Neue Diabetes-Leitlinie hilft, Patienten mit Herz-Kreislauf-Komorbiditäten rechtzeitig zu identifizieren und zu therapieren

Prof. Dr. Nikolaus Marx

Interessenkonflikte

12. September 2023

Komorbiditäten bei Herz- und Diabetes-Patienten werden häufig übersehen. Prof. Dr. Nikolaus Marx erklärt die Strategien in der neuen Diabetes-Leitlinie, die Risikopatienten identifizieren.

Transkript des Videos von Prof. Dr. Nikolaus Marx, Aachen

Mein Name ist Niko Marx, ich leite die Kardiologie an der Uniklinik in Aachen. Heute berichte ich Ihnen vom Europäischen Kardiologen-Kongress 2023 in Amsterdam.

Neue Leitlinie zum Management kardiovaskulärer Erkrankungen bei Diabetikern

Bei diesem Kongress wurde unter anderem die neue Leitlinie zum Management kardiovaskulärer Erkrankungen bei Diabetes vorgestellt [1]. Gemeinsam mit meinem Kollegen Prof. Dr. Massimo Federici, Rom, dürfte ich die Task Force, die diese Leitlinie erstellt hat, leiten.

In der Leitlinie haben wir 2 Schwerpunkte. Zum einen das Screening und die kardiovaskuläre Risiko-Stratifizierung bei Patienten mit Diabetes und zum anderen die patientenzentrierte, evidenzbasierte Therapie zur Risikoreduktion von Patienten mit Diabetes und Komorbiditäten, atherosklerotischen Gefäßerkrankungen, Herzinsuffizienz und chronischen Nierenerkrankungen.

Patienten mit Diabetes haben ein erhöhtes Risiko, kardiovaskuläre Erkrankungen zu entwickeln. Wenn beide Komorbiditäten bei einem Patienten vorliegen, ist das einerseits wichtig für die Prognose und andererseits für die Therapie, die wir implementieren können.

Gleichzeitig haben Patienten mit Diabetes ein erhöhtes Risiko, eine chronische Nierenerkrankung (CKD) zu entwickeln. Das Vorliegen einer CKD hat prognostische Implikationen und die CKD fördert die Entwicklung kardiovaskulärer Erkrankungen.

Vor diesem Hintergrund ist ein klarer Schwerpunkt der neuen Leitlinie die Identifizierung von Patienten mit diesen Komorbiditäten. Weil Patienten in unserer kardiologischen Praxis häufig einen unentdeckten Diabetes haben, wird empfohlen, alle Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen auf das Vorliegen eines Diabetes zu screenen, und zwar ganz praktisch durch Bestimmung der Nüchtern-Glucose und des HbA1c-Werts. Mit diesen beiden Parametern können die Patienten einfach und kostengünstig identifiziert werden.

Umgekehrt empfehlen wir, dass alle Patienten mit Diabetes regelmäßig untersucht werden auf das Vorliegen atherosklerotischer Gefäßerkrankungen, in dem Vorgeschichte und Symptome evaluiert werden. Wir empfehlen, diese Patienten bei jedem Besuch auf Symptome und Zeichen der Herzinsuffizienz zu untersuchen.

Darüber hinaus sollten Patienten mit Diabetes regelmäßig gescreent werden auf das Vorliegen einer chronischen Nierenerkrankung, und zwar durch Bestimmung der EGFR im Labor und Messung der Albumin-Kreatinin-Ratio im Urin. Das kann man einfach und schnell im Spontan-Urin machen.

Atherosklerotische Gefäßerkrankung und Diabetes

Wenn jetzt Patienten Typ-2-Diabetes und atherosklerotische Gefäßerkrankungen haben, gibt die Leitlinie eine klare, einfache Empfehlung zusätzlich zur Standardtherapie, also z. B. zu Statinen oder Blutdrucksenkern, welche blutzuckersenkenden Medikamente gegeben werden können, um das kardiovaskuläre Risiko zu reduzieren. Es gibt eine klare Klasse-1-Empfehlung für SGLT-2-Inhibitoren und GLP-1-Rezeptoragonissen. Diese Empfehlung ist unabhängig vom Blutzuckerwert oder vom HbA1c-Wert.

Wenn nach Implementierung der Therapie der Blutzuckerwert weiterhin hoch ist, sind Substanzen einzusetzen, die möglicherweise einen zusätzlichen Benefit mit sich bringen wie GLP-1-Rezeptoragonisten oder die DDP-4-Inhibitoren wie Sitagliptin oder Linagliptin, Metformin oder Insulin glargin oder degludec, für die in Studien nahegelegt wurde, dass sie unter Umständen einen Benefit haben.

