„Sinnlos, ärgerlich, weltfremd!“ Einigung bei der Krankenhausreform ist da – aber Krankenhausgesellschaft ist schwer enttäuscht

Christian Beneker

Interessenkonflikte

12. Juli 2023

Bund und Länder haben sich am Montag, 10. Juli 2023, in Berlin nach langem Ringen auf ein Eckpunktepapier zur Krankenhausreform geeinigt. Der Kompromiss hat zum Teil scharfe Kritik hervorgerufen. Vertreter der Krankenhausgesellschaften nannten ihn „sinnlos“. Dr. Susanne Johna, Chefin des Marburger Bundes, hält Teile des Kompromisses für „ärgerlich“ und „weltfremd“. Aber: 14 von 16 Bundesländer haben zugestimmt. Nur Bayern hat gegen das Papier gestimmt, Schleswig-Holstein hat sich enthalten.

Die wichtigsten neuen Regeln: Das bisherige System der Fallpauschalen wird gestrichen und ersetzt. Notwendige Kliniken bekommen so genannte Vorhaltepauschalen. Sie erhalten also Geld dafür, welche Leistungen sie erbringen können und anbieten, aber nicht mehr dafür, welche Leistungen sie erbracht haben. „Das heißt, sie bekommen eine Art Existenzgarantie, selbst wenn sie vergleichsweise wenige Behandlungen anbieten“, so das Bundgesundheitsministerium (BMG) auf seiner Homepage.

Lauterbach: Krankenhausreform ist „eine Revolution“

„Es ist eine Art Revolution“, kommentierte Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD). Bürokratisierung und ökonomischer Druck fielen weg. Auch Vereinbarungen zwischen Ärztinnen und Ärzten auf der einen Seite und den Klinikleitungen auf der anderen, wie viele Eingriffe gemacht werden müssen, gehörten dann der Vergangenheit an, so Lauterbach.

 
Die kleinen Kliniken können sich dann darauf konzentrieren, was sie besonders gut können, nämlich die einfachen Fälle versorgen. Prof. Dr. Karl Lauterbach
 

Durch die neuen Pauschalen kommt aber nicht mehr Geld ins System. Das Erlösvolumen wird nur anders aufgeteilt, so das Eckpunktepapier. 60% der Kosten einer Leistung sollen damit durch die Vorhaltepauschalen finanziert werden, dafür wird der Anteil der DRGs abgesenkt.

Die Kliniken müssen zukünftig bestimmten bundeseinheitlichen Qualitätskriterien genügen. Dazu weisen die Länder jedem ihrer Krankenhäuser eine Leistungsgruppe zu, die sich an der bisherigen Fallzahl und Fallschwere orientiert, so das Eckpunktepapier. Die Leistungsgruppen wiederum sind Voraussetzung für die Zuordnung einer Vorhaltepauschale.

„Die kleinen Kliniken können sich dann darauf konzentrieren, was sie besonders gut können, nämlich die einfachen Fälle versorgen“, erklärte Lauterbach. Sie können, wenn die Qualität stimme, auf dem Land existenzsichernd arbeiten, was derzeit wegen der einbrechenden Fallzahlen oft nicht mehr möglich sein. Insgesamt werde es aber eine Zentralisierung geben. So werden Patienten mit besonderen medizinischen Bedürfnissen auch in den dafür eingerichteten großen Häusern versorgt.

Besonderes Augenmerk legt das Eckpunktepapier auf die sektorübergreifende Level-1i-Häuser der ambulant/stationären integrierten Versorgung. Dies können regionale Gesundheitszentren sein oder andere ambulant-stationäre Einrichtungen. Sie sollen die wohnortnahe ambulante Versorgung der Bevölkerung sicherstellen und könnten zum Beispiel aus der Umwandlung bisheriger kleinerer Krankenhäuser erwachsen.

Die ganze Reform sei eine „Transparenzoffensive“, erklärte der Minister. Der Bund müsse nun die Qualität der Kliniken erheben, eine Aufgabe, die er ohne Hilfe der Länder stemmen will. Der Bund werde nach der Sommerpause ein eigenes Gesetz zur Transparenz vorlegen. Patienten hätten ein Recht darauf zu wissen, welches Krankenhaus welche Leistungen mit welcher Qualität anbietet, so das BMG. Die „Transparenz-Offensive“ soll am 1. Januar 2024 starten.

Kritiker bezeichneten die Reform als „sinnlos“ und „ärgerlich“

Uwe Zimmer, Geschäftsführer der Bremer Krankenhausgesellschaft, sagte gegenüber Medscape, die Einigung sei ein „sinnloses Papier“, weil die Kernprobleme der Krankenhäuser nicht angesprochen und nicht gelöst werden. Die Krankenhäuser fordern mehr Geld für den laufenden Betrieb. „Wie bei uns die nächste Gehaltserhöhung bezahlt werden soll, darüber haben sich Bund und Länder nicht unterhalten“, so Zimmer weiter. Wie in 3 Jahren irgendwas neu gestaltet werden soll, interessiere heute keinen. „Die Krankenhäuser sind kurz davor, in der Fläche zu verschwinden!“, warnte Zimmer.

 
Die Krankenhäuser sind kurz davor, in der Fläche zu verschwinden! Uwe Zimmer
 

Für die 1. Vorsitzende des Marburger Bundes Johna ist die geplante Krankenhausreform „eine Rechnung mit vielen Unbekannten“, wie die Vorsitzende am Dienstag sagte. Unklar sei etwa, wie die geplante Finanzreform und Neuformierung der Krankenhauslandschaft auf die Versorgung wirken werde. „Wir können uns keinen Blindflug leisten“, sagte Johna.

Als „weltfremd“ und „wirklich ärgerlich“ bezeichnete sie die Vorstellung, „man könne im größeren Umfang Ärztinnen und Ärzte an Häusern weiterbilden, die ein extrem eingeschränktes Leistungsspektrum haben“. Die Ärztekammern könnten unter diesen Umständen nicht mehr in freier Selbstbestimmung über Umfang und Dauer einzelner Weiterbildungsabschnitte entscheiden, sagte Johna. Schließlich vermisst Johna eine wirkliche Entbürokratisierung. Aus dem zentralen Ziel sei „bei näherer Betrachtung ein Papiertiger“ geworden. Ein paar Absichtserklärungen und Prüfaufträge genügten nicht. 

 
Wir können uns keinen Blindflug leisten. Dr. Susanne Johna
 

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) argumentiert, den 1i-Häusern werde womöglich das Personal fehlen. „Wer soll all die Leistungen erbringen?“, fragt Dr. Andreas Gassen, Vorstand der KBV. „Die spannende Frage wird sein, ob man genügend Personal wird gewinnen können. Mitwirken könnten natürlich niedergelassene Hausärzte und Fachärzte, die diese Arbeit neben ihrer Praxistätigkeit leisten müssten. Da werden die Rahmenbedingungen entscheidend sein, ob die Kolleginnen und Kollegen mitmachen oder nicht.“

 
Die spannende Frage wird sein, ob man genügend Personal wird gewinnen können. Dr. Andreas Gassen
 

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