München – Die neue ELAN-Studie (early versus late initiation of direct oral anticoagulants in post-ischemic stroke patients with atrial fibrillation) zeigt, dass eine frühe Antikoagulation kein erhöhtes Risiko für intrakranielle Blutungen mit sich bringt, sondern die Rate ischämischer Ereignisse verringert.
Personen, die mit einem akuten ischämischen Schlaganfall und mit diagnostiziertem Vorhofflimmern, die ins Krankenhaus eingeliefert werden, können deutlich früher mit direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) behandelt werden, als dies bislang üblich ist.
Studienleiter Dr. Urs Fischer, Neurologe am Universitätsspital Basel, hat die Ergebnisse der ELAN-Studie auf der European Stroke Organisation Conference 2023 in München vorgestellt. Gleichzeitig wurde die Studie im New England Journal of Medicine publiziert [1,2].
Fischer erklärt gegenüber Medscape: „Wir kommen zu dem Schluss, dass es keinen Grund gibt, die DOAK-Therapie bei diesen Personen verzögert einzusetzen. Eine frühe DOAK-Therapie ist nach unseren Resultaten sinnvoll, weil sie wahrscheinlich keinen Schaden anrichtet und die Zahl der ischämischen Ereignisse wohl besser verringert.“
Fischer: „Diese Studie wird die klinische Praxis dahingehend verändern, dass wir jetzt viel sicherer sein können, dass eine früh einsetzende DOAK-Therapie bei diesen Personen keinen Schaden anrichtet.“
Mitautor Dr. Jesse Dawson, Experte für Schlaganfälle am Queen Elizabeth University Hospital im schottischen Glasgow, fügte hinzu: „Die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt der DOAK-Gabe ist in unserer täglichen Arbeit mit vielen Zweifeln verbunden. Die Verantwortlichen haben große Angst davor, eine intrakranielle Blutung auszulösen und tendieren daher dazu, abzuwarten. Die vorliegenden Ergebnisse werden wohl einen großen Teil dieser Angst nehmen können.“
Fischer erklärte, dass eine Antikoagulation nach einem akuten ischämischen Schlaganfall bei bestehendem Vorhofflimmern das Risiko eines erneuten Schlaganfalls verringere. Derzeit gebe es jedoch keine eindeutigen Leitlinien darüber, zu welchem Zeitpunkt diese Therapie einsetzen solle, da befürchtet werde, dass ein sehr früher Beginn das Risiko für eine hämorrhagische Transformation und eine intrazerebrale Blutung erhöhen könnte.
Bislang gilt bei DOAK die „1-3-6-12-Tage-Regel“
Aufgrund der Beobachtung, dass Menschen nach ausgedehnteren Schlaganfällen ein erhöhtes Risiko für eine Hirnblutung haben, empfehlen Leitlinien unterschiedliche Zeitpunkte für den Beginn der Antikoagulation in Abhängigkeit vom Schweregrad des Schlaganfalls („1-3-6-12-Tage-Regel“):
nach 1 Tag bei einer transitorischen ischämischen Attacke,
nach 3 Tagen bei einem leichten Schlaganfall,
nach 6 Tagen bei einem mittelschweren Schlaganfall,
nach 12 Tage bei einem schweren Schlaganfall.
„Diese Regel basiert jedoch nicht auf Evidenzen, sondern nur auf Meinungen von Experten“, sagt Fischer. „Die ELAN-Studie wurde durchgeführt, um fundiertere Informationen über den optimalen Zeitpunkt für den Beginn einer Antikoagulation zu erhalten und um herauszufinden, ob wir mit einer DOAK früher und sicher beginnen können, als es in diesen Leitlinien derzeit empfohlen wird.“
Design der ELAN-Studie
Für die in 15 Ländern durchgeführte Studie wurden 2.013 Patienten mit einem akuten ischämischen Schlaganfall und vorbestehendem Vorhofflimmern zufällig einer früher oder einer später einsetzenden DOAK-Therapie zugewiesen.
Ärzte folgten in einer Gruppe dem bislang üblichen Vorgehen, die Behandlung nach der „1-3(4)-6(7)-12(-14)-Tage-Regel“ zu beginnen. In der anderen Gruppe mit früherem Behandlungsbeginn erhielten Patienten innerhalb von 48 Stunden nach einem leichten oder mittelschweren Schlaganfall oder am 6. bis 7. Tag nach einem schweren Schlaganfall DOAK.
