PD Dr. Georgia Schilling interviewt Prof. Dr. Dirk Arnold auf dem ESMO in Madrid zu den wichtigen neuen Ergebnissen zur Therapie des Pankreaskarzinoms.
Transkript des Videos von PD Dr. Georgia Schilling:
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer,
mein Name ist Georgia Schilling. Ich bin leitende Oberärztin des Asklepios-Tumorzentrums in Hamburg. Neben mir sitzt Prof. Dr. Dirk Arnold, unser medizinischer Direktor im Tumorzentrum.
Wir machen schon seit mehreren Jahren diese Videos mit Deinen Einschätzungen, Dirk, zu aktuellen Studien aus dem Bereich der gastrointestinalen Tumoren. Ich freue mich, dass Du da bist, vielen Dank, dass Du uns unterstützt und uns Deine Einschätzung mitteilst.
Kommen wir zum Pankreaskarzinom. Da gab es eine interessante Debatte im Sinne der allgemeinen Deeskalation von Therapien - Doublette oder Triplet beim metastasierten Pankreaskarzinom – wie lautet Deine Meinung dazu?
Arnold: Die Evidenzlage gleicht etwas einer Achterbahnfahrt. Wir haben uns für die beiden Standardkombinationen, die Chemotherapie wie FOLFIRINOX (Fluorouracil, Irinotecan und Oxaliplatin) oder Verwandte und Gemcitabin/Paclitaxel auf ein Unentschieden geeinigt, wobei es vielleicht einen kleinen Vorteil für FOLFIRINOX gab bis zu diesem Sommer. Einschränkend war aber, dass es toxischer ist. Es kommen deshalb weniger Patienten dafür in Frage.
Im Sommer gab es eine sehr eindeutige Positionierung mit der NAPOLI-3-Studie, in der Nal-Irinotecan, also pegyliertes liposomales Irinotecan + 5-FU/Leucovorin + Oxaliplatin (NALIRIFOX) versus Nab-Paclitaxel + Gemcitabin untersucht worden ist. Dabei war die Überlebenswahrscheinlichkeit für NALIFIROX besser. Wir haben gedacht, Nab-Paclitaxel/Gemcitabin ist tot und haben auch unser Studienportfolio entsprechend umgestellt.
Auf dem ESMO-Kongress 2023 wurde nun eine japanische Phase-3-Studie präsentiert, die sehr sauber durchgeführt war [1]. Sie hatte 3 Arme: mFOLFIRINOX, Nab-Paclitaxel/Gemcitabin und eine japanische Spezialkombination S-IROX aus S1, also oralem Fluoropyrimidin, Oxalipatin und Irinotecan. Überraschenderweise waren die Fluoropyrimidin-haltigen Kombinationen, also mFOLFIRINOX und S-IROX, schlechter als Nab-Paclitaxel/Gemcitabin, warum auch immer. Es war ein signifikanter Unterschied mit einer 30% schlechteren Überlebenswahrscheinlichkeit bei Behandlung mit mFOLFIRINOX und S-IROX. Das ist ein gewisses Revival für Gemcitabin/Nab-Paclitaxel.
Ob das jetzt nur für das japanische Patientenkollektiv gilt, ist die Frage. Ich könnte mir gut vorstellen, dass die Freunde des Nal-Irinotecans eine andere Antwort haben und sie jetzt sagen würden, es kommt doch auf das pegylierte liposomale Irinotecan an. Aber das müssen wir jetzt in Kenntnis der gesamten Daten diskutieren.
Schilling: OK, also für uns gilt jetzt nach wie vor, wir entscheiden das paritätisch je nach Patient, was wir machen?
Arnold: Ich denke, wir können uns von der überoptimistischen FOLFIRINOX- oder NALIRIFOX-Position vielleicht ein bisschen weg bewegen wieder in die Mitte rein. Da müssen wir den Weg noch finden, was wir wem zukommen lassen. Beide Regime werden m.E. nach dieser Studie Standard bleiben.