Wenn bei Patienten ein Typ-2-Diabetes und Komorbiditäten vorliegen, empfiehlt die Leitlinie die Priorisierung solcher blutzuckersenkenden Medikamente, für die ein kardiovaskulärer Benefit gezeigt wurde. Darüber sollen Medikamente gewechselt werden, wenn eine Substanz in der Blutzuckerbehandlung eingesetzt wird, für die es keinen Benefit gibt oder keine Sicherheit. Dann soll man auf Substanzen mit einem kardiovaskulären Benefit wechseln.

Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und atherosklerotische Gefäßerkrankungen gibt es eine Klasse-1-Empfehlung, also den höchsten Empfehlungsgrad, für SGLT-2-Inhibitoren und GLP-1-Rezeptoragonisten, und zwar unabhängig vom Blutzucker, vom HbA1c-Wert und von der sonstigen blutzuckersenkenden Meditation.

Herzinsuffizienz und Diabetes

Für Patienten mit Typ-2-Diabetes und Herzinsuffizienz gibt es eine klare Empfehlung für die Therapie mit einem SGLT-2-Inhibitor unabhängig vom Blutzucker, HbA1c-Wert und von der blutzuckersenkenden Medikation, die der Patient bereits hat.

Wenn bei diesen Patienten eine weitere Blutzuckersenkung nötig ist, gibt es auch klare Empfehlungen abgestuft, welche Substanzen neutral sind und gut und sicher bei Patienten mit Herzinsuffizienz zu verwenden sind und welche Substanz nicht verwendet werden können. Eingesetzt werden können GLP-1-Rezeptoragonisten, DPP-4-Inhibitoren wie Sitagliptin oder Linagliptin, ferner Metformin oder Insulin glargin oder Insulin degludec. Eine Klasse-3-Empfehlung, das bedeutet das man sie nicht geben soll, haben Pioglitazon und Saxagliptin, da für diese Substanzen in klinischen Studien gezeigt wurde, dass sie das Risiko der Herzinsuffizienz-Hospitalisierung erhöhen.

CKD und Diabetes

Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und chronischen Nierenerkrankungen geht es um die Reduktion des kardiovaskulären und des renalen Risikos. Zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos sollten diese Patienten Statine erhalten und zur Reduktion des renalen Risikos einen ACE-Hemmer oder ein Sartan.

Um beide, also kardiovaskuläre und renale Risikokategorien zu reduzieren, gibt es eine Klasse-1-Empfehlung für SGLT-2-Inhibitoren und den nichtsteroidalen Mineralokortikoid-Rezeptorantagonisten Finerenon zusätzlich zur stringenten Blutzuckersenkung. Auch diese Empfehlungen sind unabhängig vom Blutzuckerwert und von der sonstigen begleitenden Medikation.

Neuer Risikoscore Score-2-Diabetes

Darüber hinaus führt die Leitlinie einen neuen Risiko-Score ein für Patienten, die keine dieser Komorbiditäten haben, das heißt keine atherosklerotische Gefäßerkrankung, keinen Endorganschaden. Hier gibt es den Score-2-Diabetes, bei dem man Faktoren aus dem bekannten Score-2 kombiniert mit Diabetes-spezifischen Informationen, Diabetesdauer, HbA1c-Wert und Nierenfunktion. Dieser Score errechnet das Risiko, über 10 Jahre ein tödliches oder nicht tödliches kardiovaskuläres Ereignis zu erleiden und kategorisiert die Patienten in niedrig, moderates, hohes oder sehr hohes Risiko. Auch hier werden Empfehlungen für die Therapie gegeben.

Letztlich unterstreicht die Leitlinie den patientenzentrierten Ansatz, der multifaktoriell interdisziplinär dazu führen soll, dass diejenigen Therapien implementiert werden, für die wir einen Benefit haben, die die Prognose verbessern und die Lebensqualität der einzelnen Patienten günstig beeinflussen.

Uns ist daran gelegen, dass die Empfehlungen dieser Leitlinie auf breiter Basis umgesetzt werden. Die Leitlinie enthält praktische Empfehlungen wie die unterschiedlichen Screening-, Evaluations- und Therapie-Modalitäten implementiert werden können.

Zusammengefasst ist all das in einer Pocket-Leitlinie mit klaren Abbildungen und Flow-charts, wie man das tun kann. Ich hoffe, dass Sie diese Flowcharts nutzen können, zum Wohl Ihrer und unserer Patienten.
 

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Kommentar

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