MEINUNG

Onkologie im Gespräch: Wie die neuen Studien die Therapie von Darmkrebs verbessern und „dem Patienten Toxizität ersparen“

PD Dr. Georgia Schilling, Prof. Dr. Dirk Arnold

Interessenkonflikte

9. November 2023

Strahlentherapie minimieren, neoadjuvant starten, weniger Nebenwirkungen: PD Dr. Georgia Schilling interviewte Prof. Dr. Dirk Arnold auf dem ESMO zum Feintuning der Therapie von Kolon- und Rektumkarzinom. 

Transkript des Videos von PD Dr. Georgia Schilling:

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer,

mein Name ist Georgia Schilling, ich bin leitende Oberärztin des Asklepios-Tumorzentrums in Hamburg. Neben mir sitzt Prof. Dr. Dirk Arnold, der medizinische Direktor dieses Tumorzentrums.

Wir machen diese Sessions jetzt schon einige Jahre und ich freue mich, dass Du wieder mitmachst und uns Deine Einschätzungen zu aktuellen Studien im Bereich der gastrointestinalen Tumoren mitteilst.

Neoadjuvante Therapie beim Rektumkarzinom

Beginnen wir mit dem Rektumkarzinom an. Ich habe das Gefühl, dass hier derzeit viel Therapieoptimierung betrieben wird. Dazu sind jetzt aktuell 2 Studien vorgestellt worden, beide aus China, wie viele Dinge bei diesem Kongress.

Zum einen geht es um die die neoadjuvante Chemo versus Radiochemotherapie. Wie ist hierzu Deine Einschätzung?

Arnold: Es ist eher ein Jahr der Deeskalation der Therapieintensität. Wir hatten im Sommer beim ASCO-Kongress die PROSPECT-Studie gesehen, in der bei fast 1.200 Patienten zum ersten Mal randomisiert die langjährige Standard-Strahlenchemotherapie gegen eine neoadjuvante Chemotherapie verglichen wurde. Es zeigte sich, dass bei Good-Risk-Patienten, also Patienten mit einem lokalen Rezidivrisiko von maximal 2 bis 3%, beide Regime valide Therapieoptionen sind mit unterschiedlichen Toxizitätsprofil, das vielleicht etwas günstiger nur für die Chemotherapie ist.

Genau das haben wir jetzt auch in dieser randomisierten Studie aus China gesehen, der CONVERT-Studie mit knapp 600 Patienten [1]. Zu den rund 1.200 Patienten aus der PROSPECT-Studie kommen nun nochmals 600 Patienten dazu. Die Studie hatte die gleiche Fragestellung und das gleiche Ergebnis. Die Lokalrezidiv-Raten waren sehr gering, die Kurven liegen genau übereinander. Im Vergleich zur amerikanischen Studie war die Chemotherapie mit nur 4 Zyklen CAPOX kürzer, das ist nicht viel an Systemtherapie. Die Rate an Patienten ohne Lokalrezidiv liegt bei beiden Studien in allen Armen um 97 bis 98%. Das krankheitsfreie Überleben und das Gesamtüberleben sind gleich. M. E. können wir uns bei vielen Patienten eine Strahlentherapie sparen und das durch eine Chemotherapie oder Systemtherapie angehen.

Schilling: Da bin ich gespannt. Man kann dem Patienten damit tatsächlich Toxizität ersparen. Vor allem mit 4 Zyklen CAPOX erhält er weniger Oxalipatin, was natürlich ein großer Fortschritt ist.

Arnold: Richtig. M.E. ist dies jetzt eher eine den Standard bestätigende Studie. Wahrscheinlich ist die Konsequenz in der Tat, dass man sich in seinen Algorithmen in der Klinik zurechtlegen muss, wann eine neoadjuvante Chemotherapie der Standard schlechthin ist, da kommt – wie gesagt – eine ganze Reihe von Patienten in Frage.

