Weniger als die Hälfte neu zugelassener Krebsmittel bieten Mehrwert; junge Krebsüberlebende leiden oft an Angst und Depression

Dr. Susanne Heinzl

Interessenkonflikte

11. Juli 2023

Im Onko-Blog dieser Woche berichten wir über einige neue Substanzen, wie den hochselektiven VEGFR-Inhibitor Fruquitinib, den bispezifischen HER2-Antikörper Zanidatamab und den nichtreversiblen Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitor Pirtobrutinib. Und wir stellen eine Studie vor, nach der weniger als die Hälfte der neu zugelassenen Arzneimittel in den USA und Europa für die Patienten im Vergleich zur bisherigen Medikation einen Mehrwert bieten.

  • Refraktäres metastasiertes Kolorektalkarzinom: Fruquitinib als neue Therapieoption?

  • HER2-positives Gallenwegskarzinom: Zanidatamab zeigt klinischen Nutzen

  • CLL: Gutes Ansprechen auf Pirtobrutinib in der BRUIN-Studie

  • Mantelzell-Lymphom: Weitere Daten zu Pirtobrutinib

  • Neue Zulassungen: Weniger als die Hälfte haben Zusatznutzen im Vergleich zur bisherigen Therapie

  • Überleben nach Krebs: Jüngere haben höheres Risiko für Depressionen und Angstzustände

Refraktäres metastasiertes Kolorektalkarzinom: Fruquitinib als neue Therapieoption?

Nach den im  Lancet  publizierten Ergebnissen der Phase-3-Studie FRESCO-2 steht mit dem VEGFR-Hemmer Fruquitinib eine neue Option zur Behandlung von Patienten mit refraktärem metastasiertem Kolorektalkarzinom zur Verfügung. Im Vergleich zur Placebo verlängerte Fruquitinib das Gesamtüberleben der Patienten signifikant von 4,8 auf 7,4 Monate im Median.

Fruquitinib ist ein hochselektiver oral applizierbarer Hemmer von VEGFR 1, 2 und 3. Bereits in der Phase-3-Studie FRESCO in China hatte Fruquitinib im Vergleich zu Placebo das Gesamt- und das progressionsfreie Überleben verbessert. Weil in China jedoch andere Vortherapien als weltweit üblich verwendet werden, wurde es nun in der internationalen, doppelblinden, randomisierten FRESCO-2-Studie bei 691 Patienten mit median 4 Vortherapien u.a. mit Regorafenib und/oder Trifluridin/Tipiracil im Vergleich zu Placebo untersucht.

Patienten der Fruquitinib-Gruppe überlebten im Median 7,4 Monate, die der Placebo-Gruppe 4,8 Monate (HR 0,66, p<0,0001). Nebenwirkungen vom Grad ≥ 3 traten bei 63% unter Fruquitinib und bei 50% unter Placebo auf. In der Fruquitinib-Gruppe waren dies vor allem Bluthochdruck (14%), Asthenie (8%) und Hand-Fuß-Syndrom (6%). 

HER2-positives Gallenwegskarzinom: Zanidatamab zeigt klinischen Nutzen

Der bispezifische Antikörper Zanidatamab zeigt bei Patienten mit therapierefraktärem, HER2-positiven Gallengangskrebs einen klinischen Nutzen mit einer Ansprechrate von 41,3%. Eine internationale Arbeitsgruppe hat diese Ergebnisse der einarmigen Phase-IIb-Studie HERIZON-BTC-01 beim ASCO-Kongress 2023 vorgestellt und parallel in  Lancet Oncology  publiziert. 

Zanidatamab ist ein bispezifischer Antikörper, der an 2 Antigen-bindenden Domänen an HER2 andockt und dadurch hemmt. HER2 ist bei 19–31% der Fälle von Gallenblasenkrebs, 17–18 % des extrahepatischen Cholangiokarzinoms und 3,7–4,8% des intrahepatischen Cholangiokarzinoms mutiert, verstärkt oder überexprimiert.

