Erstmals ist es jetzt gelungen, eine Hirngefäßmissbildung, die häufig kurz nach der Geburt zu Herzversagen, schweren Hirnschäden oder sogar zum Tod führt, durch einen intrauterinen operativen Eingriff zu beseitigen [1].
Das Team des Boston Children's Hospital und des Brigham and Women's Hospital operierte unter sonografischer Führung eine Vena-Galeni-Malformation. Diese AV-Fistel mit aneurysmatischer Venendilatation erzeugt ein erhöhtes Herzzeitvolumen und führt zu den erwähnten neurologischen und kardialen Komplikationen.
Keine postnatalen Operationen oder Medikamente erforderlich
Die Operation eines Fötus in der 34. Schwangerschaftswoche war außerordentlich erfolgreich. Das kleine Mädchen, bei dem bereits im Mutterleib ein hohes Risiko für schwere Komplikationen aufgrund der Fehlbildung bestand, benötigt weder Medikamente zur Behandlung der Herzinsuffizienz noch sind postnatale Operationen erforderlich.
Nach ihrer Geburt wurden wiederholt Echokardiogramme durchgeführt, die stets eine deutliche Verbesserung der Herzleistung belegten. Das kraniale MRT zeigte keine Schädigung des Gehirns, sondern einen normalen neurologischen Befund.
„Das ist äußerst aufregend“, sagte Dr. Darren B. Orbach, der wissenschaftliche Leiter des Eingriffes, gegenüber Medscape, „wir hoffen, dass dieses Baby und andere mit dieser Erkrankung, die in Zukunft in utero operiert werden, ein normales Leben führen können“.
„Wir haben hocherfreut beobachten können, dass der gewöhnlich extreme Abfall nach der Geburt einfach ausblieb. Wir freuen uns daher sehr, berichten zu können, dass sich das Kind nach 6 Wochen weiterhin bemerkenswert gut entwickelt, keine Medikamente bekommt, normal isst, normal an Gewicht zulegt und inzwischen nach Hause entlassen wurde. Es gibt derzeit keinerlei Hinweise für negative Auswirkungen auf das Gehirn“, fügte er hinzu.
Orbach, Co-Direktor des Cerebrovascular Surgery and Interventions Center am Boston Children's Hospital, und sein Team schilderten diesen Fall einer erfolgreichen intrauterinen Versorgung einer Vena-Galeni-Malformation kürzlich in der Fachzeitschrift Stroke.
Fehlbildung der Vena Galeni (V. magna cerebri)
Orbach erklärt, dass es sich bei der Vena-Galeni-Malformation, die bei etwa einer von 60.000 Geburten auftritt, um eine zerebrovaskuläre Anomalie handelt, bei der das arterielle System direkt mit dem venösen System verbunden ist und nicht mit den Kapillaren, die notwendig sind, um den Blutfluss zu verlangsamen und das umliegende Hirngewebe mit Sauerstoff zu versorgen.
„Das arterielle und das venöse System unterscheiden sich grundlegend. Das arterielle System hat einen hohen Druck und einen hohen Blutfluss, das venöse System einen niedrigen Druck und einen niedrigen Blutfluss. Sie sollten nicht direkt miteinander verbunden sein“, sagte er.
Die Vena-Galeni-Malformation ist die extremste Form derartiger Fehlbildungen. Sie entwickelt sich in der Frühschwangerschaft und ist mit einem starken Anstieg des Blutflusses zum Gehirn verbunden. Dieser nehme mit der Zeit weiter zu und führe manchmal zu einer Verdoppelung des gesamten Herzzeitvolumens oder auch noch mehr, so Orbach.
Man geht davon aus, dass die Plazenta eine Schutzfunktion hat, wodurch die meisten Babys in der Gebärmutter keine offensichtlichen physiologischen Probleme bekommen. Nach der Geburt aber können sie in eine Krise geraten, da der ungewöhnlich hohe Blutfluss eine enorme Belastung für das Herz darstellt.
