Mehr Hitzetote, eine höhere Allergiebelastung, neue und vermehrt auftretende Infektionskrankheiten, eine Zunahme von Antibiotikaresistenzen, mehr Lungenerkrankungen als Folge zunehmender Feinstaubbelastung, mehr Hautkrebs durch erhöhte UV-Strahlung: Wie sich der Klimawandel auf die Gesundheit auswirken wird, fasst der Sachstandsbericht Klimawandel und Gesundheit zusammen [1]. Das Robert Koch-Institut (RKI), Berlin, hat die Erstellung des Reports koordiniert.
Schwerpunkt des 1. Teils ist der Einfluss des Klimawandels auf Infektionskrankheiten; Themen sind Vektor- und Nagetier-assoziierte Infektionen, wasserbürtige Infektionen und Intoxikationen, lebensmittelassoziierte Infektionen und Intoxikationen sowie Antibiotikaresistenzen.
„Es kommen erhebliche Herausforderungen auf das Gesundheitssystem zu – wir müssen jetzt handeln“, machte Prof. Dr. Elke Hertig, bei einem Pressebriefing deutlich [2]. Gegenüber dem letzten Sachstandsbericht aus 2010 habe sich „viel getan, die wissenschaftliche Evidenz ist überwältigend“, sagte Hertig, die an der Universität Augsburg die Professur Regionaler Klimawandel und Gesundheit inne hat. Sie ist Autorin des Sachstandsberichts.
Prof. Dr. Klaus Stark, Leiter des Fachgebiets Gastroenterologische Infektionen, Zoonosen und tropische Infektionen am RKI und ebenfalls Autor des Sachstandsberichts, hob hervor, dass es ein sehr breites Spektrum an klimasensitiven Infektionserregern gebe, das stärker in den Fokus genommen werden müsse. „Das betrifft die gesamte Gesellschaft, das betrifft jeden einzelnen Bürger, das betrifft die Ärzteschaft, das betrifft aber insbesondere auch Behörden, die entsprechende Maßnahmen ergreifen können“, betonte Stark.
Dringenden Handlungsbedarf sieht auch Dr. Marina Treskova, Post-Doc am Climate-Sensitive Infectious Diseases lab (CSIDlab) des Instituts für Globale Gesundheit (HIGH) der Universität Heidelberg: „Wir müssen unsere Gesundheitssysteme widerstandsfähiger machen und wissenschaftsbasierte Anpassungsmaßnahmen entwickeln und umsetzen.“
Asiatische Tigermücke weist eine hohe Vektor-Kompetenz auf
Eine nicht unerhebliche Rolle spielt die Asiatische Tigermücke, die mit einer hohen Vektor-Kompetenz das Dengue-Virus, das Chikungunya-Virus oder das Zika-Virus übertragen kann. Sie sei in Südwestdeutschland, aber inzwischen auch in Berlin, in Jena und in Teilen Bayerns etabliert, berichtete Stark. „Das heißt nicht, dass wir in den nächsten 1, 2 Jahren sofort Übertragungsfälle in Deutschland haben werden, aber man kann es auch nicht ausschließen.“
Je höher die Temperaturen im Sommer sind, desto schneller vermehren sich die Viren und können übertragen werden. Das gilt auch für das West-Nil-Virus, das von heimischen Stechmücken der Gattung Culex übertragen wird. 2019 gab es in Deutschland die ersten Fälle von West-Nil-Fieber bei Menschen, die sich mit dem Virus nicht auf Reisen im Ausland, sondern durch den Stich heimischer Mücken angesteckt hatten.
Am Beispiel der Stechmücken illustrierte Hertig, dass es mit zunehmender Erwärmung durch den Klimawandel auch zu Zielkonflikten kommen werde. „Bei der Ausweitung von Mückenpopulationen spielen Wasserflächen eine große Rolle für das Ei und Larvenstadium der Mücken. Deswegen möchte man natürlich offene Wasserflächen vermeiden“, so Hertig. Aber in den Städten sei Wasser – gerade bei zunehmender Erwärmung – für die Stadtnatur und für die Stadtfauna essenziell.