Ärzte haben die Schwere der Schlaganfälle anhand der Bildgebung definiert. Demnach hatten 37% der Teilnehmer einen leichten Schlaganfall, 40% einen mittelschweren und 23% einen schweren Schlaganfall.
Der primäre Endpunkt war eine Kombination aus erneutem ischämischem Schlaganfall, systemischer Embolie, schwerer extrakranieller Blutung, symptomatischer intrakranieller Blutung oder vaskulärem Tod innerhalb von 30 Tagen nach der Randomisierung. Zu diesem Endpunkt kam es bei 2,9% in der früher und bei 4,1% in der später behandelten Gruppe (Risikodifferenz: -1,18%; 95%-Konfidenzintervall -2,84 bis 0,47).
Ein rezidivierender ischämischer Schlaganfall trat bei 1,4% in der früher behandelten Gruppe und bei 2,5% in der später behandelten Gruppe auf (Odds Ratio: 0,57; 95%-KI: 0,29 bis 1,07). Eine symptomatische intrakranielle Blutung hatte sich nach 30 Tagen in beiden Gruppen bei je 2 Personen ereignet (0,2%).
Die Raten der Endpunkte lagen nach 90 Tagen nur geringfügig höher als nach 30 Tagen. Dies deute den Autoren zufolge darauf hin, „dass eine frühe Antikoagulation in diesem Zeitraum kein übermäßiges Risiko bedeutet“.
„Ein früher Behandlungsbeginn kann daher unterstützt werden, wenn er indiziert oder erwünscht ist“, schlussfolgern die Autoren.
„Das wichtigste Ergebnis war, dass die Rate an Blutungskomplikationen unter den 2.000 Teilnehmenden an der Studie sehr niedrig war und dass sich in der Gruppe mit früher DOAK-Therapie keine Zunahme bei den Blutungskomplikationen zeigte. Dies war eine der Hauptsorgen im Zusammenhang mit der frühen Antikoagulation“, kommentiert Fischer.
Anhaltspunkte für einfache therapeutische Entscheidungen
„Das sind sehr praktische Ergebnisse, denn wir können die Dinge einfach halten“, sagte Dawson. „Wenn eine Person einen schweren Schlaganfall erleidet, kann die Antikoagulation mit einem DOAK jetzt bereits nach 6 Tagen beginnen. In allen anderen Fällen können wir sogar so schnell wie möglich mit der Gerinnungshemmung beginnen, ohne dass wir eine weitere Schädigung der Betroffenen fürchten müssen.
Damit können wir Personen mit einem durch die Bildgebung als leichten oder mittelschwer definierten Schlaganfall eine sinnvolle Therapie anbieten, wenn feststeht, dass der Schlaganfall ischämisch war und ein gleichzeitiges Vorhofflimmern vorliegt.“
Dawson wies darauf hin, dass in etwa 25% der ischämischen Schlaganfälle ein Vorhofflimmern bereits im Aufnahme-EKG festgestellt werde; bei weiteren 4% bis 5% geschehe dies innerhalb der ersten 48 Stunden. „Auf diesen Personenkreis zielen wir mit dieser Studie ab.“
Kein Überlegenheits- oder Nicht-Unterlegenheitsdesign
Die Forschenden weisen darauf hin, dass die Studie kein statistisches Überlegenheits- oder Nicht-Unterlegenheitsdesign hatte, sondern vielmehr die Effekte einer früh einsetzenden DOAK-Behandlung im Vergleich zu einem späteren Therapiebeginn darstellen wollte.
