupt nichts waren, was deren Schäfchen wissen mussten: zum einen Senilität und zum anderen die Gicht, das Leiden, welches den Freuden einer üppigen Tafel zu folgen pflegte. Und völlig undenkbar war natürlich, dass eine Syphiliserkrankung wie jene von Julius II. (1443-1513) publik wurde.

 
Über Jahrhunderte vertrat man am Heiligen Stuhl die Auffassung, dass die Gesundheit eines Papstes die Gläubigen nichts angehe. Ronald D. Gerste
 

So war es in der Tat eine Wende, als der Pressesprecher Johannes Pauls II., der Arzt Joaquín Navarro Valls, Absolvent der Deutschen Schule in Cartagena und später der Harvard-Universität, 1998 gegen ausgeprägten Widerstand in der Kurie die Parkinson-Erkrankung des Papstes sozusagen amtlich machte. Diese neue Offenheit machte aus der Not eine Tugend – der Tremor des Papstes wurde immer offensichtlicher.

Coliquio: Ein Papst kann jederzeit auf sein Amt verzichten. Dies geschieht jedoch höchst selten. Franziskus deutscher Amtsvorgänger Benedikt XVI. trat als erst zweiter Papst in der Geschichte freiwillig zurück. Als Grund nannte Benedikt, dass es im an der Kraft fehle, den Pflichten seines Amtes nachzukommen. Was ist inzwischen – nach seinem Ableben – über die gesundheitlichen Hintergründe des Rücktrittes bekannt geworden?

Gerste: Rücktritte von Päpsten sind in der Tat selten, und so liegen denn auch zwischen dem ersten, der diesen Schritt tat, Benedikt IX. von 1045, und Benedikt XVI., der je nach Zählweise wohl der sechste war, der eine „renunciatio“ vollzog, mehr als neuneinhalb Jahrhunderte. Da kommt schon ein wenig Bewunderung auf für all jene, die trotz gesundheitlicher Probleme und altersassoziierter Erschöpfung bis zum klassischen Ende ihres Pontifikats, dem physischen Ableben, durchgehalten haben.

Benedikts Anamnese ist ein Beispiel, dass die Offenheit im Umgang mit Gesundheitsinformationen im Vatikan keineswegs Standard ist. Es gab hier immer wieder Gerüchte und oft keine überzeugenden Antworten. Dass er einen Herzschrittmacher trug, wurde erst nach seinem Rücktritt bekannt. Einen leichten Schlaganfall (der zugegeben wurde) erlitt er bereits wenige Wochen nach seiner Amtsübernahme.

Nach seinem Rücktritt soll wohl auch eine Nierenerkrankung bestanden haben. Als es im Dezember 2022 zu Ende ging, sprach sein Nachfolger davon, dass Benedikt „sehr krank“ sei. Eine finale Diagnose kenne ich nicht – was aber ähnlich wie bei der fast gleichaltrigen Queen angesichts von fast einem Jahrhundert auf Erden verzichtbar erscheint.

Coliquio: Wenn wir noch weiter zurück ins 20. Jahrhundert blicken: Welche weiteren Beispiele gibt es für die Erkrankungen von Päpsten, die bis zuletzt geheim gehalten oder der Öffentlichkeit gar nicht mitgeteilt wurden?

Gerste: Neben dem schon erwähnten Johannes XXIII. muss man an Pius XII. denken: Hier führte die Geheimhaltung in Kombination mit dem merkwürdigen Verhalten des päpstlichen Leibarztes Riccardo Galeazzi-Lisi 1958 zu einer bizarren Episode. Dieser soll einem Journalisten gesagt haben, er würde das Fenster des päpstlichen Krankenzimmers öffnen als Zeichen, wenn der Heilige Vater gerade verstorben sei. Als eine Ordensschwester, die von dieser Absprache nichts wusste, für etwas Frischluft sorgen wollte, meldeten Nachrichtenagenturen den Tod des Papstes.

