Soll die Praxis des nicht invasiven Pränataltest (NIPT) verändert werden? Der Gesundheitsausschuss des Bundesrates hat kürzlich das Thema für seine Sitzung am 31. Mai auf die Tagesordnung gesetzt.
Der Blut-Test auf Trisomie 13, 18 und 21 beim Ungeborenen ist seit Juni 2022 unter bestimmten Bedingungen Kassenleistung. Im 3. Quartal 2022 wurde der Test mehr als 50.000 Mal abgerechnet, so die jüngsten Zahlen des GKV-Spitzenverbandes. Der Test kann nur dann vorgenommen werden, wenn Arzt und Patientin sich nach gemeinsamer Erwägung für ihn entschieden haben. Kritiker fürchten jedoch unter anderem, dass die beratenden Ärztinnen und Ärzte nicht ergebnisoffen beraten.
Der Bremer Senat sieht Nachbesserungsbedarf und fordert in einem Entschließungsantrag an den Bundesrat gemeinsame Regeln für den NIPT. Grund für die Bremer Initiative ist außerdem, dass der Test unsicher ist. Vor allem bei jungen Müttern falle er oft falsch positiv.
Mit einer Fruchtwasseruntersuchung kann das Ergebnis überprüft werden. Das bedeutet aber für die Schwangere ein zusätzliches Risiko. Außerdem bestehe die Gefahr, dass die werdenden Eltern den Test für sicherer halten, als er ist, und sich bei positiven Befunden vorschnell zu einem Schwangerschaftsabbruch entscheiden, so die Bremer in ihrer Begründung.
Falle der Test hingegen negativ aus, verlassen sich viele Frauen darauf, dass ihr Kind gesund zur Welt kommt, und verzichten auf ein Ersttrimester-Screening, das deutlich genauere Ergebnisse als ein NIPT zeigen würde. Die Folge: Immer mehr (sehr belastende) Spätabbrüche, weil Auffälligkeiten erst spät erkannt wurden.
Interdisziplinäres Expertengremium gefordert
Die Bremer Regierung schlägt vor, Daten zur ärztliche Beratung für den Test auswerten zu lassen und, „ein interdisziplinäres Expert:innengremium einzusetzen, das die rechtlichen, ethischen und gesundheitspolitischen Grundlagen der Kassenzulassung des NIPT prüft“, wie es in dem Bremer Antrag heißt.
Ein genauerer Blick auf die Praxis liegt nahe. Denn die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass dort immer weniger Kinder mit Trisomie 21 zur Welt kommen, wo der NIPT schon länger als Kassenleistung zugelassen ist. Ähnliches fürchtet der Bremer Senat auch für Deutschland. „Langfristig könnte hierdurch (durch den NIPT als Kassenleistung) die Stigmatisierung von Familien mit Kindern mit Trisomie 21 zunehmen und die Unterstützungsangebote für Kinder mit Trisomie 21 reduziert werden“, so der Senat. „Auch verringert sich durch entsprechende gesellschaftliche Entwicklungen die Möglichkeit für Schwangere und ihre Angehörigen, sich für ein Kind mit Trisomie 21 entscheiden zu können.“
Klare Indikation und mehr Beratung für den Test nötig
Währenddessen wünschen sich Pränatalmediziner vor allem eine klare Indikation für den Test, wie der Dorstener Pränatalmediziner Dr. Thomas von Ostrowski vom Berufsverband niedergelassener Pränatalmediziner (BVNP) sagt. Wann sollten die Ärzte dem Wunsch ihrer Patientinnen entsprechen und dem Test zustimmen und wann nicht? Weil dies unklar sei, könnten Ärztinnen und Ärzte dem Test womöglich leichter zustimmen, um sich vor rechtlichen Konsequenzen zu schützen, so von Ostrowski.
