Bundesweit waren – und sind – etliche Arzneimittel in spezieller Galenik für Kinder, aber auch zahlreiche Onkologika, Antibiotika und weitere Präparate nicht lieferbar. Darauf hat Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach mit einem einen Lieferengpass-Gesetzesentwurf reagiert. Die geplanten Änderungen nehmen Hersteller und Krankenkassen in die Pflicht, sind, wie Medscape berichtet, bei Experten durchaus umstritten.
„Wir brauchen eine gesamteuropäische Antwort auf das Problem“, sagte Lauterbach bei einem Treffen der EU-Gesundheitsminister. „Ich werde … dafür werben, dass ein Teil der Produktion, gerade bei Generika-Medikamenten, zurück nach Europa geholt wird.“
Jetzt hat die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) eine Reihe von Empfehlungen zur Sicherstellung der Versorgung mit Humanarzneimitteln veröffentlicht. Ziel der EMA-Strategie ist, Lieferengpässe zu vermeiden und deren mögliche Folgen zu verringern [1].
Empfehlungen gegen Lieferengpässe
Bereits im Jahr 2016 haben die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) und die Heads of Medicines Agencies (HMA) eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich mit Fragen der Verfügbarkeit von Arzneimitteln in Europa befasst. Jetzt stellen die EMA und die HMA ihr gemeinsames Papier vor.
Ziel ist, die Ursachen von Engpässen zu beseitigen, indem alle Beteiligten Maßnahmen in den normalen Lebenszyklus von Arzneimitteln integrieren. Die EMA und die HMA empfehlen, die Meldung von Lieferengpässen optimieren, Lieferketten robuster machen und Systeme zur Qualitätssicherung in Hinblick auf die Versorgungssicherheit zu implementieren.
Die wichtigsten Aspekte:
Gibt es erste Hinweise auf Lieferengpässe, sollten Zulassungsinhaber bzw. Hersteller, aber auch Großhändler, die zuständige Behörde umgehend informieren – in Deutschland das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Diese Informationen sind gegebenenfalls zu aktualisieren.
Die Kommunikation und der Wissensaustausch zwischen allen Beteiligten ist unter Berücksichtigung des Wettbewerbsrechts zu verbessern.
Meldungen selbst sollten detaillierte Angaben enthalten, damit Behörden die Lage besser einschätzen können.
Zulassungsinhaber, Hersteller und Großhändler sollten individuelle Präventionspläne entwickeln, die greifen, falls Engpässe auftreten – und die Pläne regelmäßig zu evaluieren. Risiken für Engpässe sind bei jedem Arzneimittel verschieden hoch.
Systeme zur Qualitätssicherung sollten so angepasst werden, dass sie auch dazu dienen, die Lieferkette robuster zu machen – während des gesamten Lebenszyklus eines Produkts.
Hersteller sollten die Widerstandsfähigkeit der Lieferkette unter Berücksichtigung bekannter Schwachstellen optimieren. Ziel ist, unvorhergesehene Verzögerungen bei Änderungen des Produktionsstandorts oder bei Eigentumsübertragungen abzupuffern.
Hersteller sollten frühzeitig erfahren, falls Zulieferbetriebe Schwierigkeiten haben – oder falls die Nachfrage unerwartet nach oben geht, um darauf zu reagieren.
Bei Engpässen sollten nicht mehr Arzneimittel als üblich in den Markt gebracht werden. Die Aufteilung der Bestände zwischen den Ländern sollte klinischen Bedürfnissen der Patienten Rechnung tragen, und nicht dem Preisniveau.
Entscheidungen über Beschränkungen des Parallelhandels mit Arzneimitteln müssen gerechtfertigt und verhältnismäßig sein. Bei kritischen Engpässen sollten Unternehmen, die sich daran beteiligen, die Situation überwachen und die Behörden des exportierenden Mitgliedstaats informieren. Im Zuge des Parallelhandels erwerben Großhändler Rx-Präparate in EU-Staaten mit niedrigerem Preisniveau, um sie in Regionen mit höherem Preislevel zu verkaufen.
Flankierende Maßnahmen in Europa
Die Empfehlungen werden durch andere internationale Initiativen wie die Arzneimittelstrategie für Europa ergänzt. Sie sieht vor, Patienten besser mit erschwinglichen Arzneimitteln zu versorgen und mit neuen Therapien den unerfüllten medizinischen Bedarf (etwa neue Antibiotika oder Therapien gegen seltene Krankheiten) zu verbessern. Gleichzeitig plant die europäische Kommission, die Wettbewerbsfähigkeit, Innovation und Nachhaltigkeit der Arzneimittelindustrie in der EU zu verbessern. Sie setzt ebenfalls auf hochwertige, sichere, wirksame und umweltfreundlichere Arzneimittel. Um Lieferengpässe zu beheben, sieht die Arzneimittelstrategie diversifizierte und sichere Lieferketten, eine bessere Krisenvorsorge und bessere Mechanismen, um auf Ereignisse wie die COVID-19-Pandemie zu reagieren, vor.
Eine besondere Verantwortung trägt die European Single Point of Contact (SPOC) Working Party. Sie überwach den Markt und meldet Ereignisse, die sich auf die Arzneimittelversorgung in der Europäischen Union auswirken könnten, an die EMA. Die EMA hat die SPOC-Arbeitsgruppe im Mai 2022 eingerichtet.
Credits:
Photographer: © Wavebreakmedia Ltd
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Medscape Nachrichten © 2023
Diesen Artikel so zitieren: Ist das die Lösung? Was die EMA gegen Lieferengpässe bei Arzneimitteln empfiehlt – mehr Kommunikation, besseres Risikomanagement - Medscape - 7. Jun 2023.
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