Zervix-, Rektum-, Lungenkarzinom oder Hodgkin-Lymphom: Diese Studien beim ASCO 2023 zeigen neue Therapiestandards auf

Dr. Susanne Heinzl

Interessenkonflikte

6. Juni 2023

Im aktuellen Onko-Blog stellen wir einige interessante Studien vom Jahreskongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO 2023) vor, der vom 2. bis 6. Juni in Chicago und virtuell stattfand. 

Insgesamt wurden auf dieser weltweit größten onkologischen Konferenz mehr als 5.500 Abstracts präsentiert. Viele Studien gelten als praxisändernd, so zum Einsatz von Nivolumab beim Hodgkin-Lymphom oder zur Therapie mit Cilta-cel beim multiplen Myelom.

Praxisverändernd sind auch Untersuchungen zur Optimierung der Therapie im Sinne von „weniger ist mehr“. Hierzu ergaben z. B. die SHAPE-Studie, dass bei Frauen mit Zervixkarzinom im Frühstadium eine einfache Hysterektomie einer radikalen Operation nicht unterlegen ist. Beim lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinom ist ohne Wirkungsverlust eine präoperative Bestrahlung durch eine präoperative FOLFOX-Therapie zu ersetzen. 

  • Mammakarzinom: Ribociclib auch bei frühem HR+/HER2-Tumor wirksam 

  • Zervixkarzinom: Einfache Hysterektomie ausreichend bei früher Erkrankung mit niedrigem Risiko

  • Rektumkarzinom: Präoperativ Verzicht auf Strahlentherapie möglich

  • Lungenkarzinom: Neoadjuvantes plus adjuvantes Pembrolizumab plus Chemotherapie besser als Chemotherapie

  • Hodgkin-Lymphom: Nivolumab-AVD schlägt Brentuximab-Vedotin-AVD

  • Multiples Myelom: Phase-3-Daten zu Cilta-cel 

 

Mammakarzinom: Ribociclib auch bei frühem HR+/HER2-Tumor wirksam 

Der CDK4/6-Inhibitor Ribociclib hat nach den Ergebnissen einer Interimsanalyse der Phase-3-Studie NATALEE auch bei Frauen mit frühem Hormonrezeptor-positivem (HR+), HER2-negativem Mammakarzinom zusätzlich zu endokriner Therapie das invasive krankheitsfreie Überleben (iDFS) signifikant verlängert. Dies galt im Vergleich zur endokrinen Therapie allein (Hazard-Ratio 0,75, p=0,0014; Abstract LBA500). 

Studienleiter Prof. Dr. Dennis J. Slamon, Universität von Kalifornien, Los Angeles, schlussfolgerte: „Die Ergebnisse von NATALEE unterstützen den Einsatz von Ribociclib plus endokriner Therapie als eine neue Therapie der Wahl in einer breiten Population von Patienten mit frühem HR+/HER2-negativem Mammakarzinom im Stadium II oder III und Rezidivrisiko.“

In die multizentrische, randomisierte, offene Phase-3-Studie NATALEE wurden prä- und postmenopausale Frauen sowie Männer mit HR+/HER2-negativem Mammakarzinom im Stadium IIA bis III aufgenommen. Randomisiert erhielten sie entweder Ribociclib 400 mg/Tag über 3 Wochen plus 1 Woche Pause über insgesamt 3 Jahre plus endokrine Therapie mit Letrozol (2,5 mg/Tag) oder Anastrozol (1 mg/Tag) für mindestens 5 Jahre sowie Goserelin (Männer und prämenopausale Frauen) (n=2.549). Oder sie wurden nur mit einer endokrinen Therapie (n=2.552) behandelt. 

Slamon erläuterte, dass die 400-mg-Dosis von Ribociclib niedriger sei als die empfohlene Anfangsdosis von 600 mg bei metastasierter Erkrankung, um eine längere Therapiedauer zu ermöglichen.

Zum Zeitpunkt der Zwischenanalyse am 11. Januar 2023 war bei 189 Patienten im Ribociclib-Arm (7,4%) und bei 237 Patienten im Vergleichsarm (9,2%) ein iDFS-Ereignis aufgetreten. Insgesamt reduzierte die Zugabe von Ribociclib das Rezidiv-Risiko um 25% (HR 0,748, p = 0,0014).

Die 3-Jahres-iDFS-Raten betrugen 90,4% in der Ribociclib-Gruppe, verglichen mit 87,1% in der Gruppe mit alleiniger Hormontherapie. Der in der Ribociclib-Gruppe beobachtete Nutzen war in allen klinisch relevanten Subgruppen konsistent. 