Große Mückenpopulationen ließen sich mit Larviziden eindämmen. „Aber dazu braucht es natürlich gute Konzepte und abgestimmte Vorgehensweisen vor Ort“, sagte Stark.
FSME: Risikogebiete weiten sich nach Norden hin aus
Auch für die von Zecken übertragene FSME gibt es einen klaren Trend hin zu einer Ausweitung der Risikogebiete nach Norden: „in Sachsen sind jetzt alle Land-und Stadtkreise Risikogebiete.“ Stark verwies auf die wirksame und sichere Impfung gegen FSME: „In den Risikogebieten sollte gezielt über die Impfung aufgeklärt und darauf hingewiesen werden, wie man sich gegen Zecken schützt“.
Über das Infektionsschutzgesetz (IfSG) sind rund 60 Infektionserreger meldepflichtig, darunter fallen auch die meisten klimasensitiven Erreger, seit 2016 auch Infektionen mit dem West-Nil-Virus. Einen Überblick über Stechmückenvorkommen bieten Monitoring-Programme über das Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit, für das Mückenfallen in bestimmten Gegenden aufgestellt werden. Neben dem Mückenatlas zum Monitoring der Stechmücken-Entwicklung in Deutschland gibt es am RKI auch einen Zeckenatlas, der einen Überblick über das Vorkommen und die Entwicklung der Zecken in Deutschland liefert.
Vibrionen: Starke Vermehrung bei Wassertemperaturen über 20°C
Mit wärmeren Temperaturen an der Ostsee können auch die sogenannten Nicht-Cholera-Vibrionen zunehmen. Die gramnegativen Bakterien vermehren sich stark bei Wassertemperaturen über 20°C und einem mäßigen Salzgehalt von 0,5 bis 2,5%.
Seit den 1980er-Jahren hat sich durch höhere Wassertemperaturen die Zahl der Tage verdoppelt, an denen sich Menschen überhaupt mit Vibrionen in der Ostsee anstecken können. 2018 waren es bereits 107 Tage.
„Vibrionen können über kleinste, zum Teil gar nicht bemerkte Wunden in die Haut eindringen. Und bei älteren Personen oder Personen mit geschwächten Immunsystem können Vibrionen zu schwersten Infektionen und Blutvergiftungen führen, die rasch mit Antibiotika behandelt werden müssen“, betonte Stark. „Zum Glück gibt es bisher nicht sehr viele dieser Fälle, aber etwa in der Größenordnung 10,15, 20 Fälle jedes Jahr, die sich in der Ostsee infiziert haben. Aber mit wärmeren Temperaturen der Ostsee können diese Fallzahlen auch zunehmen“, sagte Stark.
Wichtig sei, die Bevölkerung aufzuklären, dass Personen mit Hautwunden, mit Vorerkrankungen, die mit einem geschwächten Immunsystem einher gingen, in diesen Gebieten gar nicht erst baden sollten.
Vibrionen, Hantaviren, FSME: Mit welcher Zunahme ist zu rechnen?
Laut Stark würden bei den Nicht-Cholera-Vibrionen bisher 10 bis 20 Fälle pro Jahr berichtet, Tendenz steigend: „Es lässt sich aber nicht prognostizieren, wie viele das sein werden“. Ein erhöhtes Risiko tragen vor allem vulnerable Menschen mit entsprechenden Vorerkrankungen.
Bei den durch Rötelmäuse übertragenen Hantaviren gibt es immer wieder Zyklen mit hohen Infektionszahlen – in Abhängigkeit von der Buchenmast, da sich die Nagetiere von Bucheckern ernähren: „Wir hatten Jahre mit deutlich über 2.000, 3.000 Fällen. Das kann wieder passieren“, sagte Stark. Zumal die Erwärmung infolge des Klimawandels dazu führe, dass die Zyklen der Buchenmast in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hätten. Früher gab es alle 4, 5 Jahre eine starke Buchenmast, jetzt alle 2 Jahre. Das verbessert das Nahrungsangebot für die Nager erheblich und fördert ihre Vermehrung.