Alle in die Studie eingeschlossenen Patienten hatten eine Progression ihrer Erkrankung, nachdem sie zuvor mindestens eine Gemcitabin-haltige Chemotherapie erhalten hatten. 

Von 80 mit Zanidatamab behandelten Patienten, die im Median 12,4 Monate nachbeobachtet wurden, sprachen 33 (41,3%) auf die Therapie an. Die Krankheitskontrollrate lag bei 68,8%. Das Ansprechen hielt 12,9 Monate im Median an, das progressionsfreie Überleben dauerte 5,5 Monate. Bei 16 Patienten (18%) kam es zu Nebenwirkungen vom Schweregrad ≥ 3, vor allem Durchfall und reduzierte Auswurffraktion. 

Nach Meinung der Autoren unterstützen diese Ergebnisse den Einsatz von Zanidatamab als künftige Therapieoption bei Patienten mit HER2-positivem Gallenwegskarzinom.

 

CLL: Gutes Ansprechen auf Pirtobrutinib in der BRUIN-Studie

73% der Patienten mit stark vorbehandelter chronisch lymphatischer Leukämie (CLL) oder kleinzelligem lymphozytischem Lymphom (SLL) sprachen auf den reversiblen (nichtkovalenten) Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitor (BTK-Inhibitor) Pirtobrutinib an. Häufigste Nebenwirkungen waren Infektionen, Blutungen und Neutropenie. Diese Ergebnisse der multizentrischen Phase-1/2-Studie BRUIN hat eine internationale Arbeitsgruppe im  New England Journal of Medicine  publiziert.

247 Patienten, die im Median mit 3 Therapien vorbehandelt waren und dabei auch einen nichtreversiblen BTK-Hemmer wie z.B. Ibrutinib, Acalabrutinib oder Zanubrutinib erhalten hatten, erhielten orales Pirtobrutinib bis zur Krankheitsprogression oder inakzeptablen Toxizität.

Insgesamt sprachen 73,3% der Pstienten auf Pirtobrutinib an, 4 Patienten (1,6%) erreichten eine vollständige Remission, 176 Patienten (71,3%) ein partielles Ansprechen. In einer Untergruppe von 100 Patienten, die mit einem BTK-Inhibitor und mit dem BCL2-Hemmer Venetoclax vorbehandelt waren, betrug das Gesamtansprechen 70%. 

Die Patienten erreichten ein mittleres progressionsfreies Überleben von 19,6 Monaten. 

Fazit der Autoren: „Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Wiederherstellung der BTK-Hemmung mit Pirtobrutinib eine potenzielle Therapieoption darstellt, unabhängig davon, ob die vorherige Therapie mit kovalenten BTK-Inhibitoren aufgrund von Krankheitsprogression, toxischen Wirkungen oder anderen Gründen abgebrochen worden ist.“

Mantelzell-Lymphom: Weitere Daten zu Pirtobrutinib

Weitere Daten aus der BRUIN-Studie zu vorbehandelten Patienten mit Mantelzell-Lymphom hat die internationale Arbeitsgruppe im  Journal of Clinical Oncology  veröffentlicht.

Bei mit nichtreversiblen BTK-Inhibitoren vorbehandelten Patienten mit refraktärem/rezidiviertem Mantelzell-Lymphom (r/r-MCL) konnte mit Pirtobrutinib eine Ansprechrate von 57,8% erzielt werden, wobei 20% komplett ansprachen. Bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 12 Monaten dauerte das Ansprechen im Median 21,6 Monate. 

Pirtobrutinib wurde gut vertragen und es gab nur wenige Behandlungsabbrüche wegen Nebenwirkungen.

Pirtobrutinib ist damit der erste nichtkovalente (reversible) BTK-Inhibitor, der nach vorheriger Behandlung mit einem nichtreversiblen BTK-Hemmer bei stark vorbehandeltem r/r-MCL eine anhaltende Wirkung zeigt.

