Herzinfarkt im Lockdown: Patienten verlieren bis zu 2 Jahre Lebenszeit – Experte fordert besseres Notfallmanagement

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

9. Juni 2023

Patienten mit Herzinfarkt während des 1. COVID-19-Lockdowns haben eine um 1,5 bis 2 Jahre geringere Lebenserwartung als Kontrollen mit Infarkt vor der Pandemie. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die im European Heart Journal – Quality of Care and Clinical Outcomes veröffentlicht wurde. Die Daten wurden im Vereinigten Königreich und in Spanien erhoben. 

Die Autoren schätzen zusätzliche Kosten für die britische und die spanische Wirtschaft auf umgerechnet 41,3 Millionen bzw. 88,6 Millionen Euro, vor allem durch Arbeitsausfälle [1].

„Einschränkungen bei der Behandlung lebensbedrohlicher Erkrankungen haben kurzfristige und langfristige negative Folgen für jeden Einzelnen und für die Gesellschaft als Ganzes“, sagt Studienautor Prof. Dr. William Wijns vom Lambe Institute for Translational Medicine der Universität Galway, Irland. „Eigentlich müssten Backup-Pläne vorhanden sein, damit Notfallbehandlungen auch bei Natur- oder Gesundheitskatastrophen aufrechterhalten werden.“ 

Myokardinfarkt: Weniger Akuttherapien in Pandemie-Zeiten

Ein Blick auf kurzfristige Effekte. Während der 1. Welle der Pandemie suchten etwa 40% weniger Herzinfarktpatienten ein Krankenhaus auf, da Regierungen die Menschen aufgefordert hatten, zu Hause zu bleiben. Patienten hatten ihrerseits Angst, sich mit dem Virus anzustecken. 

Im Vergleich zu einer rechtzeitigen Behandlung hatten Herzinfarktpatienten, die zu Hause blieben, ein mehr als doppelt so hohes Sterberisiko. Und bei Patienten, die zeitlich verzögert Hilfe im Klinikum gesucht haben, war die Wahrscheinlichkeit vermeidbarer schwerer Komplikationen fast doppelt so hoch. 

Medizinische und wirtschaftliche Folgen verzögerter Herzinfarkt-Therapien

Jetzt haben Forscher die langfristigen medizinischen und wirtschaftlichen Auswirkungen eingeschränkter Myokardinfarkt-Therapien im Vereinigten Königreich und in Spanien untersucht. Sie verglichen die prognostizierte Lebenserwartung von Patienten, die während des 1. Lockdowns oder im Jahr davor einen Herzinfarkt erlitten haben. 

Die Studie konzentrierte sich auf ST-Hebungsinfarkte (STEMI). Forscher haben ein Modell entwickelt, um das langfristige Überleben, die Lebensqualität und die Kosten abzuschätzen. Im Rahmen der britischen Analyse verglichen sie den Zeitraum vom 23. März (Beginn des Lockdowns) bis 22. April 2020 mit dem entsprechenden Zeitraum im Jahr 2019. Für die spanische Analyse zogen die Autoren Daten von März 2019 und von März 2020 heran. Der Lockdown begann am 14. März 2020. Die Überlebensprognosen berücksichtigten das Alter, den Hospitalisierungsstatus und die Zeit bis zur Behandlung. 

Hoher Verlust an Lebenszeit

Anhand der veröffentlichten Daten errechneten die Autoren beispielsweise, dass 77% der STEMI-Patienten im Vereinigten Königreich vor der Pandemie ins Krankenhaus eingeliefert wurden, verglichen mit 44 % während des Lockdowns. Die entsprechenden Raten für Spanien lagen bei 74% versus 57%. 

Die Forscher verglichen auch, wie viele Jahre bei perfekter Gesundheit für Patienten mit einem STEMI vor und während der Pandemie verloren gingen. 

Ihre Analyse zeigte, dass Patienten, die während des 1. Lockdowns im Vereinigten Königreich einen STEMI erlitten, im Durchschnitt 1,55 Lebensjahre verlieren, verglichen mit dem Jahr vor der Pandemie. Darüber hinaus ergab die Berechnung, dass Patienten, die während des Lockdowns einen STEMI erlitten, bei bester Gesundheit etwa 1 Jahr und 2 Monate ihres Lebens verlieren. 

Die entsprechenden Zahlen für Spanien belaufen sich auf 2,03 verlorene Lebensjahre und etwa 1 Jahr und 7 Monate verlorene Lebenszeit bei bester Gesundheit.

Immense Mehrausgaben durch verzögerte Therapien

Die Kostenanalyse konzentrierte sich auf die anfängliche Krankenhauseinweisung und -behandlung, die Nachbehandlung, die Behandlung der Herzinsuffizienz und den Produktivitätsverlust bei Patienten, die nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. So betrugen die Kosten für eine STEMI-Einweisung mit PCI im Vereinigten Königreich 3.297 Euro und in Spanien 8.780 Euro. 

Kosten für eine Herzinsuffizienz wurden für das Vereinigte Königreich auf 7.073 Euro im 1. Jahr und 4.511 Euro in allen folgenden Jahren geschätzt. In Spanien waren es 3.815 Euro im 1. Jahr und 2.930 in jedem weiteren Jahr. 

Im Vereinigten Königreich beliefen sich die zusätzlichen Kosten für einen STEMI während der Pandemie im Vergleich zu früheren Zeiten auf 10.334 Euro plus 10.086 Euro für Arbeitsausfälle.

Ausgehend von einer Inzidenz von 49.332 STEMIs pro Jahr prognostizieren die Autoren, dass der eingeschränkte Zugang zu PCI während des 1. Monats der Abriegelung zusätzliche Kosten in Höhe von 41,3 Millionen Euro über die gesamte Lebensdauer dieser Patienten verursachen würde. 

Für Spanien wurden die zusätzlichen Kosten pro STEMI während des Lockdowns auf 20.069 Euro geschätzt. Ausgehend von einer jährlichen Inzidenz von 52.954 STEMI haben die Autoren kalkuliert, dass der eingeschränkte Zugang zu PCI im März 2020 zusätzliche Kosten in Höhe von 88,6 Millionen Euro über die Lebenszeit dieser Patienten verursachen würde. Den größten Beitrag dazu leisteten Arbeitsausfälle: pro Patient 23.224 Euro.

Fatale Konsequenzen verzögerter Therapien

„Die Ergebnisse verdeutlichen die Folgen einer verzögerten oder ganz ausgefallenen Behandlung“, kommentiert Wijns. „Die Patienten und die Gesellschaft werden den Preis … noch jahrelang zahlen.“

Doch was sollten Verantwortliche daraus lernen? „Dienstleister im Gesundheitsbereich brauchen eine Liste mit lebensrettenden Therapien, die immer zur Verfügung stehen sollten, und es müssen belastbare Gesundheitssysteme geschaffen werden, die ohne Verzögerung auf Notfallpläne umschalten können“, fordert Wijns. „Kampagnen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit sollten die Vorteile einer rechtzeitigen Versorgung auch während einer Pandemie oder einer anderen Krise hervorheben.“ 

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Kommentar

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