MEINUNG

Neuro-Talk: 5 spannende Studien – von Parkinson und Rauchen, Thrombektomie, Clusterkopfschmerz bis Abnehmen

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

Interessenkonflikte

25. September 2023

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener klagt über einen frustrierenden Publikationsmonat August und präsentiert seine wenigen wertvollen Fundstücke.

Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Duisburg-Essen

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen.

Ich möchte Ihnen berichten, was es in der Neurologie und in der Inneren Medizin im August 2023 gab. Insgesamt war das ein frustrierender Monat mit relativ wenigen hochkarätigen Publikationen. Beim Lesen fällt mir leider immer wieder auf, wie viele wirklich schlechte Studien und auch schlecht geplante und durchgeführte Studien publiziert werden.

Rauchen und Parkinson

Jetzt fangen wir aber mit den positiven Studien an was das Studiendesign anbelangt. Es gibt eine interessante epidemiologische Beobachtung, dass Raucher ein geringeres Risiko haben an Parkinson zu erkranken als Nichtraucher. Das hat die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Wolfgang Oertel, Marburg, dazu bewegt, hierzu eine randomisierte Studie zu machen, die in NEJM Evidence publiziert wurde [1].

Diese Studie hat 101 Patienten mit Parkinson-Krankheit aufgenommen, die noch keine dopaminerge Therapie brauchten, randomisiert erhielten sie transkutanes Nicotin- oder Placebo-Pflaster. Die Patienten wurden für 1 Jahr nachuntersucht und es zeigte sich, dass sich die Symptomatik in beiden Gruppen in gleicher Weise verschlechterte. Ein Drittel der Patienten benötigt dann während der Studie auch eine dopaminerge Medikation.

Das zeigt wieder eindeutig, dass man aus epidemiologischen Daten keine Therapierückschlüsse ziehen sollte, sondern erst dann, wenn die Ergebnisse von randomisierten, Placebo-kontrollierten Studien vorliegen.

Genetik des Clusterkopfschmerzes

Die 2. Arbeit ist in Annals of Neurology publiziert. Sie beschäftigt sich mit der Genetik des Clusterkopfschmerzes [2]. Für die Migräne ist das in der Zwischenzeit sehr gut untersucht und etabliert und es gibt dort über 70 identifizierte Gen-Loci. Diese große Studie mit einer Genom-weiten Analyse des Genoms wurde bei 4.777 Patienten mit Clusterkopfschmerz und bei über 21.000 Kontrollen durchgeführt.

Die geschätzte Erblichkeit des Clusterkopfschmerzes liegt bei etwa 15%. Insgesamt konnten 20 Gen-Loci identifiziert werden. Sie haben neben Clusterkopfschmerz auch eine Assoziation mit Zigarettenrauchen, Risikoverhalten, Aufmerksamkeits-Hyperaktivitäts-Syndrom, Depressionen und muskuloskelettalen Schmerzen.

3 Gen-Loci waren übrigens mit Migräne gemeinsam. Diese wichtige Studie zeigt, dass offenbar diese Assoziation zwischen Clusterkopfschmerzen und Nikotinabhängigkeit eine wichtige genetische Komponente hat.

Thrombolyse vor Thrombektomie?

Die 3. Studie beschäftigt sich mit der Frage, ob bei Patienten, die einen Verschluss einer großen hirnversorgenden Arterie haben und sich für eine Thrombektomie eignen, zunächst mit einer Thrombolyse begonnen werden oder direkt thrombektomiert werden sollte. In Lancet wurde jetzt eine Metaanalyse von 6 Studien publiziert mit 2.313 Patienten [3].

Diese Metaanalyse zeigt keinen Unterschied im Outcome, ob zunächst eine systemische Thrombolyse gemacht wird oder direkt thrombektomiert wird.

Das ist aber an der Praxis vorbei. Wenn ein Patient beispielsweise mit einem MCA-Verschluss in ein Zentrum kommt, das thrombektomieren kann und die Angiographie-Einheit frei ist, dann wird er natürlich sofort thrombektomiert. Wenn allerdings eine Wartezeit besteht oder wenn der Patient verlegt werden muss, dann sollte man natürlich mit der systemischen Thrombolyse beginnen bis zur Thrombektomie.