Sie schreiben: „Diese Studie war insofern etwas anders, als wir keine strenge statistische Hypothese testen konnten, weil wir keine Daten hatten, anhand derer sich hätte formulieren lassen, welche Art von Effektgröße wir anstreben sollten. Unsere wichtigsten Ergebnisse sind, dass die Blutungsraten durch eine früh einsetzende DOAK-Therapie nicht erhöht wurden und dass die Rate der ischämischen Ereignisse zurückging. Da wir jedoch keine strengen statistischen Grenzen festgelegt hatten, können wir nur sagen, dass es sich um eine hohe Wahrscheinlichkeit, jedoch nicht um eine Gewissheit handelt.“
Dawson fügte hinzu: „Auf Grundlage dieser Ergebnisse können wir sagen, dass eine frühe DOAK-Therapie mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Schaden verursacht und mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das Risiko eines erneuten Schlaganfalls oder eines anderen ischämischen Ereignisses senkt.“
Für den primären zusammengesetzten Endpunkt, der die wichtigsten ischämischen Ereignisse und Blutungen zusammenfasst, geben die Forschenden eine geschätzte Effektgröße an, die von einem um 2,8% geringeren Risiko bis zu einem um 0,5% höheren Risiko bei frühzeitiger DOAK-Behandlung reicht. „Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass der zusammengesetzte Endpunkt niedriger ausfallen würde“, sagte Dawson.
Fischer wies auf eine ältere Studie (TIMING) hin, die der Frage einer frühen oder späten Antikoagulation bei diesen Patienten nachzugehen versuchte, jedoch wegen einer zu schleppenden Rekrutierung bei 880 Personen vorzeitig abgebrochen wurde. „Ergebnisse dieser Studie konnten zwar keine Überlegenheit einer frühen versus einer späteren DOAK-Therapie zeigen, deuteten aber auf eine Nichtunterlegenheit hin.“
Eine weitere Studie (OPTIMAS) zum selben Thema läuft aktuell in Großbritannien. Geplant ist, 3.500 Patienten zu randomisieren.
Bildgebende Verfahren zur Beurteilung der Insult-Schwere
In der ELAN-Studie wurde der Schweregrad des Schlaganfalls anhand von bildgebenden Verfahren und nicht anhand der National Institutes of Health Stroke Scale (NIHSS) bestimmt.
„Wir haben einen vorsichtigen Ansatz gewählt, indem wir die Bildgebung zur Definition des Schlaganfallschweregrads verwendet haben. Bei der Anwendung dieser Ergebnisse in der klinischen Praxis ist es daher wichtig, dass die Personen auf derselben Grundlage für eine DOAK-Therapie ausgewählt werden“, erklärt Dawson. „Dies ist sehr einfach, da das Ausmaß des Schlaganfalls auf den routinemäßigen CT-Scans, die bei allen Patienten durchgeführt werden, klar zu erkennen ist. Es ist ein sehr pragmatisches und einfaches Protokoll. Und es ist somit keine erweiterte Bildgebung erforderlich.“
Dawson wies darauf hin, dass in der Praxis gern der klinische NIHSS-Symptom-Score zur Abgrenzung von leichten, mittelschweren und schweren Schlaganfällen verwendet werde, der bildgebende Ansatz bei der Bestimmung des Blutungsrisikos jedoch tatsächlich genauer sei. Obwohl die Ergebnisse der Bildgebung häufig mit den NIHSS-Scores korrelierten, könne es einige Ausnahmen geben.
Kaum Blutungen unter früher DOAK-Therapie
Der Neurologe Dr. Georgios Tsivgoulis von der Universität Athen kommentierte Ergebnisse mit den Worten, die Studie habe gezeigt, dass die frühe Gabe von DOAK bei dieser Personengruppe sicher sei und die Blutungsrate nicht erhöhe.
„Die Blutungsrate war mit nur 2 Ereignissen in jeder Gruppe sehr niedrig. Und es gab einen Rückgang von über 1% bei den zusammengesetzten Ergebnissen, welche ischämische vaskuläre Ereignisse und Blutungen einschließen“, sagte er. „Das ist auch wichtig, denn es gibt Tausende Menschen mit einem akuten ischämischen Schlaganfall und Vorhofflimmern. Jetzt haben wir eine große Studie, die zeigt, dass wir sie schon frühzeitig mit DOAK behandeln können, und das scheint nicht nur sicher, sondern mit Blick auf die Endpunkte auch effektiver zu sein“, sagte Tsivgoulis.
Er wies jedoch auf eine Besonderheit hin: Die Mehrheit der Betroffenen hatte einen leichten oder mittelschweren Schlaganfall.
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Credits:
Photographer: © Richard Villalon
Lead Image: Dreamstime
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Diesen Artikel so zitieren: Schlaganfall-Therapie wird einfacher: ELAN-Studie zeigt, dass frühe Antikoagulation bei Vorhofflimmern nach Insult sicher ist - Medscape - 1. Jun 2023.
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