Schilling: Die 2. chinesische Studie ist ja im Prinzip auch eine Deeskalation der Strahlentherapie, untersucht wurden neoadjuvant Kurzzeitbestrahlung + Immuncheckpoint-Inhibitor gegen Langzeitbestrahlung jeweils gefolgt von Chemotherapie. Wird das ein neuer Standard?

Arnold: Ja, diese Studie finde ich wissenschaftlich gesehen noch viel spannender. Das ist eine randomisierte Phase-3-Studie mit nur 230 Patienten (UNION) [2], aber es sind Patienten mit sehr ungünstiger Prognose. Das zeigt sich im Kontrollarm, wo die Patienten intensiv mit einer Radiochemotherapie und einer anschließenden Systemtherapie behandelt worden sind. Das war ein klassisches TNT-Schema (totale neoadjuvante Radiochemotherapie). Im experimentellen Arm wurde die Strahlentherapie deintensiviert mit einer Kurzzeitbestrahlung über nur 5 Tage. Nachfolgend erhielten die Patienten eine Chemotherapie (CAPOX) plus den PD1-Antikörper Camrelizumab.

In dieser Studie gab es einen frühen Endpunkt, nämlich die pathologische Komplettremission (pCR). Sie ist mit der Kurzzeitbestrahlung plus Immunchemotherapie mehr als doppelt so hoch wie mit der normalen totalen neoadjuvanten Therapie (39,8 versus 15,3%). Das ist sensationell, dass die viel weniger intensive Bestrahlung mit der Modulation durch die Immunchemotherapie so intensiv ist, dass sie im lokalen Endpunkt mehr als eine Verdopplung der pCR-Rate hat. Wir wissen noch nicht, was das für das Überleben und das progressionsfreie Überleben heißt. Aber die lokale Wirksamkeit ist offenbar massiv geboostert. Die Strahlenintensität kann auch zurück gefahren werden durch eine bessere Strahlenmodulation.

Schilling: Die Operation wird uns das aber nicht ersparen, wenn wir eine pathologische Komplettremission erreichen. Vielleicht können wir die kombinierte Therapie mit Camrelizumab verlängern und noch mehr pathologische Komplettremissionen induzieren?

Arnold: Da war schon eine ganze Menge Camrelizumab auch im adjuvanten Teil dabei. Aber diesen Effekt können wir noch gar nicht absehen, weil bis jetzt nur der frühe Endpunkt vorliegt. Diese Frage ist jedoch in der Tat berechtigt. Eine pathologische Komplettremissionsrate von 39% heißt, dass bei 4 von 10 behandelten Patienten die Operation, wenn man das in einem größeren Setting bestätigt, nicht mehr notwendig ist. Der Tumor ist eigentlich komplett eradiziert. Das weist schon in die Richtung dieser totalen neoadjuvanten Therapie, die nicht immer eine Intensivierung der Bestrahlung und der Chemotherapie sein muss.

Schilling: Das waren jetzt alle Tumoren eingeschlossen, nicht nur spezielle MSI-High-Tumoren?

Arnold: Ja, das waren alle Tumoren.

Schilling: Da kann es ja noch mal ganz anders aussehen?

Arnold: Definitiv.

Neoadjuvante Therapie des Kolonkarzinoms

Schilling: Das ist richtig spannend. Dann schwenken wir zum Kolonkarzinom, wo auch immer stärker molekulare Therapien eingesetzt werden. Die ganzen Studien, in denen noch die alten Regime verglichen wurden, sind mittlerweile fast schon langweilig. Viel spannender sind die molekularen Ansätze. Letztes Jahr ist auf dem ESMO-Kongress die NICHE-2-Studie mit fantastischen Daten präsentiert worden. Jetzt ist die NICHE-3-Studie vorgestellt worden, also die neoadjuvante Behandlung des lokal fortgeschrittenen MSI-High-Kolonkarzinoms mit Nivolumab/Relatlimab [3]. Wie ordnest Du die Daten ein, gerade im Hinblick auch auf die NICHE-2-Studie?

