Das weibliche Herz gilt als gut geschützt, aber das ist nicht in jedem Lebensabschnitt der Fall. Eine neue Studie zeigt: Bei gleich stark ausgeprägter Atherosklerose haben postmenopausale Frauen ein höheres Herzinfarktrisiko als gleichaltrige Männer. Die Autoren der im European Heart Journal veröffentlichte Studie wirft die Frage auf, ob Frauen zur Herzinfarktprophylaxe möglicherweise intensiver therapiert werden müssen als Männer [1].
„Unsere Studie zeigt, dass das gleiche Ausmaß an Atherosklerose bei postmenopausalen Frauen riskanter ist als bei Männern dieses Alters“, sagt Erstautorin Dr. Sophie van Rosendael vom Universitätsklinikum Leiden, Leiden, Niederlande. „Das könnte auch Implikationen für die Therapie haben.“
„Ich habe mich gefreut, dass in der Studie die Methodik der geschlechtersensiblen Medizin berücksichtigt wurde“, sagt die Internistin und Gendermedizinerin PD Dr. Ute Seeland vom Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie an der Charité Berlin im Gespräch mit Medscape. „Es ist wichtig, die Daten nach dem Geschlecht und zusätzlich noch nach dem Stoffwechsel-Lebensabschnitt zu trennen – optimalerweise in prämenopausal, perimenopausal, postmenopausal und Schwangerschaft.“
Die koronare CT-Angiographie zeigt auch den Stenosegrad
Die Registerstudie umfasst fast 25.000 Patientinnen und Patienten, bei denen eine koronare CT-Angiographie durchgeführt wurde. Das Ausmaß der Atherosklerose beurteilten die Forschenden anhand des Leiden-CCTA-Score, der von 0-42,4 reicht. „Wie auch der Agatston-Score beurteilt der neue Leiden-CCTA-Score das Vorhandensein von Plaques, deren Zusammensetzung und deren Lokalisation, aber zusätzlich berücksichtigt er den Stenosegrad“, erläutert Seeland.
Anhand des Scores wurden die Patientinnen und Patienten in 3 Kategorien eingeteilt, die prädiktiv für das Herzinfarktrisiko sind: geringe Atherosklerose (0-5), mittelschwere Atherosklerose (6-20) und schwere Atherosklerose (>20). Eine Stenose von 50% oder mehr war als obstruktive Herzerkrankung definiert.
Atherosklerose kommt bei Frauen 12 Jahre später
Insgesamt wurden 11.678 Frauen (im Schnitt 58,5 Jahre) und 13.272 Männer (im Schnitt 55,6 Jahre) für 3,7 Jahre nachbeobachtet. Der Vergleich des Leiden-CCTA-Score zwischen Frauen und Männern gleichen Alters ergab, dass Frauen eine koronare Atherosklerose im Schnitt 12 Jahre später entwickelten als Männer.
Bei Frauen stieg der Leiden-CCTA-Score erst im Alter von 64-68 Jahren über 0, während dies bei Männern schon mit 52-56 Jahren der Fall war. Darüber hinaus war die Gesamt-Plaquelast bei Frauen signifikant niedriger als bei Männern. Frauen hatten zudem eher eine nicht-obstruktive Erkrankung.
„Unsere Ergebnisse bestätigen den schon zuvor berichteten verzögerten Beginn der Atherosklerose bei Frauen. Außerdem fanden wir, dass Frauen häufiger eine nicht-obstruktive Erkrankung aufwiesen. Früher gingen wir davon aus, dass nur die obstruktive Atherosklerose Herzinfarkte verursacht, heute wissen wir aber, dass auch die nicht-obstruktive Erkrankung ein Risiko birgt“, erklärt van Rosendael.