Bei Patienten unter Ribociclib waren Neutropenie und Gelenkschmerzen die häufigsten Nebenwirkungen. Bei Patienten mit alleiniger Hormontherapie waren es Gelenkschmerzen und Hitzewallungen.

Prof. Dr. Nadja Harbeck, München, wies als Diskutantin der Studie darauf hin, dass diese Ergebnisse zwar ein Gewinn für die Patienten seien. Man könne aber dennoch nicht auf die Chemotherapie verzichten. Mehr als 80% der Patienten in dieser und auch in der monarchE-Studie mit Abemaciclib seien mit einer Chemotherapie vorbehandelt worden. Aufgrund dieser Studien könne man nicht sagen, welche Patienten mit einem CDK4/6-Inhibitor anstelle von Chemotherapie behandelt werden könnten.

Zervixkarzinom: Einfache Hysterektomie ausreichend bei früher Erkrankung mit niedrigem Risiko

Eine einfache Hysterektomie mit Beckenknotendissektion ist eine sichere Behandlungsoption für Frauen mit Gebärmutterhalskrebs im Frühstadium und mit geringem Risiko. Die Strategie kann zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen, so die Ergebnisse der randomisierten internationalen Phase-3-Studie SHAPE (Abstract LBA5511). In der auf Nichtunterlegenheit angelegten Studie waren 700 Frauen randomisiert mit einfacher oder radikaler Hysterektomie jeweils mit Beckenknotendissektion operiert worden.

„Nach einem adäquaten, rigorosen präoperativem Assessment kann eine einfache Hysterektomie als ein neuer Therapiestandard für Patientinnen mit frühem Niedrig-Risiko-Zervixkarzinom überlegt werden“, so Prof. Dr. Marie Plante, Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie, Laval University Quebec, Kanada.

In 130 Zentren in 12 Ländern wurden 50% der Operationen laparoskopisch, 25% mit einem Roboter und 23% offen ausgeführt. Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 4,5 Jahren war die Rezidivrate im Becken nach 3 Jahren bei einfacher Hysterektomie nicht schlechter als bei radikaler Operation (2,5% vs. 2,2%).  

Das extrapelvine rezidivfreie Überleben über 3 Jahre und das Gesamtüberleben betrugen 98,1% bzw. 99,1% mit einfacher Hysterektomie sowie 99,7% bzw. 99,4% mit radikaler Operation. Bei radikaler Operation wurden signifikant häufiger Harninkontinenz (11,0% vs. 4,7%; p=0,003) und Harnverhalt (9,9% vs. 0,6%; p<0,0001) beobachtet. 

Skalen zur Lebensqualität ergaben ebenfalls signifikante Vorteile für die einfache Hysterektomie. 

Rektumkarzinom: Präoperativ Verzicht auf Strahlentherapie möglich

Bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem Rektumkarzinom, das auf eine Chemotherapie anspricht, kann präoperativ auf eine Strahlenbehandlung verzichtet werden. Dies zeigen die Ergebnisse der vom National Cancer Institue finanzierten Phase-3-Studie PROSPECT, in der eine präoperative Behandlung mit FOLFOX einer präoperativen Chemoradiotherapie nicht unterlegen war. 

Prof. Dr. Deborah Schrag, Memorial Sloan Kettering Cancer Center, New York, hat sie in der Plenarsitzung (LBA2) vorgestellt und parallel im  New England Journal of Medicine  publiziert.

„Diese Option zu haben ist aus mehreren Gründen wichtig. Zum einen ist Strahlentherapie in vielen Teilen der Welt nicht ohne weiteres zugänglich. Ein ausschließlich auf Chemotherapie basierender Ansatz könnte eine kurative Behandlung für Patienten bei beschränkten Ressourcen ermöglichen. Angesichts der steigenden Darmkrebsraten bei jungen Patienten stellt sie außerdem eine Option für Patienten dar, die ihre Fruchtbarkeit erhalten oder eine frühe Menopause vermeiden möchten“, erläuterte Schrag.