Arnold: Wir bleiben beim Thema der neoadjuvanten Therapie in der Frage, wie weit können wir nicht nur eine adjuvante Therapie, sondern möglicherweise auch die Operation sparen. So weit will ich aber gar nicht gehen. In der NICHE-3-Studie mit zwar nur 19 Patienten haben wir gesehen, dass die Kombination eines PD-1-Inhibitors mit einem Anti-LAG3-Antikörper eine extrem hohe Rate an pathologischen Komplettremission von über 80% induziert hat, also über 80% des Tumors ist weg, die sind alle operiert worden. Das zeigt, da ist unglaublich viel Dynamik, unglaublich viel Wirksamkeit drin, wenn eine Immuntherapie bei MSI-High-Situation auf den Primarius-Kopf stößt. Bei den metastasierten Stadien sieht es ein bisschen anders, da ist die Therapie nicht ganz so erfolgreich, aber bei den Lokalen ist es großartig.

Schilling: Ich habe mich jetzt gefragt, warum macht man 2 Studien in einem ähnlichen Design, nur mit einem anderen Checkpoint-Inhibitor?

Arnold: Das ist ein klassisches Window-of-Opportunity-Design. Man kann dabei nichts verlieren, man kann nur gewinnen. Wir testen, wie diese Substanzen wirken, wir haben ein frühes Read out mit der pCR-Rate, wenn die Tumoren reseziert werden, und die werden alle reseziert.

Klinisch ist es jetzt nicht unbedingt notwendig gewesen, diese Therapie durchzuführen, sondern diese beiden Studien NICHE-2, NICHE-3 und ich weiß nicht, was noch kommt, sind eher Plattformstudien, die feststellen sollen, welche Checkpoint-Inhibitor-Kombination am potentesten ist.

Schilling: Aber man soll ja nicht Äpfel mit Birnen vergleichen, also nicht Studie mit Studie. Würdest Du Dich nach der Datenlage jetzt entscheiden?

Arnold: Das weiß ich jetzt nicht. Die schließen noch weitere 40 Patienten ein, dann sind wir bei 60. Wenn bei 60 Patienten immer noch eine pCR-Rate von über 80% besteht, ist das stärker als die andere Kombi bei 60 Patienten gezeigt hat. Aber wir werden sehen, beides sind Plattformstudien.

Ganz wichtig, wir haben noch keine Informationen, wie das biologische Korrelat ist, also aus den Biopsaten, den Resektaten haben wir noch keinerlei biologische Informationen außer der pathologischen Remission.

Schilling: Die KEYNOTE-177-Studie wurde upgedatet, es wurden die 5-Jahres-Daten gezeigt mit einer Verdopplung des Gesamtüberlebens im experimentellen Arm mit Pembrolizumab im Vergleich zu einer Standardchemotherapie [4]. Reichen Dir die Daten aus, um das jetzt in die Praxis umzusetzen?

Arnold: Ja, das ist schon ein Standard aufgrund der deutlichen Verlängerung des progressionsfreien Überlebens gewesen. Wir hatten auch schon in der ersten Analyse mit kurzem Follow-Up gesehen (wenig Events, weil Patienten lange leben), dass sich im Gesamtüberleben ein Vorteil für Pembrolizumab andeutet. Der Überlebensvorteil ist bei dem medianen Follow-Up von 73,3 Monaten stabil mit im Median 77,5 Monaten versus 35,5 Monaten (HR 0,73).

Der Überlebensvorteil liegt absolut gesehen auch nach 5 Jahren bei etwa 10 Prozentpunkten. Das ist deutlich besser und es ist besser, obwohl 62% der Patienten, die mit Chemotherapie behandelt worden waren, einen Crossover hatten. Das heißt im Umkehrschluss, wenn wir Patienten haben, die MSI high und metastasiert sind, sollen wir die Checkpoint-Inhibitor-Therapie nicht in der 2. Linie geben, wenngleich das vom Label her zulässig ist. Aber man kann den gewissen Vorteil, den man sich bei Einsatz in der Erstlinie verschafft, offenbar nicht mehr komplett aufholen.