Extra-intrakranialer Bypass

Die 4. Publikation beschäftigt sich mit einem Thema, was uns offenbar nie verlässt, nämlich der extra-intrakraniale Bypass bei Patienten mit Verschlüssen der Arteria carotis interna oder hochgradigen Verschlüssen von intrakranialen Arterien [4].

Hier wurde jetzt erneut eine Studie in China durchgeführt. Einschlusskriterium war nicht nur der Verschluss, sondern auch ein Perfusionsdefizit in der entsprechenden Hemisphäre. 161 Patienten wurden zur Bypass-Operation, 163 zur rein medikamentösen Therapie randomisiert. Es gab keinen Unterschied für den primären und alle sekundären Outcomes.

Es gab vorher schon 2 negative Studien und man fragt sich natürlich, warum muss man jetzt noch eine 3. negative Studie machen. Das sollte jetzt mit Ausnahme von ganz wenigen Fällen das Ende der extra-intrakranialen Bypass-Operation sein.

Semaglutid und Tirzepatid bei Diabetes und Adipositas

Weil die Studienlage in der Neurologie im August nicht besonders attraktiv war, würde ich gerne noch etwa über den Tellerrand schauen für 2 wichtige Erkrankungen, nämlich Adipositas und Diabetes mellitus. Die beiden bedingen sich natürlich. Wie Sie wissen, war bis vor einigen Jahren die Therapie des Diabetes mellitus im Hinblick auf vaskuläre Endpunkte ziemlich frustran, dasselbe galt auch für die Behandlung der Adipositas.

Nun gibt es neue Substanzgruppen, die Glucagon-like-Peptid-1-Analoga, die GLP-1-Agonisten. Sie sind nicht nur beim Diabetes wirksam, sie haben eine interessante Nebenwirkung, sie führen auch zu einer deutlichen Gewichtsabnahme, und dies nicht nur bei Diabetikern, sondern auch bei rein Übergewichtigen.

Eine weitere neue Entwicklung ist das eine dieser Substanzen, Semaglutid, jetzt nicht nur zur subkutanen Anwendung, sondern auch oral zur Verfügung steht. Unter oralem Semaglutid kommt es über ein Jahr hinweg zu einer Gewichtsreduktion von 15% bei Patienten mit Adipositas.

Nun hat Novo Nordisk in einer Pressemeldung mitgeteilt [5], dass in ihrer SELECT-Studie, in der 2,4 mg Semaglutid subkutan über 5 Jahre gegeben wurden, dies nicht nur zu einer signifikanten Gewichtsreduktion führt, sondern auch schwerwiegende vaskuläre Endpunkte wie Herzinfarkt, Schlaganfall und vaskulären Tod um 20% reduziert hat.

Noch effektiver sind wahrscheinlich kombinierte Medikamente, die sowohl als GLP-1-Rezeptoragonisten und auch als Glucose-abhängiges insulinotropes Polypeptid (GIP) wirken. Hier gibt es mit Tirzepatid ein neues Medikament, das über 1 Jahr bei Adipositas zu einer Gewichtsreduktion um 15% führt. Darüber hinaus senkt es den Blutdruck und den Cholesterinspiegel und bessert viele metabolische Parameter. Man weiß nun nicht, ob dies das Medikament oder ist das ein Effekt der Gewichtsabnahme ist.

Was sind die Wermutstropfen? Diese Substanzen sind zum Teil in Deutschland noch nicht zugelassen, sie sind zum Teil für die Adipositas-Therapie nicht zugelassen, sie haben nicht unerhebliche Nebenwirkungen, sie sind sehr teuer und offenbar geht der Therapieeffekt verloren, wenn man sie wieder absetzt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das waren wichtige, interessante Studien aus dem August 2023 in der Neurologie und wichtige Studien für uns in der Primärprävention bei Diabetes mellitus oder Adipositas.

Ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und bedanke mich fürs Zuhören und fürs Zuschauen.
 

Kommentar

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