Fluorchinolone werden weiterhin außerhalb der empfohlenen Anwendungsgebiete verschrieben – so die Kritik der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA). Die Wirkstoffe sollten aber nur für die zugelassenen Indikationen und nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung verschrieben werden. Deshalb warnen Zulassungsinhaber zusammen mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Ärzte erneut vor möglichen Folgen der Pharmakotherapie [1].
Fluorchinolon-Verordnung einschränken
Systemisch und inhalativ angewendete Fluorchinolone sind mit sehr seltenen, schwerwiegenden, die Lebensqualität beeinträchtigenden, über Monate oder Jahre andauernden und möglicherweise irreversiblen Nebenwirkungen assoziiert. Die Wirkstoffe sollten nur für die zugelassenen Indikationen (viele davon beschränkt auf die Behandlung der letzten Wahl bei Patienten und Patientinnen, für die es keine alternativen therapeutischen Optionen gibt) und nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung für den einzelnen Patienten verschrieben werden.
Die Wirkstoffe sollten nicht verschrieben werden…
bei Patienten, die zuvor schwerwiegende Nebenwirkungen mit einem Chinolon- oder Fluorchinolon-Antibiotikum hatten,
bei nicht schweren oder selbstlimitierenden Infektionen (z. B. Pharyngitis, Tonsillitis und akuter Bronchitis),
bei leichten bis mittelschweren Infektionen (einschließlich unkomplizierter Zystitis, akuter Exazerbation einer chronischen Bronchitis und chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD), akuter bakterieller Rhinosinusitis und akuter Otitis media), es sei denn, andere Antibiotika, die üblicherweise für diese Infektionen empfohlen werden, sind ungeeignet,
bei nichtbakteriellen Infektionen, z. B. nichtbakterielle (chronische) Prostatitis,
zur Prävention von Reisediarrhoe oder rezidivierenden Infektionen der unteren Harnwege.
Hintergrundinformationen zu den Sicherheitsbedenken
Bereits 2018 hat die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) nach einer Überprüfung zur Risikobewertung dringend Anwendungsbeschränkungen von systemisch und inhalativ angewendeten Fluorchinolonen gefordert. Darüber hat Medscape berichtet.
Zu den Nebenwirkungen zählen Tendinitis, Sehnenruptur, Arthralgie, Schmerzen in den Extremitäten, Gangstörungen, Neuropathien mit Parästhesien, Depressionen, Fatigue, Gedächtnisstörungen, Halluzinationen, Psychosen, Schlafstörungen sowie Beeinträchtigungen der Sinne (Hören, Sehen, Schmecken und Riechen). Sehnenschäden (insbesondere der Achillessehne, aber auch anderer Sehnen) können innerhalb von 48 Stunden nach Beginn der Behandlung oder mit Zeitverzögerung von einigen Monaten nach Beendigung der Behandlung auftreten.
Studie zeigt: Die Verschreibungsgewohnheiten haben sich kaum verändert
Bald darauf hat die EMA eine Studie („Impact of European Union Label Changes for Fluoroquinolone Containing Medicinal Products for Systemic and Inhalation Use“) initiiert, um Verschreibungsraten für Fluorchinolone aus 6 europäischen Gesundheitsdatenbanken zu analysieren. Eingeschlossen wurden Belgien, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Spanien und das Vereinigte Königreich.
Die Studie legt nahe, dass Fluorchinolone weiterhin außerhalb der zugelassenen Indikationen angewendet werden. Aufgrund der Einschränkungen der Studie können jedoch keine endgültigen Schlussfolgerungen gezogen werden.
Tippe für Heilberufler
Was ist jetzt zu tun? Ärzte oder Apotheker sollten Patienten…
über das Risiko dieser schwerwiegenden Nebenwirkungen aufklären,
über die potenziell langanhaltende und schwerwiegende Natur dieser Nebenwirkungen informieren,
raten, bei den ersten Anzeichen dieser schwerwiegenden Nebenwirkungen sofort einen Arzt oder eine Ärztin aufzusuchen, bevor die Behandlung fortgesetzt wird.
Besondere Vorsicht ist geboten bei Patienten, die gleichzeitig mit Kortikosteroiden behandelt werden, bei älteren Patienten, bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion und bei Patienten mit Organtransplantaten, da das Risiko einer Fluorchinolon-induzierten Tendinitis und Sehnenruptur erhöht sein kann.
Der Beitrag ist im Original erschienen auf Coliquio.de.
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Diesen Artikel so zitieren: Warnung vor Fluorchinolon-haltigen Antibiotika: Wem Ärzte die Wirkstoffe nicht mehr verordnen sollten - Medscape - 14. Jun 2023.
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