Außerdem könnten die Ärzte für die Beratung gerade mal 4 Kurzgespräche von je 5 Minuten abrechnen, sagt der Arzt. Also: 20 Minuten für eine Lebensentscheidung. „Dieser Rahmen reicht nicht aus!“, so der Pränatalmediziner. Die Frau müsse Zeit bekommen, sich entscheiden zu können.
Als „nachvollziehbar und unterstützungswürdig“ bewertete der Freiburger Medizinethiker Prof. Dr. Giovanni Maio die Initiative des Bremer Senats. „Das Wesentliche bei der NIPN ist gerade die Beratung, weil nur über sie gesichert werden kann, dass die Schwangeren tatsächlich autonom entscheiden und nicht nur als Resultat einer verinnerlichten sozialen Erwartung“, so Maio auf Anfrage von Medscape.
Zugleich warnt Maio davor, dass sich „eine soziale Erwartung“ in die Praxis einschleicht, „denn es besteht die ernsthafte Gefahr, dass die NIPN sich sukzessive zu einer Screening-Untersuchung entwickeln kann, und das wäre ein enormer Rückschritt“, so Maio.
Würde der Test zum Screening-Bestandteil der Pränataldiagnostik, „hätte das enorme Auswirkungen – nicht nur auf die betroffenen Eltern, sondern auch in gesellschaftlicher Hinsicht, über die man vorher ausreichend nachdenken muss“, so Maio.
„Es liegt nahe, dass sich diese Form des Screenings auf weitere Behinderungen oder Beeinträchtigungen ausdehnen wird, und damit werden die Identität und Rolle der Medizin berührt. Wozu ist Medizin da? Kann es ihr Ziel sein, behindertes Leben systematisch auszusortieren?“ Würde der Test „routinemäßig vorgeschaltet“, käme dies einer systematischen Negativbewertung behinderten Lebens gleich.“
Dabei sei es doch die Aufgabe der Medizin, „der Schwangeren beziehungsweise den werdenden Eltern dazu zu verhelfen, dass sie eine wohlüberlegte und vor allem eigene Entscheidung treffen, erklärt der Medizinethiker.
„Die Beratung muss daher ergebnisoffen sein und sie muss das Ziel haben, die Schwangeren so zu stärken, dass sie eine Entscheidung treffen können, die nicht einer verinnerlichten sozialen Erwartung, sondern ihrem eigenen Lebenskonzept entspricht, damit sie ein Leben lang mit der Entscheidung gut umgehen können.
Eine gesamtgesellschaftliche Frage
Angesichts der womöglich zu erwartenden hohen Abbruchzahlen melden sich auch Betroffenen-Verbände zu Wort. Sarah Manteufel von der Initiative „NoNIPT“ fürchtet, dass ein von den Kassen bezahlter Test inklusive ärztlichen Gesprächs eine „Eigendynamik hin zu rein medizinischen Aspekten einer möglichen Trisomie 21 entwickelt“ wie sie zu Medscape sagt.
„Sollte der Test dann wirklich einen Hinweis auf eine Genvariation zeigen, fallen die Eltern erstmal in ein tiefes Loch, weil sie den Befund eben auch nur medizinisch betrachten, als Problem, das man dann vermeiden will Es steht dann der Abbruch im Raum. Stattdessen sollte vor einem möglichen Test auch darüber gesprochen werden, wie wir in unserer Gesellschaft eigentlich mit Behinderung umgegangen wird und wie man mit ihr umgehen sollte.“
Aus Sicht Manteufels kann man das Problem „nicht im Wartezimmer lösen und nicht durch die schwangeren Frauen“. Am Ende gehe es darum, wie Familien mit behinderten Kindern gesellschaftlich unterstützt werden, „damit alle ein gutes Leben haben“, sagt Manteufel.
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Diesen Artikel so zitieren: Nur ein bisschen Blut – doch die ärztliche Beratung ist heikel: Bundesrat diskutiert über Ethik nicht-invasiver Pränataltests - Medscape - 31. Mai 2023.
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