Neue Zulassungen: Weniger als die Hälfte haben Zusatznutzen im Vergleich zur bisherigen Therapie

Trotz der hohen Zahl an neu zugelassenen Medikamenten in den USA und Europa bietet nicht einmal die Hälfte den Patienten einen therapeutischen Mehrwert im Vergleich zu bisher verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten. Dies gilt vor allem für ergänzend zugelassene Indikationen. Eine internationale Arbeitsgruppe unter Schweizer Leitung hat diese Ergebnisse einer retrospektiven Kohortenstudie im  British Medical Journal  publiziert.

Die Kohortenstudie erfasste 124 erste und 335 zusätzliche Indikationen, die von der FDA, sowie 88 erste und 215 zusätzliche Indikationen, die von der EU-Kommission zwischen 2011 und 2020 genehmigt worden waren. Die größte Untergruppe stellten die Krebstherapeutika. Berücksichtigt wurden die Nutzen-Bewertungen deutscher und französischer Behörden.

Unter den von der FDA zugelassenen Indikationen mit verfügbaren Bewertungen wiesen 41% (44/107) eine hohe therapeutische Bewertung für die erste Indikation und 34% (61/179) bei den weiteren Indikationen auf. In Europa wurden 47% (41/87) der 1. und 36% (67/184) der ergänzenden Indikationen positiv bewertet. 

„Die behördliche Zulassung wird allzu oft mit einer Überlegenheit gegenüber bestehenden Behandlungen gleichgesetzt. Die Tatsache, dass neu nicht unbedingt besser bedeutet, muss sowohl den Patienten als auch den Ärzten klar kommuniziert werden“, schreibt Dr. Beate Wieseler, Ressortleiterin Arzneimittelbewertung beim IQWiG, im begleitenden Editorial. Außerdem bemängelt sie, dass in den USA neue Substanzen nicht systematisch bewertet werden. 

Obwohl die Ergebnisse ernüchternd seien, stünden sie nicht „im Widerspruch zur aktuellen Gesetzgebung zur Arzneimittelzulassung“. Wieseler: „Weder US-amerikanische noch europäische Regulierungsbehörden verlangen für die Zulassung eines neuen Arzneimittels einen Nachweis eines Mehrwerts gegenüber bestehenden Behandlungen, sondern lediglich ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis.“

Es gäbe zwar Argumente neue Medikamente mit ähnlichen Eigenschaften wie bereits zugelassene Substanzen zur Verfügung zu haben. 

Aus Wieselers Sicht besteht jedoch keinen Grund, Anreize für ihre Entwicklung und Zulassung zu schaffen: „Um echte klinische Innovation zu fördern, sollten Anreize gezielt die Entwicklung von Medikamenten mit nachgewiesenem Mehrwert für Patienten belohnen.“

Überleben nach Krebs: Jüngere haben höheres Risiko für Depressionen und Angstzustände

Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die eine Krebserkrankung überstanden haben, haben im Vergleich zu ihren Geschwistern und nicht an Krebs erkrankten Kontrollpersonen ein erhöhtes Risiko, an Depressionen, Angstzuständen und psychischen Erkrankungen zu leiden. Ein systematischer Review und eine Metaanalyse mit 52 Studien führte zu diesem in  JAMA Pediatrics  von einer Arbeitsgruppe aus Singapur publizierten Ergebnis.

Die jungen Patienten hatten im Vergleich zu Kontrollpersonen ein lebenslang erhöhtes Risiko an einer Depression (RR 1,57), Angstzuständen (RR 1,29) oder Psychosen (RR 1,56) zu erkranken. Die Suizidsterblichkeit war nicht signifikant erhöht.

Bei Patienten unter Therapie und bei Langzeitüberlebenden war der mittlere Schweregrad der Depression erhöht, während der mittlere Schweregrad von Angstzuständen nur während der Behandlung erhöht war.

Weil diese Patientengruppe möglicherweise sehr lange einer dauerhaften psychischen Belastung ausgesetzt ist, wird eine rechtzeitige Erkennung, Prävention und psychoonkologische Intervention bei psychischer Komorbidität empfohlen.

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