Werden Chatbots künftig in der Arztpraxis auch bei der Kommunikation mit Patienten assistieren? Vielleicht weil sie besser darin sind? Forscher der University of California in San Diego haben die neuen Möglichkeiten von Spracherkennungssystemen im Medizinbetrieb in einer Studie, die in JAMA veröffentlicht wurde, untersucht.
Hierfür beantworteten eine Gruppe von Ärzten und Ärztinnen eine Auswahl an Patientenfragen aus einem Online-Forum. Dieselben Fragen wurden ChatGPT zur Bearbeitung vorgelegt. Die Antworten wurden von Experten und Expertinnen analysiert und zeigten ein überraschendes Resultat: Die Ergebnisse des Chatbots wurden durchschnittlich als qualitativ besser eingestuft. Im Vergleich zu den Antworten der Ärzte und Ärztinnen wurden die Ratschläge von ChatGPT zudem als deutlich empathischer bewertet.
Rund 190 Fragen, die ursprünglich im Reddit-Forum AskDocs gestellt worden waren, musste ChatGPT in der wurde, beantworten. Beispielsweise:
„Ich bin beim Joggen mit dem Kopf gegen eine Metallstange gestoßen. Jetzt habe ich eine Beule, Kopf- und Nackenschmerzen. Soll ich zum Arzt gehen?“
„Ich habe einen Zahnstocher verschluckt. Kann das tödlich sein?“
„Ich habe einen Spritzer Bleichmittel in mein Auge bekommen, jetzt ist es trocken und gereizt. Kann ich daran erblinden?
Im Rahmen der Querschnittsstudie beantworteten sowohl ChatGPT, als auch Ärzte und Ärztinnen die Fragen schriftlich in einer Online-Sitzung. Die Antworten wurden, anonymisiert und randomisiert den 3 Jurys mit Experten aus den Bereichen Pädiatrie, Geriatrie, Innere Medizin, Onkologie, Infektiologie und Präventionsmedizin vorgelegt.
Die Experten entschieden, welche Antwort „die Bessere“ ist und beurteilten zudem die Qualität der gelieferten Informationen anhand einer fünfstufigen Skala (sehr schlecht, schlecht, akzeptabel, gut oder sehr gut). Aber auch das ausgedrückte Einfühlungsvermögen (nicht empathisch, wenig empathisch, mäßig empathisch, empathisch und sehr empathisch).
Mithilfe der jeweils erziehlten Durchschnittsergebnisse haben die Forscher die Qualität der Chatbot-Antworten und die der Ärzte miteinander verglichen.

Chat-Vorteil für ChatGPT
Das überraschende Ergebnis: In 78,6% der insgesamt 585 bearbeiteten Fälle bevorzugten die Experten die Antwort von ChatGPT im Vergleich zur Antwort ihrer ärztlichen Kollegen. Die Ratschläge des Chatbots wurden signifikant besser bewertet als die der Ärzte. Dabei zeigte der Chatbot eine 3,6-fach höhere Prävalenz von Antworten mit guter oder sehr guter Qualität.
Zudem wurden die ChatGPT-Ratschläge als signifikant empathischer bewertet. Verglichen mit den Antworten der Ärzte lieferte der Chatbot 9,8-mal so viele empathische oder sehr empathische Antworten.
Chatbots bald als ärztliche Assistenten?
ChatGPT wird bereits zum Schreiben wissenschaftlicher Artikel verwendet. Auch ist die KI bereits in der Lage, amerikanische und deutsche Medizinexamen zu bestehen. Könnten Chatbots bald eine wichtige Rolle im Gesundheitssystem spielen?
In ihren Schlussfolgerungen gehen die Autoren davon aus, dass die KI-Technologie der Chatbots in der Tat von Ärzten genutzt werden könnte, um Fragen von Patienten zu beantworten. „Randomisierte Studien müssten bewerten, ob der Einsatz von KI-Assistenten die Diagnostik erleichtern, die Kliniker entlasten und die Ergebnisse für die Patienten verbessern kann", schreiben die Forscher von der University of California in San Diego.
Mathieu Changeat, Mitbegründer von Dydu, einer erfolgreichen Plattform, die Software für das Erstellen von konversationeller KI bereitstellt, wunderte sich im Interview mit der französischen Ausgabe von Medscape nicht über die guten Ergebnisse, die ChatGPT in der Studie erzielte.
"Es überrascht mich nicht, dass ein KI-Sprachmodell präzise antworten kann, denn ChatGPT hat Milliarden von Daten verarbeitet und in der Studie auf ziemlich häufig gestellte Fragen geantwortet. Darin ist ChatGPT am stärksten. Das größere Einfühlungsvermögen im Vergleich zu den Ärzten und Ärztinnen ist hingegen erstaunlich".
