Frankfurt – Im Onko-Blog dieser Woche stellen wir einige interessante Studien vom Jahreskongress der European Hematology Association vor, der vom 8. bis 15. Juni 2023 stattfindet. Vor Ort konnten sich die Experten vom 8. bis 11. Juni in Frankfurt am Main treffen, virtuell geht es am 14. und 15. Juni weiter. Die Kongress-Plattform ist noch bis 15. August geöffnet.
Unsere Themen heute:
Myelodysplastisches Syndrom: Luspatercept wirkt auf Anämie besser als Epoetin alfa
CLL: Langzeitergebnisse der CLL114-Studie bestätigen Venetoclax/Obinutuzumab als wirksame Therapie
PMBCL: Verzicht auf Bestrahlung nach Ansprechen auf Chemoimmuntherapie möglich
Ph+ ALL: Erstlinientherapie mit Ponatinib besser als mit Imatinib
AML: Gilteritinib als Erhaltungstherapie bei FLT3-ITD-Mutation
AML: Ermutigende Ergebnisse mit kombinierter CAR-Therapie in Modellen
Myelodysplastisches Syndrom: Luspatercept wirkt auf Anämie besser als Epoetin alfa
Das rekombinante Fusionsprotein Luspatercept erhöht im Vergleich zu Epoetin alfa den Hämoglobin-Spiegel bei Patienten mit transfusionsabhängigem myelodysplastischem Syndrom mit geringem Risiko stärker als Epoetin alfa. Dies zeigen Zwischenergebnisse der Phase-3-Studie COMMANDS (Abstract S102), die parallel im Lancet publiziert worden ist.
Damit konnte erstmals für eine Therapie im direkten Vergleich mit einem Erythropoese-stimulierenden Agens (ESA) eine Überlegenheit gezeigt werden. „Luspatercept könnte als Erstlinientherapie den Behandlungsstandard für einen erheblichen Teil der Patienten mit Anämie und MDS mit geringerem Risiko darstellen“, schlussfolgerte Prof. Dr. Matteo Giovanni Della Porta, Universität von Mailand.
Bei Patienten mit myelodysplastischem Symptom mit niedrigen Risiko (LR-MDS) kann eine chronische Anämie und Transfusionsabhängigkeit das Sterberisiko um mehr als 50% erhöhen. Die Wirkung von ESAs ist begrenzt.
Luspatercept (Reblozyl®) ist in der EU seit Juni 2020 für die Behandlung von erwachsenen Patienten mit transfusionsabhängiger Anämie aufgrund von myelodysplastischen Syndromen (MDS) mit Ringsideroblasten, mit sehr niedrigem, niedrigem oder intermediärem Risiko zugelassen, die auf eine Erythropoetin-basierte Therapie nicht ausreichend angesprochen haben oder dafür nicht geeignet sind.
Das rekombinante Fusionsprotein Luspatercept ist ein Erythrozyten-Reifungsaktivator. Er bindet an ausgewählte Liganden der TGF-β-Familie (Transforming growth factor beta) wie GDF-11 oder Activin B und hemmt dadurch den Smad-2/3-Signalweg. So ermöglicht er die erythroide Reifung über Differenzierung von erythroiden Vorläuferzellen (Normoblasten) in der späten Phase der Erythropoese im Knochenmark. Bei Erkrankungen mit ineffizienter Erythropoese wie MDS ist der Smad-2/3-Signalweg im Knochenmark stark hoch reguliert.
In der internationalen, offenen randomisierten COMMANDS 3 wurden Wirksamkeit und Verträglichkeit von Luspatercept (n = 178) und Epoetin alfa (n = 178) bei ESA-naiven MDS-Patienten mit transfusionsbedürftiger Anämie ohne und mit Ringsideroblasten verglichen. Die Patienten waren nicht mit ESA vorbehandelt.
Die Studie erreichte den primären Endpunkt: Bei 58,5% der Patienten unter Luspatercept und bei 31,2% der Patienten unter Epoetin alfa kam es zur Unabhängigkeit von einer Erythrozyten-Transfusion über mehr als 12 Wochen sowie zu einem Hämoglobin-Anstieg von mindestens 1,5 g/dl in den ersten 24 Wochen. Der positive Effekt von Luspatercept wurde in allen Subgruppen gesehen. Die Transfusionsunabhängigkeit hielt mit Luspatercept im Median 126,6 Wochen, mit Epoetin alfa 77,0 Wochen, an (HR 0,456).
Patienten mit spezifischen MDS-assoziierten Genmutationen wie SF3B1, SF3B1a, ASXL1 und TET2 sprachen besonders gut auf Luspatercept an.
Die Patienten der Luspatercept-Gruppe wurden im Median 41,6 Monate, die der Epoetin-alfa-Gruppe 27 Monate behandelt. Therapiebedingte Nebenwirkungen waren unter Luspatercept mit 92,1% etwas häufiger als unter Epoetin alfa mit 85,2%. Nebenwirkungen vom Schweregrad ≥ 3 waren in beiden Gruppen bei etwa 8% der Patienten zu beobachten.