„Das erste schwere Symptom bei Babys ist in der Regel eine Herzinsuffizienz kurz nach der Geburt“, sagt Orbach. „Obwohl das anatomische Problem im Gehirn liegt, ist die klinische Manifestation eine Herzinsuffizienz mit hohem Blutfluss. Das Herz versucht, seine normale Arbeit zu verdoppeln, indem es Blut in die Fehlbildung pumpt, das umgehend zurück zum Herzen fließt.
90% der Neugeborenen sterben ohne fachgerechte Behandlung
„Die betroffenen Neugeborenen können sehr krank werden. Sie brauchen mehrere Medikamente, um ihr Herz-Kreislauf-System zu unterstützen, und wir müssen versuchen, den Blutfluss zu reduzieren“, erklärt er.
Auch Hirnschäden seien ein verbreitetes Problem: „Die Durchblutung des Gehirns ist stark gestört. Das Blut wird durch die Fehlbildung umgeleitet, anstatt durch das Hirngewebe zu fließen, das so ischämisch werden kann.“
„Die Babys sterben ohne fachgerechte Behandlung in 90% der Fälle. Selbst bei denjenigen, die in einem spezialisierten Zentrum behandelt werden, liegt die Sterblichkeitsrate bei 30% bis 40%, und diejenigen, die überleben, haben ein hohes Risiko für neurologische und kognitive Beeinträchtigungen“, fügt er hinzu.
Die derzeitige Therapie für Säuglinge, die mit dieser Krankheit geboren werden, ist die transarterielle Embolisation, bei der ein Katheter in das arterielle System eingeführt wird, um die Fehlbildung durch verschiedene Techniken zu verschließen.
Orbach gibt jedoch zu bedenken, dass manche Babys so krank geboren würden, dass sie nicht operiert werden könnten. „Das Herzversagen und die Hirnschäden sind so schwer, dass wir sie nicht beheben können, egal was wir tun, und diese Babys überleben in der Regel nicht. Mit der fetalen Chirurgie versuchen wir, den Babys zu helfen, die mit dem derzeitigen postnatalen Ansatz nicht behandelt werden können“, sagt er.
Prognose für nach der Geburt entscheidet über intrauterinen Eingriff
In einer ersten Phase der Forschungsbemühungen wurde versucht, diese Hochrisiko-Babys im Mutterleib zu identifizieren. Dabei fand das Team heraus, dass eine bestimmte Messung eines venösen Sinus, der den Hauptabfluss für die Malformation darstellt, im fötalen MRT eine gute prognostische Aussage darüber zuließe, wie es dem Baby nach der Geburt gehen würde. Babys, bei denen dieser Test eine schlechte Prognose ergab, wurden zur Zielgruppe der fetalen Operation.
Die Technik des postnatalen Eingriffs sei technisch zu anspruchsvoll, um sie im Mutterleib durchzuführen. „Deshalb haben wir einen anderen Ansatz für den Eingriff in der Gebärmutter entwickelt, bei dem wir unter Ultraschallkontrolle mit einer Nadel in die Ader der Fehlbildung eindringen und diese dann mit Metallspiralen verschließen, sodass der Blutfluss drastisch reduziert wird“, erklärt Orbach.
Studie soll aufgrund des ersten Erfolges erweitert werden
Der Eingriff, über den in dem Artikel berichtet wird, wurde am 15. März 2023 erstmalig durchgeführt. Er ist Teil einer klinischen Studie, die insgesamt 20 Fälle umfassen soll.
„Das unmittelbare Ziel ist es, herauszufinden, ob wir Föten, die ein sehr hohes postpartales Erkrankungsrisiko haben, in Babys verwandeln können, denen es auf der Neugeborenen-Intensivstation gut geht und die im Alter von einigen Monaten zur elektiven Behandlung nach Hause entlassen werden können“, so Orbach. „Die Studie wird fortgesetzt, denn es ist wichtig, dass wir die Wirksamkeit und Sicherheit auch bei anderen Personen nachweisen“, fügte er hinzu.