Der KI-Softwareentwickler ist überzeugt, dass Chatbots nach dem Vorbild von ChatGPT, aber auch des von IBM entwickelten Watson, in Zukunft vielfach eingesetzt werden, um „Ärzten zu helfen, genauer und kostengünstiger Diagnosen zu erstellen".
„ChatGPT wird zweifellos die Digitalisierung im Gesundheitswesen beschleunigen. Wichtig ist aber darauf zu achten, dass die menschliche Kontrolle über das Tool erhalten bleibt", sagt Mathieu Changeat.
In Elizas Fußstapfen
Joséphine Arrighi de Casanova ist Beraterin im Digitalbereich und Spezialistin für Chatbots. Für ihre Arbeit über ChatGPT als möglicher Bestandteil des französischen Gesundheitswesens ist sie an der Wirtschaftshochschule ESCP Europe in Paris ausgezeichnet worden. Auch sie ist von den Ergebnissen der J AMA-Studie nicht überrascht.
Die Chatbot-Expertin erinnert daran, dass bereits Mitte der 1960er Jahre ein erster Chatbot Namens Eliza im Gesundheitswesen großes Aufsehen erregt hatte. „Die Patienten, die sich damals schriftlich mit dem Chatbot namens Eliza ausgetauscht hatten, bemerkten nicht, dass sie sich mit einem Roboter unterhielten", erzählt sie. „Der Chatbot formulierte die Aussagen der Patienten um und wiederholte sie. Die Patienten hatten das Gefühl, ihnen wird zugehört und empathisch geantwortet.“

Die Expertin beobachtet bei der J AMA-Studie, dass die Antworten der Ärzte oft kürzer und im Telegrammstil formuliert sind. Dies könnte den Eindruck erwecken, dass sie weniger an den Emotionen der Patienten teilhaben.
„Wo der Arzt unter Zeitdruck steht, kann der Chatbot im Nu schöne Sätze formulieren. Die Antworten sind angenehm zu lesen, populärwissenschaftlich und auf einem Sprachniveau, das für Patienten zugänglich ist, weit entfernt von medizinischem Jargon", lautet das Resümee von Josephine Arrighi de Casanova.
Chatbots auf dem Vormarsch
Die Chatbot-Spezialistin teilt die Meinung der Studienautoren, dass die Ärzteschaft schon bald über neuartige Assistenten verfügen könnte. „Chatbots können eine Chance sein, vorausgesetzt der Mensch bleibt der Pilot der Maschine.“
Spracherkennungssysteme haben in den letzten Jahren mit der COVID-19-Krise an Bedeutung gewonnen. „Chatbots, wie Covidbot, haben es den Patienten ermöglicht, anhand ihrer Symptome einzuschätzen, ob sie das Coronavirus haben oder nicht, ohne dabei das Gesundheitssystem zu belasten", erklärt Josephine Arrighi de Casanova.
Diese Werkzeuge können interessant sein, wenn sie Teil eines umfassenden Gesundheitsangebots sind. Beispielswiese vor einer Telekonsultation, um einen Symptomcheck durchzuführen oder um administrative Aufgaben bei der Aufnahme und Entlassung aus dem Krankenhaus zu erfüllen, argumentiert die Expertin.
Aber führen diese neuen Werkzeuge auf Dauer zu einem Verlust an Erfahrung und Wissen bei den Fachkräften? Auch diese Befürchtung wird Teil der Nutzen-Risiko-Abwägung sein.
„Wenn Chatbots einen bestimmten Zweck erfüllen und für die Patienten von Vorteil sind, gibt es keinen Grund, sie nicht zu nutzen. ChatGPT und andere Roboter können die Gesundheitskompetenz weiterentwickeln, indem sie beispielsweise medizinische Berichte leichter lesbar machen. Die Medizin hat in der Vergangenheit bei großen Fortschritten oft mit Widerständen zu kämpfen gehabt.“ Josephine Arrighi de Casanova erinnert sich: „Als das Stethoskop erfunden wurde, dachten einige, dass Ärzte nicht mehr in der Lage sein würden, Herzen abzuhören. Heute lässt es sich aus der Praxis nicht mehr wegdenken".
Dieser Artikel erschien im Original auf Medscape.fr und wurde übersetzt von Loic Lemonnier und Johanna Gottschling.
Credits:
Photographer: © Myndziakvideo
Lead image: Dreamstime.com
Medscape Nachrichten © 2023
Diesen Artikel so zitieren: Präzisere Diagnose und mehr Empathie: Online kommunizieren Chatbots laut einer JAMA-Studie besser mit Patienten als Ärzte - Medscape - 31. Mai 2023.
Kommentar