Schilling: Als letzte Studie möchte ich mit Dir die CodeBreak-300-Studie diskutieren [5,6]. Hier wurde auch ein neuer molekularer Mechanismus mit der Inhibition der KRAS-G12-C-Mutation untersucht. Dazu gab es auch noch andere Studien. Was sagst Du dazu?

Arnold: Diese Studie war wichtig, weil sie die erste randomisierte Studie ist, die eine Kalibrierung ermöglicht hat, welcher Gewinn sich mit dem KRAS-G12C-Inhibitor zeigen lässt. Bisher haben wir, auch bei diesem ESMO-Kongress, tolle Waterfall-Plots gesehen, wenn ein G12C-Inhibitor mit einem Anti-EGF-Rezeptorinhibitor kombiniert wird. Wir haben 4 Substanzen, die untersucht worden sind. 3 davon sind mit einem Anti-EGF-Rezeptor-Antikörper untersucht worden. Hier wurden 2 Phase-2-Studien vorgestellt. Man sieht eine schöne Abnahme der Tumormassen bei 8 bis 9 von 10 Patienten. Aber man wusste nicht, wo man kalibriert steht.

Jetzt ist erstmals randomisiert worden, also Sotorasib in 2 Dosierungen jeweils plus Panitumumab versus Standard of Care. Standard of Care war bei diesen refraktären Patienten entweder Trifluridin/Tipiracil (TAS-102) oder Regorafenib.

Es ist zwar eine kleine Studie mit nur 160 Patienten, aber in beiden Armen mit Sotorasib und dem EGFR-Antikörper war das progressionsfreie Überleben deutlich und signifikant verlängert, obwohl es eine solch kleine Fallzahl war. Das ist also die deutlich aktivere Option auch in diesem Patientenkollektiv.

Schilling: Und weniger Nebenwirkungen.

Arnold: Weniger Nebenwirkungen, das kommt dazu. Interessant ist natürlich, dass wir jetzt noch gar keine Ergebnisse für die Überlebenswahrscheinlichkeit haben, das kann sich ja durchaus noch so fortsetzen.

Man sollte schon in einer Letztlinientherapie Gesamt-Überlebensdaten erwarten können. Das hat die Diskutantin Prof. Dr. Miriam Koopman, Universität Utrecht, auch angefordert und ich gebe ihr da sehr recht. Aber das kann im Zweifelsfall auch sehr gut für die neue Kombination ausgehen, die Patienten haben auch bei Progression noch weitere Optionen.

Schilling: Positiv an der Studie war auch, dass bis ECOG 2 ein Studieneinschluss möglich war. Das sind Patienten, die wir sonst nie in Studien einschließen, das fand ich bemerkenswert.

Arnold: Ja, es waren 3%. Ansonsten ist es so, dass wir die Patienten nicht drin haben, sondern dass sie keck zum ECOG 1,51 ernannt werden. Vielleicht ist das Design ein bisschen offener, vielleicht sensibilisiert das auch für nicht optimale Patientenkollektive. Besonders interessant ist, dass diese Patienten eine hohes Ansprechen haben. Ein schlechter ECOG durch hohe Tumorlast kann möglicherweise auch wieder korrigiert werden. Daten zur Verbesserung tumorbezogener Symptome sind noch nicht vorgelegt worden. Ich glaube das ist bei so einem Regime, auf das 30% der Patienten ansprechen hochinteressant, denn auf TAS-102 oder Regorafenib sprach kein Patient an. Es kann durchaus sein, dass man Patienten mit ECOG-2 noch mal verbessert, wenn das ein Erkrankungs-bedingter ECOG gewesen ist.

Schilling: Dann warten wir mal ab, welche Daten aus der Studie noch kommen.

Dirk, ganz herzlichen Dank für Deine Einschätzungen, das war sehr spannend.

Ihnen herzlichen Dank fürs Zuhören und fürs Zuschauen.

Wir sagen Tschüss aus Madrid.
 

Kommentar

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