 
Benedikts Anamnese ist ein Beispiel, dass die Offenheit im Umgang mit Gesundheitsinformationen im Vatikan keineswegs Standard ist. Ronald D. Gerste
 

Queen Elisabeth und Bundeskanzler Konrad Adenauer schickten Kondolenz-Telegramme, während der Heilige Vater noch unter den Lebenden weilte (er starb am folgenden Tag). Riccardo Galeazzi-Lisi verkaufte dann noch Fotos von dem sterbenden Papst und von seiner Leiche an die Presse – er erhielt vom Vatikan lebenslanges Hausverbot.

Coliquio: Besonders erwähnenswert ist natürlich auch das rasche Ableben von Johannes Paul I im Jahr 1978 nach einer nur 33-tägigen Amtszeit zu nennen. Inwiefern hat sein medizinisches Umfeld zur Mythenbildung um den „lächelnden Papst“ beigetragen?

Gerste: Es sind viele Verschwörungstheorien ins Kraut geschossen, und das engste Umfeld dieses freundlichen Mannes, der wegen seiner unprätentiösen Art und dem Verzicht auf einige tradierte Rituale selbst in dieser kurzen Zeit sich Feinde in konservativen Kreisen gemacht hatte, hat seinen Teil dazu beigetragen. Seine Papiere, seine Schuhe, seine Brille verschwanden. Vor allem aber wurde eine Obduktion abgelehnt, welche die offizielle Todesursache Herzinfarkt hätte stützen – oder widerlegen – können.

Auch der Papst selbst trug dazu bei, als er bei seinen thorakalen Schmerzen am Abend vor seinem Tod darauf verzichtete, einen Arzt zu rufen. Es geht die These, dass im Vatikan kein Interesse an einer Obduktion bestanden hatte, weil dann bekannt geworden wäre, dass der neue Papst schwer herzkrank war. Dann hätte das Konklave 33 Tage zuvor einen Fehlgriff getan – es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Coliquio: Können Sie zum Abschluss von einer Lieblingsanekdote im Zusammenhang mit den Rätseln um die Gesundheit der Päpste des 20. und 21. Jahrhunderts berichten?

Gerste: Lassen Sie uns bei dem aktuellen Papst bleiben: Er ist ja ein Mann mit Humor. Als seine Kniebeschwerden manifest wurden – der Volksmund würde hier sicher den Begriff „Verschleiß“ bemühen – hat Franziskus gesagt: „Die Ärzte haben mir gesagt, dass nur alte Menschen so etwas bekommen – daher weiß ich gar nicht, warum ich das jetzt habe!“

Er hat es mit einem Augenzwinkern als Berufskrankheit klassifiziert – oder zumindest als eine Krankheit, die sein Metier, die organisierte Religion gern heimsucht: „Früher wurde diese Krankheit so bezeichnet, weil die Ordensschwestern so viel auf den Knien gebetet haben, dass sie davon krank wurden.“

Ronald D. Gerste: „Die Heilung der Welt“

In seinem Buch „Die Heilung der Welt“ nimmt der Arzt und Historiker Ronald D. Gerste die Leser mit auf eine spannende Reise in das goldene Zeitalter der Medizin. Die Jahrzehnte zwischen 1840 und 1918 gelten als eine Zeit voller umwälzender Ereignisse, Erfindungen und fortschrittlicher Neuerungen. Auch die Entwicklung hin zu einer modernen Medizin vollzog sich in diesen Jahren: das Verhältnis des Menschen zu seinem Körper und dessen Leiden veränderte sich nachhaltig.

Ronald. D. Gerste, geboren 1957, ist Arzt und Historiker. Seit seinen Studientagen fasziniert ihn der Einfluss, den medizinische Faktoren auf den Ablauf der Geschichte haben. Gerste lebt seit vielen Jahren als Korrespondent und Buchautor in Washington, D.C., und schreibt dort vor allem für die „Neue Zürcher Zeitung“ und die „FAS“, für „Damals“, für das „Deutsche Ärzteblatt“ und andere wissenschaftliche Zeitschriften.

Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Coliquio.de.

 

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