Nur eins ist sicher – es ist komplex: Vorschläge von Experten, wie sich künftig Arzneimittelengpässe vermeiden lassen 

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

31. Mai 2023

Engpässe und Lieferprobleme bei wichtigen Medikamenten haben längst kritische Ausmaße erreicht und beeinträchtigen die Gesundheitsversorgung. Derzeit sind laut BfArM 493 Arzneimittel nicht lieferbar. „Und diese Arzneimittel sind oft auch Mittel, für die es keine gleichwertige Alternative gibt“, betonte Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach im Bundestag anlässlich der ersten Beratung des Gesetzentwurfs zur Bekämpfung von Lieferengpässen. 

Komplexe Ursachen

Die Ursachen der Lieferprobleme sind komplex: globale, kaum noch nachvollziehbare Lieferketten, Preisdumping, regulatorische Herausforderungen und die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Wie eine bessere Versorgung gelingen kann, diskutierten jetzt Experten bei einem press briefing des SMC [1].

Prof. Dr. David Francas, Experte für Daten- und Lieferkettenanalyse an der Hochschule Worms nannte 3 Hauptursachen für Lieferprobleme: Einmal Probleme in der Produktion wie Qualitätsmängel, technische Probleme, die Verfügbarkeit von Wirkstoffen. Dann Marktaustritte – „die waren mit ursächlich bei den Fiebersäften für Kinder. Dabei ist der zweitgrößte Zulassungsinhaber für Deutschland mit etwa 30% aus dem Markt ausgetreten, so dass wir de facto eigentlich eine Monopolsituation haben“, erklärte Francas. Der dritte Grund schließlich ist eine unerwartete Nachfragesteigerung: In der Pandemie sei das beispielsweise ein erhöhter therapeutischer Bedarf durch mehr Intensivpatienten gewesen. 

Ein anderes Beispiel ist der Lieferengpass bei Semaglutid. „Man hat gemerkt, dass man das Mittel auch zum Abnehmen einsetzen kann, es wird gehypt, und plötzlich hat man einen Off-Label Use für das Medikament, der natürlich auch die Nachfrage treiben kann“, erläuterte Francas. 

Dass Krankenhaus-Apotheken Lieferengpässe nur bedingt abfangen können, machte Dr. Torsten Hoppe-Tichy, Leiter der Apotheke des Universitätsklinikums Heidelberg, deutlich. In der Gesetzgebung sei das klar geregelt: „Wir können eigentlich nur für unsere eigenen Patienten, die im Bett des Krankenhauses liegen, etwas herstellen. Das, was wir eventuell gemacht [hätten], zur Überbrückung bei den Transplantationspatienten, wäre schon darüber hinaus gewesen. Aber wir hätten es natürlich trotzdem gemacht, um die Patienten abzusichern“, sagte Hoppe-Tichy. 

Produktion zurückholen, größere Lagerbestände               

Ankündigungen, die Produktion nach Deutschland zurückzuholen, hält Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe, Seniorprofessorin für pharmazeutische und medizinische Chemie, Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie, Julius-Maximilians-Universität Würzburg, für „ein bisschen naiv“. Zumal die Produktion selbst alles andere als einfach, sondern komplex. Es gibt mehrere Firmen, die Zwischenprodukte herstellten, eine Synthese eines Wirkstoffes kann viele Stufen und Zwischenstufen umfassen.

„Ich bin unbedingt dafür, dass wir über viele Dinge nachdenken und auch wieder Dinge zurückholen sollten. Und es sollte uns das wert sein, dafür auch mehr zu bezahlen. Dafür, dass wir unabhängiger werden von China. Aber wir werden niemals wirklich unabhängig. Denn die Chinesen haben ganz viel übernommen, was wir nicht mehr machen wollen. Halogen-Chemie zum Beispiel soll in Deutschland nicht mehr gemacht werden aus umwelttechnischen Gründen“, erklärte Holzgrabe. 