CLL: Langzeitergebnisse der CLL114-Studie bestätigen Venetoclax/Obinutuzumab als wirksame Therapie
Bei Patienten mit chronisch lymphatischer Leukämie (CLL) bestätigen Langzeitergebnisse der offenen Phase-3-Studie CLL114 über 6 Jahre die anhaltende Wirksamkeit einer Therapie mit Venetoclax/Obinutuzumab über eine feste Dauer im Vergleich zu Chlorambucil/Obinutuzumab (Abstract S145).
Die CLL114-Studie hat eine gute Wirksamkeit und Verträglichkeit der 1-Jahres-Therapie mit Venetoclax/Obinutuzumab in der Erstlinien-Behandlung von CLL-Patienten mit weiteren Morbiditäten gezeigt (NEJM 2019). Nach einem medianen Follow-up von 28,1 Monaten war das progressionsfreie Überleben (PFS) mit Venetoclax/Obinutuzumab signifikant verlängert im Vergleich zu Chlorambucil/Obinutuzumab (HR 0,35, p < 0,001). Aufgrund der Ergebnisse der Studie ist die 1-Jahres-Therapie mit Venetoclax/Obinutuzumab mittlerweile Standard.
Wie Dr. Othman Al-Sawaf vom Universitätsklinikum Köln berichtete, war der Effekt nach einer medianen Beobachtungszeit von 76,4 Monaten anhaltend: mit Venetoclax/Obinutuzumab wurde ein medianen PFS von 76,2 Monaten, mit Chlorambucil/Obinutuzumab von 36,4 Monaten erreicht (HR 0,40; p<0,0001). Das 6-Jahres-PFS-Rate lag bei 53,1% bzw. 21,7%.
Die mediane Zeit bis zur nächsten erforderlichen Therapie ist mit Venetoclax/Obinutuzumab noch nicht erreicht, in der Vergleichsgruppe lag sie bei 37,1 Monaten (HR 0,44, p<0,0001). Das Gesamtüberleben ist in beiden Gruppen ebenfalls noch nicht erreicht.
Patienten mit einer minimalen Resterkrankung (MRD) ≥ 10-4 nach Verum hatten ein kürzeres OS als Patienten mit MRD < 10-4, was auf die Bedeutung von MRD-geführten Therapieansätzen hinweist.
PMBCL: Verzicht auf Bestrahlung nach Ansprechen auf Chemoimmuntherapie möglich
Bei Patienten mit einem primären mediastinalen großzelligen B-Zell-Lymphom (PMBCL), die auf eine Chemoimmuntherapie komplett metabolisch ansprechen, kann nach Daten der Phase-3-Studie IELSG37 auf eine Strahlentherapie verzichtet werden (Abstract S101).
„IELSG37 ist die größte randomisierte Studie, die jemals bei PMBCL durchgeführt wurde. Wir können nach bisherigen Ergebnissen davon ausgehen, dass eine mediastinale Strahlentherapie bei Patienten, die nach einer ersten Chemoimmuntherapie eine CMR erreichen, sicher weggelassen werden kann“, sagte Prof. Dr. Maurizio Martelli, Universität Sapienza, Rom.
Das PMBCL ist eine eher bei jüngeren Patienten auftretende aggressive Erkrankung, die jedoch eine gute Prognose hat , wenn mit einer dosisintensiven Chemoimmuntherapie schnell eine Remission erreicht wird. Eine mediastinale Strahlentherapie kann das Ansprechen verstärken, sie ist jedoch mit einem erhöhten Risiko für Koronar- oder Herzklappen-Erkrankungen und Zweitmalignomen assoziiert.
In der randomisierten Nichtunterlegenheitsstudie wurden 268 Patienten nach metabolischem Ansprechen auf eine Chemoimmuntherapie randomisiert nur beobachtet (n = 132) oder bestrahlt (n = 136).
Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 58,8 Monaten betrug das 30-Monats-PFS mit Beobachtung 96,2% im Vergleich zu 98,5% mit Strahlentherapie (p = 0,274). Das 30-Monats- OS unter Beobachtung betrug 99,2% im Vergleich zu 99,3% bei Bestrahlung.
Ph+ ALL: Erstlinientherapie mit Ponatinib besser als mit Imatinib
Patienten mit Philadelphia-Chromosom-positiver akuter lymphatischer Leukämie (Ph+ ALL) sprechen auf eine Induktionstherapie mit 3 Zyklen Ponatinib plus Chemotherapie mit reduzierter Intensität signifikant stärker und anhaltender an als auf Imatinib plus Chemotherapie. Dieses Ergebnis der randomisierten Phase-3-Studie PhALLCON stellte Prof. Dr. Elias Jabbour, University of Texas MD Anderson Cancer Center, Houston, vor (Abstract S110). „Aufgrund der Wirksamkeit und Sicherheit sollte Ponatinib als Therapiestandard in der Erstlinientherapie der Ph+ ALL überlegt werden “, so seine Schlussfolgerung.