Schilling: Wie sieht es in der Neoadjuvans aus? Da gab es eine Studie FOLFIRINOX versus Radiochemotherapie mit Gemcitabin.
Arnold: Das war die Studie der holländischen Kollegen, der PREOPANC-Gruppe, die bei der präoperativen Therapie wahrscheinlich aktivste Gruppe. Sie hat mit der PREOPANC-1-Studie einen Standard vorgegeben, nämlich induktive Therapie mit Gemcitabin, dann eine Gemcitabin-modulierte Strahlen- und Chemotherapie und nach der Resektion noch adjuvant weiter mit Gemcitabin.
Diesen Standard haben sie jetzt auf die Probe gestellt versus einem reinen Chemotherapie-Protokoll. Hier war die Frage nicht, ob man ohne Bestrahlung auskommen kann, sondern ist die Chemotherapie FOLFIRINOX über einen recht langen Zeitraum von 4 Monaten gegeben nicht vielleicht sogar stärker als die doch systemtherapeutisch sehr schwachbrüstige Gemcitabin-Therapie.
Aber die Antwort aus dieser randomisierten Studie ist ein Unentschieden. Beide Regime waren etwa gleich effektiv, unterschiedliches Toxizitätsprofil, aber mitnichten war die Chemotherapie besser.
Schilling: Und wenn man jetzt Gemcitabin kombiniert mit Nab-Paclitaxel?
Arnold: Das wäre sicher eine Idee, eine weitere Intensivierung.
Die Freunde der Chemotherapie haben gesagt, na gut, vielleicht haben wir die 4 Monate vorher gemacht, vielleicht war das jetzt nicht ganz optimal in Bezug auf die Länge. Umgekehrt waren dann doch sehr viele Patienten noch nodal positiv nach Resektion nach der Chemotherapie, die dann keine adjuvante Therapie bekommen haben. Vielleicht wäre es durch eine adjuvante Therapie noch zu verbessern gewesen.
Die Protagonisten der Strahlenchemotherapie sagen natürlich, es ist ein smartes Protokoll, das schnell auch mal „abgefeuert“ ist. Die richtige Antwort wird sein, dass man kombiniert, also dass man induktive Chemotherapie macht und dann danach möglicherweise eine Strahlen-Chemotherapie. Es ist eben die Frage, was die beste Sequenz ist.
Es ist auch immer die Frage, was ist gerade vorwiegende Evidenz. Worüber sprechen wir, weil gerade beim Pankreaskarzinom die Frage der Resektabilität, der sicheren Resektabilität, der Borderline-Resektabilität oder der fast unmöglichen Resektabilität mit anderen Intensitäten der Therapie möglicherweise anders zu beantworten ist.
Wir müssen für das jetzige Unentschieden nur Bezug auf die Kriterien nehmen, die gerade in dieser niederländischen Studie aufgestellt worden sind.
Schilling: Also auch beim Pankreaskarzinom bleibt es die nächsten Jahre spannend, oder?
Arnold: Ja. Es gibt weitere Studien, da müssen natürlich noch viel Biologie erfahren und erlernt werden. Fest steht m. E. aber, dass man um eine neoadjuvante Therapie des Pankreaskarzinoms, wenn es grenzwertig resezierbar ist, schon jetzt nicht mehr herumkommt. Bei sicher resezierbarem Pankreaskarzinom nimmt die Evidenz zu, dass die gleichen Schemata wie in dieser niederländischen Studie eingesetzt werden können.
Schilling: Dann ganz herzlichen Dank für Deine Einschätzungen, sie helfen uns, die Studienergebnisse besser einzuordnen.
Ihnen vielen Dank fürs Zuhören und Zuschauen und ganz herzliche Grüße aus Madrid.
Medscape © 2023 WebMD, LLC
Die dargestellte Meinung entspricht der des Autors und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten von WebMD oder Medscape wider.
Diesen Artikel so zitieren: Onkologie im Gespräch: Neue Strategien beim Krebs der Bauchspeicheldrüse – „um neoadjuvante Therapie kommt man nicht drumrum“ - Medscape - 6. Nov 2023.
Kommentar