Bei Frauen erhöhen Plaques das Herzinfarktrisiko stärker
Bei prämenopausalen Frauen (< 55 Jahre) war das Ausmaß an Atherosklerose ebenso prädiktiv für schwere kardiovaskuläre Ereignisse (MACE; Tod oder Herzinfarkt) wie bei Männern der gleichen Altersgruppe. Aber bei postmenopausalen Frauen (≥ 55 Jahre) waren MACE bei gleichem Atherosklerosegrad häufiger als bei gleichaltrigen Männern.
Der Leiden-CCTA-Score war unabhängig mit MACE assoziiert: Bei einem Score von 6-20 (mittelschwere Atherosklerose) war das Risiko bei postmenopausalen Frauen um das 2,29-Fache erhöht, bei einem Score über 20 (schwere Atherosklerose) stieg das MACE-Risiko um das 6,71-Fache. Die entsprechenden Hazard Ratios bei den gleichaltrigen Männern betrugen dagegen 1,64 beziehungsweise 2,38.
„Das im Vergleich zu Männern bei Frauen erhöhte Risiko war vor allem bei postmenopausalen Frauen mit den höchsten Leiden-CCTA-Scores zu beobachten“, berichtet van Rosendael. „Das könnte teilweise daran liegen, dass der Innendurchmesser der Koronararterien bei Frauen kleiner ist. Das bedeutet, dass die gleiche Menge an Plaque stärkere Auswirkungen auf den Blutfluss haben könnte.“
Sie ergänzt: „Unsere Ergebnisse bringen die bekannte Beschleunigung der Atheroskleroseentwicklung nach der Menopause mit einem signifikanten Anstieg des relativen Risikos bei Frauen im Vergleich zu Männern mit gleicher Plaquelast in Verbindung.“
Nicht alle Frauen sind vor KHK geschützt
„Oft wird noch undifferenziert davon ausgegangen, dass alle Frauen vor koronaren Herzerkrankungen geschützt seien. Und das ist eben nicht der Fall. Das bestätigt auch diese Studie wieder“, betont Seeland. „Einen gewissen kardiovaskulären Schutz haben durch den Östrogeneinfluss nur die prämenopausalen Frauen.“ Und selbst bei ihnen gebe es Unterschiede, etwa eine höhere Krankenhaussterblichkeit beim Myokardinfarkt im Vergleich zu gleichaltrigen Männern.
Deshalb sei es entscheidend, dass Studien nicht nur zwischen dem Geschlecht, sondern stoffwechselbasiert auch zwischen den einzelnen Lebensabschnitten differenzierten. „Aus solchen Studien lernen wir immer wieder, dass man nicht von ‚den Frauen‘ sprechen kann, sondern von prä-, peri- oder postmenopausalen bzw. schwangeren Frauen sprechen muss“, so Seeland. Dies sei auch in dieser Registerstudie wieder sehr deutlich geworden.
Frauen brauchen eine intensivere Prophylaxe
„Da die atherosklerotische Plaquelast immer häufiger herangezogen wird, um die Intensität einer Behandlung zur Vorbeugung von Herzinfarkten zu bestimmen, könnte dies auch Auswirkungen auf die Therapie haben“, so van Rosendael. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Frauen nach der Menopause eine höhere Statindosis oder einen zusätzlichen Lipidsenker benötigen.“
Im Einklang mit den Studienautorinnen plädiert Gendermedizinerin Seeland ebenfalls dafür, postmenopausale Frauen hinsichtlich Prophylaxe stärker in den Fokus zu nehmen: „Wenn Risikofaktoren wie eine Erhöhung des LDL-Cholesterins, Bluthochdruck, Adipositas oder Bewegungsmangel bestehen, müssen diese Frauen strenger eingestellt werden, als es im Moment in der Praxis der Fall ist.“
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Credits:
Photographer: Tetiana Pavliuchenko
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Diesen Artikel so zitieren: Wenn die Menopause das Herz in Gefahr bringt: Warum Frauen mit Atherosklerose mehr Prophylaxe brauchen als Männer - Medscape - 5. Jun 2023.
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