Doch die Zusammenhänge sind komplex und es steht nicht zu befürchten, dass es jedes Jahr ein Buchenmastjahr gibt. Das sei, so Stark biologisch praktisch nicht möglich. Der Experte rechnet allerdings mit einer Zunahme von FSME-Fällen und West-Nil-Virus-Fällen: „Bislang liegen wir da der Größenordnung 20 Fälle pro Jahr. Aber das kann leicht mal in viele Hunderte oder auch viele Tausende gehen.“
Antibiotika-Resistenzen nehmen zu
Damit nicht genug. 6 für den Sachstandsbericht ausgewertete Studien zeigen, dass ein Temperaturanstieg der zu höheren Antibiotikaresistenzraten und einem erhöhten Risiko für Besiedlung mit und Verbreitung von antibiotikaresistenten Erregern führen kann. Weiterhin steigt die Anzahl nosokomialer Infektionen.
Einige Studien weisen auch auf einen höheren Antibiotikaverbrauch bei wärmeren Durchschnittstemperaturen hin. Für Europa liegen zwar nur wenige Studien vor, diese deuten jedoch darauf hin, dass die Krankheitslast durch AMR (antimicrobial resistance) durch den Klimawandel weiter verstärkt wird.
Bei steigender Erwärmung von Temperatur oder Wasser vermehrten sich Bakterien nicht nur besser, auch die Periode, in der sie sich vermehren können, ist länger, erklärte Treskova. Hinzu kommt der Einfluss von Extremwetter wie Starkregen, der in manchen Ländern die Abwasserkanäle überfluten und so dazu führen kann, dass Bakterien ins Wasser gelangen - was Kontakte zwischen Bakterien, Menschen und Tieren ermöglicht und so wiederum Resistenzen fördert.
Klimaschutz ist Gesundheitsschutz
Für den Bereich Infektionskrankheiten schlägt Treskova eine integrierte Surveillance vor: „Also ein System, das nicht nur den Menschen, sondern auch die Veränderungen in der Verbreitung von Krankheitserregern bei Tieren und auch in der Umwelt im Auge behält. Und es ist natürlich sehr wichtig zu begreifen, dass die Eindämmung des Klimawandels enorme Vorteile für die Gesundheit und die Gesundheitssysteme mit sich bringt und Leben rettet“, betonte Treskova.
Dass Klimaschutz direkt Gesundheitsschutz ist, zeigt sich auch beim Aspekt Hitze. Das RKI nennt für die Kalenderwochen 15 bis 46 des Jahres 2022 eine hitzebedingte Übersterblichkeit von rund 4.500 Sterbefällen. Derzeit, so Stark, gebe es im Schnitt 2 bis 3 Hitzewellen pro Jahr. „Mit wenig Klimaschutz werden wir am Ende des Jahrhunderts bei einer Erwärmung von 4 bis 5°C landen. Kommt es dazu, dann sehen wir mindestens eine Verdoppelung in der Anzahl der Hitzewellen.“ Würde hingegen sehr effektiv Klimaschutz betrieben, ließe sich die Erwärmung vielleicht auf 2 Grad begrenzen – „dann sehen wir vielleicht nur 3 oder 4 Hitzewellen pro Jahr.“
Im 1. Teil des Sachstandsberichts haben interdisziplinär über 90 Autoren aus allen möglichen Organisationen zusammengearbeitet, das Wissen zusammengetragen und Handlungsempfehlungen gegeben. „Jetzt geht es darum, dieses Wissen ganz konkret in das Public-Health-System zu implementieren, damit wir uns vorbereiten. Und wir haben die Chance dazu. Und diese Chance, die sollten wir wahrnehmen“, schloss Hertig.
Fanden Sie diesen Artikel interessant? Hier ist der Link zu unseren kostenlosen Newsletter-Angeboten – damit Sie keine Nachrichten aus der Medizin verpassen.
Credits:
Photographer: © Michael Pettigrew
Lead Image: Dreamstime
Medscape Nachrichten © 2023 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: „Jetzt handeln!“ RKI warnt vor drastischen Gesundheitsfolgen durch Klimawandel – mit diesen Infektionsherden müssen wir rechnen - Medscape - 2. Jun 2023.
Kommentar