Patienten mit Defibrillator (ICD) leiden häufig unter Angst, Depression und PTBS – Ärzte fragen nicht, lassen sie damit allein

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

6. Juli 2023

Patienten mit einem implantierbaren Kardioverter-Defibrillator (ICD) leiden fast doppelt so häufig an Angststörungen oder Depressionen als die Allgemeinbevölkerung. Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) kommen bei ihnen sogar 6- bis 12-mal häufiger vor. Das zeigt eine Metaanalyse von 109 klinischen Studien, deren Ergebnisse jetzt in EP Europace veröffentlicht wurden [1].

„ICDs verlängern das Leben der Patienten effektiv, aber wir müssen sicherstellen, dass es ein Leben von guter Qualität ist“, betont Seniorautorin Prof. Dr. Hannah Keage vom Cognitive Ageing and Impairment Neurosciences Laboratory der University of South Australia in Adelaide, Australien. Angesichts der hohen Raten an affektiven Störungen bei Menschen mit ICD müsse eine psychologische Beurteilung und Behandlung in die Routineversorgung dieser Patienten integriert werden.

Dass es bei ICD-Patienten zu einer PTBS kommen kann und PTBS-Symptome sogar das Sterberisiko von ICD-Patienten erhöhen, zeigten Prof. Dr. Karl-Heinz Ladwig und seine Kollegen bereits 2008 in einer Studie mit Patienten des Deutschen Herzzentrums in München. Schon damals kamen die Forschenden zu dem Schluss, dass ICD-Patienten „einer routinemäßig zum Einsatz kommenden interdisziplinären psychosozialen Nachsorge bedürfen“.

Wie ein plötzlicher Faustschlag vor die Brust

Prof. Dr. Malte Meesmann, Sprecher der Arbeitsgruppe Psychosoziale Kardiologie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), stimmt dem im Gespräch mit Medscape zu: „Das Problem der ICD-Therapie ist, dass sie das Auftreten der Herzrhythmusstörung nicht verhindern kann. Sie kann die auftretende, oftmals lebensbedrohliche Herzrhythmusstörung nur beenden“, erklärt er.

Prof. Dr. Malte Meesmann

Oftmals könne ein Herzrasen aus der Kammer mit nicht-spürbaren Strompulsen beendet werden. Komme es aber im Rahmen der ICD-Therapie zu einem Schock, sei das in der Regel nicht wirklich schmerzhaft, könne aber einen riesigen Schreck verursachen. „Es ist, als würde einem jemand ohne Vorwarnung plötzlich einen Faustschlag vor die Brust setzen. Dies kann eine traumatisierende Wirkung haben“, so der niedergelassene Psychokardiologe.

 
ICDs verlängern das Leben der Patienten effektiv, aber wir müssen sicherstellen, dass es ein Leben von guter Qualität ist. Prof. Dr. Hannah Keage
 

In Positionspapieren von 2013 und 2018 (welches in diesem Jahr in überarbeiteter Form neu veröffentlicht werden wird) empfahl die DGK bereits, dass Patienten mit ICD auf eine Depression, Angsterkrankung und posttraumatische Symptome gescreent werden sollten.

Kein ausreichendes Screening auf psychische Symptome

Eine Empfehlung, die noch nicht ausreichend Umsetzung findet, wie Meesmann betont: „Leider gibt es noch ein gewisses Wissens- und Handlungsdefizit bei den betreuenden Kardiologen, die keine ausreichende Ausbildung, manchmal aber auch einfach nicht genug Zeit haben, um sich diesen Aspekten der Krankheit zu widmen.“

Die Metaanalyse, die Keage, Erstautorin Erica Ghezzi und ihre Kollegen durchführten, umfasst 109 Studien mit insgesamt 39.954 Patientinnen und Patienten mit ICD. In einem Nachbeobachtungszeitraum von mehr als 12 Monaten traten bei 23% von ihnen Angststörungen, bei 15% Depressionen und bei 12% eine PTBS auf. Laut der European Society of Cardiology werden die entsprechenden Raten in der Allgemeinbevölkerung auf 13%, 7% und 1-2% geschätzt.

 
Das Problem der ICD-Therapie ist, dass sie das Auftreten der Herzrhythmusstörung nicht verhindern kann. Sie kann die … Herzrhythmusstörung nur beenden. Prof. Dr. Malte Meesmann
 

Bei etwa 30% der ICD-Patienten kam es in den ersten beiden Jahren nach der Implantation zu einer Auslösung des ICD. Diese Patienten wiesen 4-mal häufiger Angststörungen und fast doppelt so häufig Depressionen auf als diejenigen, die noch keinen ICD-Schock erlebt hatten.

Affektive Störungen in den ersten Monaten besonders häufig

Keage und ihre Kollegen merken an, dass die Raten an Angststörungen und Depressionen in den ersten Monaten nach der Implantation des Geräts am höchsten gewesen seien:

  • In den ersten 5 Monaten hatten 32% der ICD-Patienten eine Angststörung und 23% eine Depression.

  • 6 bis 12 Monate nach der Implantation waren die Erkrankungsraten auf 29% und 21% gesunken.

  • Zu einer weiteren Abnahme auf 22% und 15% kam es nach Ablauf des ersten Jahres.

Für eine zeitlich gestaffelte Auswertung der PTBS-Raten reichten die Daten nicht aus.