PD Dr. Pamela Kunz, Yale Cancer Center, New Haven, Connecticut, kommentierte in der ASCO-Pressekonferenz: „Wichtig ist, dass bei vielen Patienten mit fortgeschrittenem Rektumkarzinom sicher auf eine Bestrahlung verzichtet werden kann (…). Dies führt zu einer verbesserten Lebensqualität und verringerten Nebenwirkungen, wie z.B. frühe Wechseljahre und Unfruchtbarkeit.“

In der multizentrischen, nicht verblindeten, randomisierten Nichtunterlegenheitsstudie erhielten 1.128 Patienten mit Rektumkarzinom, die Kandidaten für eine Sphinkter-erhaltende Operation waren, präoperativ eine Chemoradiotherapie mit 28 Bestrahlungen (50,4 Gy) kombiniert mit Fluorouracil oder Capecitabin oder 6 Zyklen FOLFOX alle 2 Wochen. Wenn sich unter FOLFOX der Tumor nicht um 20% oder mehr verkleinerte oder der Patient FOLFOX nicht weiter bekommen konnte, erhielt er vor der Operation die gleiche Radiochemotherapie wie die Kontrollgruppe. 

Das krankheitsfreie Überleben nach 5 Jahren war in beiden Gruppen vergleichbar mit 78,6% für Patienten der Radiochemotherapie-Gruppe und 80,8% für Patienten in der FOLFOX-Gruppe.

Auch andere Endpunkte wie das Gesamtüberleben, die Rate chirurgischer Resektionen und das pathologische Komplettansprechen waren vergleichbar.

Die Teilnehmer der Studie werden weiterhin begleitet. 8 Jahre lang sollen Daten zum krankheitsfreien, zum lokalrezidivfreien, zum Gesamtüberleben und anderen Endpunkten erfasst werden.

Lungenkarzinom: Neoadjuvantes plus adjuvantes Pembrolizumab plus Chemotherapie besser als Chemotherapie

Die präoperative Gabe des PD-1-Inhibitors Pembrolizumab plus Chemotherapie gefolgt von Operation und adjuvanter Pembrolizumab-Gabe besserte im Vergleich zu präoperativem Placebo plus Chemotherapie gefolgt von Placebo das ereignisfreie Überleben (EFS) und das pathologische Ansprechen von Patienten mit resezierbarem frühem NSCLC signifikant. Das Gesamtüberleben (OS) unterschied sich nicht. Dieses Ergebnis der Phase-3-Studie KEYNOTE-671 hat Prof. Dr. Heather A. Wakelee, Stanford Cancer Institute, Standford präsentiert (Abstract LBA100) und parallel im  NEJM  publiziert.

In der doppelblinden, randomisierten KEYNOTE-671-Studie erhielten nicht vorbehandelte Patienten mit resezierbarem NSCLC im Stadium II, IIIA oder IIIB randomisiert 4 Zyklen Pembrolizumab 200 mg (n = 397) oder Placebo (n = 400) jeweils mit einer Cisplatin-basierten Chemotherapie. Nach der Operation wurden sie mit weiteren 13 Zyklen Pembrolizumab oder Placebo behandelt.

Bei der ersten vordefinierten Interimsanalyse nach einem medianen Follow-Up von 25,2 Monaten betrug das 24-Monats-EFS 62,4% in der Pembrolizumab-Gruppe und 40,6% in der Placebo-Gruppe (HR 0,58, p < 0,0001). Das 24-Monats-OS wurde mit 80,9% für die Pembrolizumab-Gruppe und 77,6% für die Vergleichsgruppe errechnet. Ein starkes pathologisches Ansprechen erreichten 30,2% bzw. 11,0% (p < 0,0001), ein komplettes pathologisches Ansprechen 18,1 bzw. 4,0% (p < 0,00001).

Es traten keine neuen, bislang nicht bekannten Nebenwirkungen auf. 

Nach Meinung der Autoren unterstützen die Ergebnisse die Gabe von Pembrolizumab neoadjuvant plus Chemotherapie gefolgt von adjuvanter Therapie als eine neue Option für Patienten mit resezierbarem NSCLC im Stadium II, IIIA oder IIIB.

Hodgkin-Lymphom: Nivolumab-AVD schlägt Brentuximab-Vedotin-AVD

Der PD1-Inhibitor Nivolumab plus Standardtherapie verbesserte bei Kindern und Erwachsenen mit nicht vorbehandeltem Hodgkin-Lymphom im Stadium III oder IV im Vergleich zu Brentuximab-Vedotin plus AVD (Doxorubicin, Vinblastin, Dacarbazin) das progressionsfreie Überleben (PFS) signifikant. PD Dr. Alex Herrerapräsentierte diese Ergebnisse der Phase-3-Studie SWOG S1826 in der Plenarsitzung (Abstract LBA4). 

