Milliardenteurer Müll: Deutschland hat 83 Mio. Impfdosen zu viel bestellt; bald bis zu 56 Mio. COVID-19-Infektionen pro Woche in China?

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

1. Juni 2023

Im Medscape-Corona-Newsblog finden Sie regelmäßig die aktuellen Trends zu Neuinfektionen und Belegung von Intensivstationen sowie eine Auswahl von klinisch relevanten Kurzmeldungen zur Pandemie.

Corona-Newsblog, Update vom 1. Juni 2023

Unsere Themen heute:

  • China: Die nächste Corona-Welle rollt heran – bald 65 Millionen Infizierte pro Woche? 

  • Deutschland: 83 Millionen COVID-19-Impfdosen auf dem Müll

  • Europäische Kommission: Neuer Liefervertrag mit BioNTech/Pfizer 

  • SARS-CoV-2-Infektionen könnten das Risiko für Typ-1-Diabetes erhöhen

  • Mehr Depressionen und Angst unter Jugendlichen während der Pandemie

  • Booster sind auch für Schwangere sicher – kein erhöhtes Abort-Risiko

  • BCG-Impfstoff gegen COVID-19 zeigt in klinischer Studie keinen Nutzen

China: Die nächste Corona-Welle rollt heran – bald 65 Millionen Infizierte pro Woche? 

Seit April bricht über China eine neue COVID-19-Welle herein, befeuert durch die XBB-Variante. Daten von Zhong Nanshan, Direktor des nationalen Zentrums für Atemwegserkrankungen, lieferten Einblicke in die mögliche Dynamik. 

Für die 2. Welle ergab die Modellierung von Zhong, dass die XBB-Variante bis Mai voraussichtlich 40 Millionen Infektionen pro Woche verursachen wird und im Juni auf 65 Millionen pro Woche ansteigen wird. Dies widerspricht früheren Schätzung chinesischer Gesundheitsbehörden, dass die Welle im April ihren Höhepunkt erreicht habe. In Peking stieg die Zahl der zwischen dem 15. und 21. Mai registrierten Neuinfektionen innerhalb von 4 Wochen um das Vierfache.

Da das Virus weiterhin in China zirkuliert und sich die Immunität der Bevölkerung womöglich verringert, besteht die Möglichkeit, dass eine neue, gefährlichere Subvariante entsteht. Viele Menschen hatten bislang nur einen Kontakt zum Antigen – durch Infektion. Die Impfraten sind vor allem in ländlichen Gegenden verschwindend gering. Damit ist China von der endemischen Situation, wie sie etwa in Europa oder in den USA vorherrscht, weit entfernt. 

Deutschland: 83 Millionen COVID-19-Impfdosen auf dem Müll

Wie die  Süddeutsche Zeitung  berichtet, haben Deutschland, aber auch andere EU-Staaten, deutlich mehr Dosen an COVID-19-Vakzinen bestellt als derzeit benötigt werden. Das Blatt beruft sich auf Informationen einer nicht öffentlichen Sitzung des Haushaltsausschusses im Bundestag. 

Demnach sollen bis Ende März 2023 rund 83 Millionen Dosen verfallen sein bzw. entsorgt worden sein. Vakzine seien „auf unterschiedlichen Stufen“ der Lieferkette verfallen, sprich beim Großhandel, in Arztpraxen oder Apotheken. Genau lässt sich der Schaden nicht quantifizieren. Die SZ geht von Kosten im „Milliardenbereich“ aus. 

Die Frage nach Verantwortlichen bleibt indes offen. Bestellungen gehen noch auf den früheren Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zurück. Das Bundesministerium für Gesundheit nimmt ihn mit Verweis auf die damalige Notlage in Schutz: Mit dem frühzeitigen Zugang zu Impfstoffen seien viele Leben gerettet und Millionen Menschen vor schwerem COVID-19 bewahrt worden, heißt es. 

Europäische Kommission: Neuer Liefervertrag mit BioNTech/Pfizer 

Damit sich das Impfstoff-Debakel – in Deutschland oder in anderen EU-Mitgliedsstaaten – nicht wiederholt, hat sich die Europäische Kommission mit BioNTech und Pfizer darauf verständigt, bestehende Lieferverträge zu verändern. Damit wollen Politiker dem sinkenden Bedarf gerecht werden, aber auch den Zugang zu modifizierten Vakzinen gewährleisten, sollten neue Virusvarianten auftreten. 

Die Änderungen im Überblick:

  • Ein Teil der festen Bestellung wird gegen Gebühr in ein optionales Angebot umgewandelt. 