 
Wir werden niemals wirklich unabhängig. Denn die Chinesen haben ganz viel übernommen, was wir nicht mehr machen wollen. Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe
 

Größere Lagerbestände könnten allenfalls eine vorübergehende Not beheben: „Wir müssen uns überlegen, wie wir Lieferketten resilienter machen, wie wir zu einer Diversifizierung von Lieferketten kommen und wir müssen im Grunde genommen auch sagen, was uns das wert ist.“ 

 
Wir müssen uns überlegen, wie wir Lieferketten resilienter machen, wie wir zu einer Diversifizierung von Lieferketten kommen … Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe
 

Vor allem Versorgung mit Antiinfektiva und Onkologika sicherstellen

Die einfache, einzelne Lösung werde es aber nicht geben, so Hoppe-Tichy. „Wir müssen das Ganze als gesellschaftspolitisches Problem begreifen.“ Das bedeute, die beiden großen demokratischen Parteien in die Pflicht zu nehmen. 

„Wir müssen uns aber auch an die eigene Nase fassen.“ Es gehe nicht, ein Antidiabetikum off-label jemandem zu verschreiben, der abnehmen wolle, bei dem aber keine Indikation vorliege. „Das ist ein Unding“, sagte Hoppe-Tichy. 

Bezogen auf Krankenhaus-Apotheken bedeute das, kein Single Sourcing im Generika-Bereich mehr zu machen, sondern immer mehrere Anbieter zu nutzen und dort auch einzukaufen, wenn sich die Preise ein bisschen unterscheiden. „Wir haben auch eigene Maßnahmen, die direkt bei uns Spielern im Gesundheitswesen liegen, die wir ergreifen können. Das darf man nicht vergessen“, betonte Hoppe-Tichy.

Holzgrabe erinnerte daran, dass es sich bei Engpässen, Belieferung und Produktion um sehr komplexe Geschehen handele. „Wir sollten uns vor allem darauf konzentrieren, dass wir genügend Antiinfektiva und Onkologika haben, da hat der Herr Lauterbach schon recht. Wie wir das hinbekommen, ist ein nicht einfaches Thema. Denn zum Beispiel Mittel wie Penicillin und Cephalosporine, die wir in großen Mengen bei Infektionen einnehmen, lassen sich noch relativ einfach herstellen, aber viele andere Antibiotika haben einen wesentlich komplexeren Herstellungsweg.“

Mischung aus höheren Preisen, Reshoring und nationalen Reserven?

Nach Einschätzung von Francas setzt sich die Lösung aus mehreren Bausteinen zusammen. Zunächst sei eine Strategie notwendig: „Für diese Strategie müssen wir erst einmal wissen, wo die größten Probleme liegen. Und das sollte nicht das Tagesgeschäft diktieren, sondern wir müssen wirklich wissen, was ist die Faktenseite auf den Lieferketten, was ist die Nachfrageseite seitens der Ärzte, der Apotheken, die wirklich genau wissen, was für die Patienten relevant ist.“ 

Der zweite Aspekt sei: „Wir brauchen eine transnationale Perspektive. Die derzeitige Misere als nationales Problem zu betrachten, ist grundsätzlich falsch, auch wenn es Ausnahmen geben mag.“ 

 
Wir brauchen eine transnationale Perspektive. Die derzeitige Misere als nationales Problem zu betrachten, ist grundsätzlich falsch … Prof. Dr. David Francas
 

Und der dritte Aspekt schließlich: Es gebe nicht die eine Lösung. „Es wird vielleicht eine Mischung sein aus höheren Preisen oder anderen Preisen in einzelnen Bereichen, aus möglicherweise Reshoring, das aber sicherlich nicht als deutscher Alleingang. Möglicherweise brauchen wir auch nationale Reserven in bestimmten Bereichen oder auch europäische Reserven. Doch wir sollten nicht anfangen, irgendwelche Bundeswehrschuppen zu mieten und dort dann die Arzneimittel reinzulegen wie bei Tamiflu und uns dann freuen, wie die peu à peu verderben“, so Francas.

Fanden Sie diesen Artikel interessant? Hier ist der  Link  zu unseren kostenlosen Newsletter-Angeboten – damit Sie keine Nachrichten aus der Medizin verpassen.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....