In der Studie hatten erstmals Kinder- und Erwachsenenzentren kooperiert. Herreras Fazit lautete: „N-AVD ist auf dem besten Weg zu einer neuen Standardtherapie für das fortgeschrittene Hodgkin-Lymphom zu werden.“

„Die Zusammenarbeit zwischen erwachsenen und pädiatrischen Gruppen hat dazu beigetragen, den Weg für einen neuen Behandlungsstandard zu ebnen, der besser verträglich ist und zu einem höheren Anteil an Patienten mit dauerhaften Remissionen führt“, kommentierte PD Dr. Oreofe Odejide, Dana-Farber Cancer Institute, Boston, in einem ASCO-Pressestatement.

In die Studie wurden neu diagnostizierte Patienten ab einem Alter von 12 Jahren mit einem Hodgkin-Lymphom im Stadium III oder IV eingeschlossen. Randomisiert erhielten sie 6 Zyklen Nivolumab plus AVD (n=489) oder Brentuximab-Vedotin plus AVD (n=487).

Das mediane Alter der Patienten lag bei 27 Jahren. 24% waren jünger als 18 Jahre, 10% älter als 60 Jahre. Nach der 2. vordefinierten Zwischenanalyse empfahl das Data and Safety Monitoring Committee die Offenlegung der Daten.

Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 12,1 Monaten verringerte sich das PFS-Risiko unter Nivolumab im Vergleich zu Brentuximab-Vedotin um 52%. Das 1-Jahres-PFS betrug unter Nivolumab 94%, unter Brentuximab-Vedotin 86% (HR 0,48, p=0,0005). Dieser Effekt war in allen Subgruppen nachweisbar.

Unter Brentuximab-Vedotin starben 11 Teilnehmer (7 aufgrund unerwünschter Wirkungen), unter Nivolumab waren es 4 (3 aufgrund unerwünschter Ereignisse).

Mit Nivolumab kam es zwar häufiger zu Neutropenie, aber Infektionen waren nicht häufiger. Mit Brentuximab-Vedotin wurden mehr Neuropathien, Knochenschmerzen und Therapieabbrüche beobachtet.

Multiples Myelom: Phase-3-Daten zu Cilta-cel 

Zwischenergebnisse der Phase-3-Studie CARTITUDE-4 zeigen, dass mit der gegen das B-Zell-Reifungs-Antigen (BCMA) gerichteten CAR-T-Zell-Therapie Ciltacabtagen Autoleucel (Cilta-cel) eine neuer Richtwert zur Wirksamkeit bei rezidiviertem/refraktärem multiplem Myelom gesetzt wurde (Abstract LBA106 NEJM ). 

Wie PD Dr. Binod Dhakal, Medical College of Wisconsin, Milwaukee, bei einer ASCO-Pressekonferenz erläuterte, handelte es sich um die ersten Phase-3-Daten für Cilta-cel und die 1. Daten für Patienten mit nur 1 Vortherapie. 

1 Infusion von Cilta-cel…

  • verringerte das Risiko der Krankheitsprogression oder von Tod im Vergleich zur Standardtherapie um 74% (HR 0,26, p<0,0001),

  • erreichte eine höhere Gesamtansprechrate (85% versus 67%), ein besseres komplettes Ansprechen (73% versus 22%) und häufiger das Fehlen einer minimalen Resterkrankung (61% versus 16%) 

Dies galt jeweils im Vergleich zur Standardtherapie.

Dhakal schlussfolgerte, dass die Ergebnisse den Einsatz von Cilta-cel als potenziellen neuen Therapiestandard für Patienten mit Lenalidomid-refraktärem multiplen Myelom unterstützen, und zwar schon nach dem 1. Rezidiv.

In die internationale CARTITUDE-4-Studie wurden Patienten mit multiplem Myelom nach 1 bis 3 Vortherapien eingeschlossen, die auf Lenalidomid nicht mehr ansprachen. Randomisiert erhielten 208 Patienten 1 Infusion von Cilta-cel, 211 wurden mit PVd (Pomalidomid, Bortezomib und Dexamethason) oder mit DPd (Daratumumab, Pomalidomid oder Dexamethason) behandelt. Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 16 Monaten hatte Cilta-cel den primären Endpunkt PFS erreicht. 

Bei fast allen Patienten kam es zu schweren Nebenwirkungen, die jedoch handhabbar waren. Cilta-cel scheine bei Einsatz in früheren Therapielinien besser vertragen zu werden, berichtete Dhakal. 

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