  • Für alle EU-Mitgliedstaaten gilt diese Option für 4 Jahre. 

  • Bei Bedarf sind weitere Dosen über das vereinbarte Kontingent hinaus erhältlich. 

  • EU-Mitgliedsstaaten können im Rahmen des Vertrags auch modifizierte Vakzine erwerben, sobald eine EMA-Zulassung vorliegt.  

Wie das  Ärzteblatt  schreibt, werde der Haushalt Deutschlands „voraussichtlich in Höhe von 1,2 Milliarden Euro entlastet“. Dem stünden zusätzliche Lager- und Logistikkosten von insgesamt 748 Millionen Euro – zwischen 2024 und 2027. In 2023 seien jedoch keine zusätzlichen Kosten durch die Logistik zu erwarten. 

Die Süddeutsche Zeitung wiederum fand heraus, dass neue Verträge Liefermengen von 50% der ursprünglich georderten 92 Millionen Impfdosen vorsehen. Zahlungsverpflichtungen sinken um nicht einmal 25% (0,5 Milliarden Euro) bei einem ursprünglichen Volumen von 2,1 Milliarden Euro. 

SARS-CoV-2-Infektionen könnten das Risiko für Typ-1-Diabetes erhöhen

Die Inzidenz von Typ-1-Diabetes bei Kindern ist bekanntlich während der COVID-19-Pandemie angestiegen, doch Fragen bleiben offen: Bei älteren Studien wurde nicht zwischen Kindern mit und ohne Infektion unterschieden. Deshalb haben Forscher einen großen bevölkerungsbasierten Datensatz der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) analysiert

Ihre Kohorte umfasste 1.181.878 Kinder mit Daten zu medizinischen Leistungen. Bei 1.242 Kindern diagnostizierten Ärzte bis Dezember 2019, also vor der Pandemie, Typ-1-Diabetes. Von den übrigen 1.180.636 Kindern erkrankten 195.795 (16,6%) zwischen Januar 2020 und Dezember 2021 an Atemwegsinfektionen und Ärzte diagnostizierten COVID-19. Bei 57.646 Kindern lag ein positiver Test auf SARS-CoV-2 vor. 

Beim Risiko für Typ-1-Diabetes zeigte sich: 

  • Die Inzidenzrate von Typ-1-Diabetes während der Pandemie betrug 28,5 (95%-Konfidenzintervall: 26,3-30,9; 620 Fälle) pro 100.000 Personenjahre, wenn keine vorangegangene oder gleichzeitige COVID-19-Diagnose vorlag. 

  • Im Vergleich dazu betrug die Inzidenzrate 55,2 (95%-KI: 37,1-81,5; 27 Fälle) pro 100.000 Personenjahre im gleichen Quartal wie die COVID-19-Diagnose. 

  • Die Inzidenzrate lag bei 38,8 (95%-KI: 25,6-58,1; 25 Fälle) in den nächsten 2 Quartalen und 50,7 (95%-KI: 34,3-74,4; 28 Fälle) 6-15 Monate nach der COVID-19-Infektion.

„Eine COVID-19-Diagnose bei Kindern war mit einer erhöhten Inzidenz von Typ-1-Diabetes seit 2020 in Bayern verbunden“, fassen die Autoren zusammen. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine SARS-CoV-2-Infektion zu dem beobachteten Anstieg der Typ-1-Diabetes-Inzidenz während der Pandemie beigetragen hat.“ 

Mögliche Mechanismen seien die Auslösung einer Autoimmunität oder die Beschleunigung des Krankheitsverlaufs. 

Mehr Depressionen und Angst unter Jugendlichen während der Pandemie

Anhand einer Metaanalyse von 53 Langzeitstudien mit mehr als 40.000 Kindern und Jugendlichen haben Forscher nach Anzeichen von Depressionen und Angststörungen im Verlauf der COVID-19-Pandemie gesucht. Tatsächlich haben diese zwischen Januar 2020 und Mai 2022 zugenommen – vor allem bei Mädchen und in reicheren Haushalten. Darüber berichtet  Univadis.de .

Erfasst wurden Veröffentlichungen zwischen 1. Januar 2020 und 17. Mai 2022. Es fanden sich 53 Langzeitstudien mit Daten vor der Pandemie zu 40.807 Kindern und Jugendlichen aus 12 Ländern. Darunter waren 33.682, für die auch Daten während der Pandemie erhoben wurden.

Hauptstudienziel waren die standardisierten mittleren Veränderungen (SMC) bei den Symptomen. Hier gab es bei den Depressionen gute Evidenz für ein Zunahme (SMC: 0,26; 95%-KI: 0,19-0,33).