 
Leider gibt es noch ein gewisses Wissens- und Handlungsdefizit bei den betreuenden Kardiologen. Prof. Dr. Malte Meesmann
 

Der Rückgang der affektiven Störungen im Zeitverlauf könnte Keage zufolge mehrere Gründe haben, etwa dass die Patienten psychologische Unterstützung erhalten oder sich zunehmend mit ihrem neuen Leben arrangieren. „Wir können aber auch nicht ausschließen, dass gesündere Menschen länger an Studien teilnehmen, während diejenigen mit angeschlagener Gesundheit diese eher vorzeitig abbrechen“, betont sie.

Die Familien leiden mit

An den 109 Studien, die die Forschungsgruppe analysierte, hatten teils auch Angehörige von ICD-Patienten sowie Herzpatienten ohne ICD teilgenommen. Es zeigte sich, dass 23% der Lebenspartner von ICD-Patienten nach dem Einsetzen des Geräts eine Angststörung aufwiesen und 14% eine Depression – was in etwa den Raten bei den ICD-Patienten selbst entsprach.

Dass die Lebenspartner von ICD-Patienten auch stark von Ängsten und Depressionen betroffen waren, überrascht Keage nicht: „Die Angehörigen machen sich Sorgen, dass der geliebte Mensch operiert wird und möglicherweise elektrischen Schocks ausgesetzt ist.“

Ängste und Depression auch ohne ICD häufig

Allerdings wiesen auch Herzpatienten ohne ICD vergleichbare Raten an affektiven Störungen auf wie die Patienten mit ICD. Das wiederum kommt für Meesmann nicht überraschend: „Herzpatienten leiden generell häufig an Ängsten und Depressionen. Und das kann den Verlauf einer Herzerkrankung verschlimmern. Depressionen lösen Stress aus, und Stress heizt die kardiologische Erkrankung an.“ Darüber hinaus gehen die psychischen Probleme oft mit einer reduzierten Therapieadhärenz und einem ungesünderen Lebensstil einher.

 
Herzpatienten leiden generell häufig an Ängsten und Depressionen. Prof. Dr. Malte Meesmann
 

Keage kritisiert, dass Psychologen an der Behandlung von Herzpatienten bislang kaum beteiligt sind. „Das muss sich ändern. Ich würde Patienten und ihre Partner ermutigen, sich Hilfe zu suchen, wenn ihr Stimmung gedrückt ist oder sie sich übermäßig viele Sorgen machen, da es evidenzbasierte Behandlungsmöglichkeiten für Angststörungen, Depressionen und PTBS gibt“, betont sie.

Erste Anlaufstelle ist die kardiologische Praxis

Dem Kardiologen kommt hier eine wichtige Vermittlerfunktion zu. Es ist seine Aufgabe, psychosoziale Probleme bei seinen Patienten zu erkennen, weshalb ein routinemäßiges Screening so wichtig ist: „Die Patienten gehen wegen der Herzerkrankung primär zum Kardiologen, und wenn psychische Probleme auftreten, dann sollte das primär vom Kardiologen erfasst werden“, betont Meesmann. „Und wenn Probleme festgestellt werden, können diese im Rahmen einer supportiven Therapie direkt angesprochen und bei Bedarf Kontakt zu einem Psychotherapeuten vermittelt werden, der dann den Patienten mitbetreut.“

 
Die Ärzte sollen nicht nur Kathetern und Herzultraschall lernen, sondern auch, wie man ein Gespräch mit Patienten führt, die psychosoziale Probleme haben. Prof. Dr. Malte Meesmann
 

Der Sprecher der DGK-Arbeitsgruppe Psychosoziale Kardiologie berichtet weiter, dass von Ärzten in der Facharztweiterbildung Innere Medizin/Kardiologie mittlerweile Basiskompetenzen in der psychosozialen Versorgung von Herzpatienten verlangt werden. „Die Ärzte sollen nicht nur Kathetern und Herzultraschall lernen, sondern auch, wie man ein Gespräch mit Patienten führt, die psychosoziale Probleme haben“, so Meesmann.

Es gibt die Möglichkeit zur psychokardiologischen Weiterbildung

Basiskurse können neuerdings im Rahmen der Facharztweiterbildung absolviert werden. Darüber hinaus bietet die DGK einen 80-stündigen Kurs zur Psychokardiologischen Grundversorgung an. „Der Kurs wird sehr gerne besucht, es gibt bereits Hunderte Absolventen, die sich diesbezüglich geschult haben und diese Kompetenzen in der Weiterversorgung der Patienten einbringen können“, so Meesmann.

Wichtig: Der Kurs kann und wird auch von Psychologen und Psychotherapeuten besucht. Denn nicht jeder Psychotherapeut sollte Meesmann zufolge ICD-Patienten betreuen: „Psychotherapeuten, die mit der ICD-Therapie nicht vertraut sind, könnten Ängste der Patienten sogar verstärken, deshalb sollte der Psychotherapeut diesbezüglich informiert sein.“

In dem Kurs werden die Psychotherapeuten nicht nur kardiologisch geschult, sie haben auch die Möglichkeit, Kontakte zu Kardiologen für künftige Kooperationen zu knüpfen. Denn trotz aller zeitlichen Einschränkungen in der kardiologischen Praxis, die Patienten sollten mit der Suche nach einem geeigneten Psychotherapeuten nicht allein gelassen werden.

„Ich rufe in solchen Fällen selbst bei einem geeigneten Psychotherapeuten an, den ich für eine gemeinsame Betreuung des Patienten mit ins Boot hole“, sagt Meesmann. Anderenfalls seien die Patienten mit den langen Wartezeiten auf einen Psychotherapieplatz konfrontiert, auch wenn sie sich mit ihrer PTBS in großer Not befänden.

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Kommentar

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