245 Patienten mit neu diagnostizierter Ph+ ALL wurden 2:1 randomisiert. Sie erhielten Ponatinib (n=164) oder Imatinib (n=81) jeweils in Kombination mit einer Chemotherapie mit reduzierter Intensität. Insgesamt waren 20 Behandlungszyklen als Einleitung (Zyklen 1-3), Konsolidierung (Zyklen 4-9) und Nachkonsolidierung (Zyklen 10-20) vorgesehen. Danach wurden die Patienten allein mit dem Tyrosinkinase-Inhibitor weiter behandelt, bis die Krankheit fortschritt oder bis inakzeptable Nebenwirkungen auftraten.
Primärer Endpunkt war die Rate der Minimal Residual Disease (MRD)-negativen vollständigen Remission (CR) am Ende der Induktion. Er wurde erreicht. Mit Ponatinib war die MRD-negative CR-Rate mit 34,4% signifikant höher als mit Imatinib mit 16,7% (p=0,0021). Die Daten zum Gesamtüberleben sind noch nicht reif. Das ereignisfreie Überleben war im Ponatinib-Arm im Trend besser. Die Verträglichkeit war in beiden Armen mit 85% vs. 88% Nebenwirkungen vom Schweregrad 3/4 ähnlich.
AML: Gilteritinib als Erhaltungstherapie bei FLT3-ITD-Mutation
Der FLT3-Inhibitor Gilteritinib senkte das Rezidivrisiko bei Patienten mit FLT3-ITD-mutierter akuter myeloischer Leukämie (AML) in der Erhaltungstherapie nach hämatopoetischer Stammzelltransplantation im Vergleich zu Placebo. Der Effekt war aber nur in der Subgruppe der Patienten mit nachweisbarer Resterkrankung (MRD) signifikant, so das Ergebnis der Phase-3-Studie MORPHO (Abstract LB2711).
„Die Studie hat ihren primären Endpunkt nicht erreicht, aber ich denke, dass dies eine erfolgreiche Studie war. Wir haben gelernt, wie und bei wem diese Medikamente anzuwenden sind“, sagte Prof. Dr. Mark J. Levis, Johns Hopkins University, Baltimore.
In die internationale randomisierte MORPHO-Studie wurden Patienten mit FLT3-IDT-mutierter AML mit hohem Rezidivrisiko aufgenommen, die sich einer allogenen Stammzelltransplantation unterzogen hatten. Randomisiert erhielten sie über 24 Monate eine Erhaltungstherapie mit Gilteritinib (120 mg/Tag) oder Placebo.
Der primäre Endpunkt rezidivfreies Überleben (RFS) nach 2 Jahren war zwar in der Gilteritinib-Gruppe mit 77,2% besser als mit 69,9% in der Placebo-Gruppe. Der Unterschied war aber nicht signifikant. In einer vordefinierten Subgruppenanalyse erwies sich Gilteritinib bei Patienten mit nachweisbarer MRD als deutlich besser wirksam als bei Patienten mit nicht nachweisbarer MRD, so dass sich die Substanz möglicherweise für diese Subgruppe eignet.
AML: Ermutigende Ergebnisse mit kombinierter CAR-Therapie in Modellen
ADLEC.syn1, ein neues kombiniertes CAR-Konzept zur Therapie der akuten myeloischen Leukämie (AML) zeigte in präklinischen Modellen ermutigende Ergebnisse (Abstract S104). Wie Dr. Sascha Haubner, Memorial Sloan Kettering Cancer Center, New York berichtete wird das Konzept in Kürze in der ersten Phase-1-Studie bei Patienten mit r/r-AML (NCT05748197) untersucht werden.
Die AML hat eine schlechte Prognose mit einem 5-Jahres-Überleben von nur etwa 30%. Eine CAR-T-Zell-Therapie ist aufgrund der klonalen Heterogenität und wegen Ähnlichkeiten mit der frühen normalen Hämatopoese nicht unproblematisch. Sie benötigt entsprechende Anpassungen.
Die kombinierte CAR-Konzept zielt auf ADGRE2 und CLEC12A ab und wird als ADCLEC.syn1 bezeichnet. In präklinischen In-vivo-AML-Modellen hat es sich als wirksam und sicher erwiesen.
Es eradiziert eine CD33-CAR-refraktäre AML im PDX-Modell effektiv (PDX-Modelle sind menschliche Tumoren, die durch Injektion von Krebszellen oder Biopsien in gentechnisch veränderte Tiere mit reduzierter Immunabwehr erzeugt werden).
ADCLEC.syn1 minimiert In vivo einen Antigen-Escape und die Toxizität für hämatopoetische Stamm- und Progenitorzellen und behält seine Wirkung in einer humanisierten Umgebung.
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Credits:
Photographer: © Wa Li
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Diesen Artikel so zitieren: Hämatologie – quo vadis? Über diese Themen haben Ärzte beim European Hematology Congress 2023 diskutiert - Medscape - 13. Jun 2023.
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