Die Zunahme depressiver Symptome war bei Mädchen und jungen Frauen besonders ausgeprägt (SMC: 0,32; 95%-KI 0,21-0,42), außerdem bei Kindern und Jugendlichen aus Haushalten mit mittlerem bis hohem Einkommen (SMC: 0,35; 95%-KI: 0,07-0,63). Bezüglich der Angst-Symptomatik fanden die Forscher starke Evidenz für eine leichte Zunahme (SMC: 0,10; 95%-KI: 0,04-0,16).

Die Meta-Analyse scheint die Befürchtung zu bestätigen, dass depressive Symptome und Angst-Symptome sich bei Kindern und Jugendlichen während der COVID-19-Pandemie verstärkt haben – zumindest bis Mitte 2022. Dass dieser Trend offenbar unter Mädchen, im Westen und in reichen Haushalten besonders ausgeprägt sei, könne als Hinweis und Weckruf für die Gesundheitspolitik dienen, schreiben die Autoren. 

Booster sind auch für Schwangere sicher – kein erhöhtes Abort-Risiko

Schwangere würden sich aus Angst vor Fehlgeburten oft gegen Auffrischungsimpfungen entscheiden, schreiben US-Forscher. Um solche Zweifel zu zerstreuen, haben sie Daten einer großen Kohorte mit 112.718 Schwangerschaften ausgewertet. Das mittlere Alter der Mütter lag bei 30,6 Jahren. 

  • Von 270.853 Schwangeren hatten 11.095 (4,1%) eine 3. Impfdosis erhalten. 

  • Von 14.226 Frauen mit Spontanabort hatten 553 (3,9%) eine 3. Impfdosis maximal 28 Tage zuvor erhalten. 

  • Die 3. Dosis war nicht mit einem Spontanabort in einem 28-Tage-Fenster assoziiert (OR: 0,94; 95%-KI: 0,86-1,03). 

  • Die Ergebnisse waren innerhalb eines 42-Tage-Fensters ähnlich (OR: 0,97; 95%-KI: 0,90-1,05). 

„In dieser Fall-Kontroll-Studie war die COVID-19-Auffrischungsimpfung in der Schwangerschaft nicht mit einem Spontanabort verbunden“, so die Autoren. „Diese Ergebnisse unterstützen die Sicherheit der Empfehlungen für die COVID-19-Auffrischungsimpfung, auch bei schwangeren Bevölkerungsgruppen.“

BCG-Impfstoff gegen COVID-19 zeigt in klinischer Studie keinen Nutzen

Zu Beginn der Pandemie haben Wissenschaftler mehrere Strategien erforscht, um Impfstoffe schnell herzustellen. Dazu gehörte auch das Bacille-Calmette-Guérin-Vakzin (BCG), basierend auf einem abgeschwächt-virulenten Bakterium. BCG kommt als Lebendimpfstoff gegen Tuberkulose zum Einsatz. Die Impfung mit BCG scheint auch heterologe, unspezifische Effekte zu zeigen, etwa gegen Infektionen der Atemwege. Doch wie sieht es bei COVID-19 aus? Dieser Frage sollte eine randomisierte, placebokontrolierte Studie nachgehen. 

Mitarbeiter im Gesundheitswesen wurden nach dem Zufallsprinzip entweder mit dem BCG-Denmark-Impfstoff oder mit Kochsalzlösung als Placebo geimpft und 12 Monate lang beobachtet.

Insgesamt haben Forscher 3.988 Teilnehmer randomisiert. Die Rekrutierung wurde vor Erreichen der geplanten Stichprobengröße aufgrund der Verfügbarkeit von COVID-19-Impfstoffen eingestellt. Die Intention-to-Treat-Population umfasste 84,9% der Teilnehmer, die randomisiert wurden: 1.703 in der BCG-Gruppe und 1.683 in der Placebo-Gruppe. 

  • Das Risiko von symptomatischem COVID-19 nach 6 Monaten lag bei 14,7% in der BCG-Gruppe und 12,3% in der Placebo-Gruppe (Risikodifferenz 2,4 Prozentpunkte; 95%-KI: -0,7 bis 5,5; p = 0,13). 

  • Das Risiko für schweres COVID-19 nach 6 Monaten betrug 7,6% in der BCG-Gruppe und 6,5% in der Placebo-Gruppe (Risikodifferenz 1,1 Prozentpunkte; 95%-KI: -1,2 bis 3,5; p = 0,34); 

„Die Impfung mit BCG-Denmark führte nicht zu einem geringeren COVID-19-Risiko als Placebo“, lautet das Fazit der Autoren. 

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Kommentar

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