Die Ergebnisse dieses ersten Falls seien jedoch sehr ermutigend, so Orbach: „Jede Phase war aufregend – erst der technische Erfolg des Eingriffs und dann zu sehen, wie sich der Blutfluss auf dem Ultraschallbild noch während des Eingriffs verringerte. Im Echokardiogramm am darauffolgenden Tag führten wir ein fetales Echokardiogramm durch und stellten fest, dass die abnorme Herzleistung dramatisch zurückging. Das MRT zeigte dann zeigte ebenfalls, dass die Fehlbildung bereits schrumpfte.“
Das Baby kam 2 Tage nach dem Eingriff wegen eines Blasensprunges mit einem Geburtsgewicht von 1,9 kg als Frühgeburt auf die Welt. Es benötigte keine kardiovaskuläre Unterstützung oder postnatale Embolisation.
„Wir erwarteten mit angehaltenem Atem die Geburt, um zu sehen, wie es dem kleinen Mädchen klinisch geht. Ich versuchte, meine Erwartungen zurückzuschrauben, aber es war schnell klar, dass sie sich gut entwickeln würde“, sagt er, „jetzt ist sie zu Hause und muss in den ersten Wochen mit Sauerstoff versorgt werden, aber im Moment ist ihr neurologischer Status völlig intakt und sie sieht im Grunde wie jedes andere Baby aus“, sagt Orbach.
Ob das Kind weitere Eingriffe braucht, sei noch unklar. „Wir werden sie genau beobachten und entscheiden, ob eine weitere Behandlung notwendig ist, je nachdem, ob die Fehlbildung wächst oder nicht“, sagt Orbach. Auch sekundäre Probleme wie Lernschwierigkeiten und Krampfanfälle, die manchmal auftreten, werden bei der Langzeitbeobachtung untersucht.
Phantomschädel und konstruiertes fetales Gehirn wurden genutzt, um OP zu simulieren
Obwohl andere Eingriffe am Fötus inzwischen routinemäßig durchgeführt würden, sei dies wahrscheinlich der erste Eingriff im Mutterleib gewesen, der dem zerebrovaskulären System galt.
„Es gab viele Unwägbarkeiten“, sagt Orbach. „Wir wussten nicht einmal, ob wir unsere Instrumente auf dem Ultraschallbild sehen würden.“ Um den Eingriff zu simulieren, ließen die Forscher einen Phantomschädel und ein fetales Gehirn mit einer Fehlbildung der Jugularvene konstruieren, was für die Genehmigung der Studie durch die FDA entscheidend war.
Verliefe die Studie auch bei anderen Föten erfolgreich, könne das Verfahren auf andere Zentren ausgeweitet werden: „Es müssen auf jeden Fall fetalchirurgische und neurointerventionelle Teams vorhanden sein, die mit der Vena-Galeni-Malformation vertraut sind und Komplikationen nach der Geburt unabhängig vom Ergebnis behandeln können. Aber wir sind nicht das einzige Zentrum, das über diese Fähigkeiten verfügt. Wenn unsere Studie erfolgreich ist, besteht die Hoffnung, dass andere Teams in spezialisierten Kinderkliniken auf der ganzen Welt dies ebenfalls können“, fügt er hinzu.
Fallbericht als Pionierarbeit
In einer Pressemitteilung der American Heart Association kommentierte der interventionelle Neuroradiologie Dr. Colin Derdeyn von der University of Iowa Health Care, der Embolisationen von Vena-Galeni-Malformation an Neugeborenen durchführt, diesen ersten Fallbericht: „Der entscheidende Fortschritt besteht darin, dass wir eingreifen können, bevor die physiologischen Ereignisse nach der Geburt zu einem lebensbedrohlichen Herzversagen führen.“
Derdeyn, ehemaliger Vorsitzender des Stroke Council der American Heart Association, gab zu bedenken, dass ein einziger erfolgreicher Fall nicht ausreiche, um zu dem Schluss zu kommen, dass die Risiken des Verfahrens die Vorteile überwiegen.
Er fügte jedoch hinzu: „Die positiven hämodynamischen Veränderungen, die in utero und nach der Geburt beobachtet wurden, also die Verringerung des Flusses, die Verengung der ableitenden Vene, die Umkehr des anormalen Flusses in der Aorta, sind wirklich ermutigend. Das sind einige der aufregendsten und überraschendsten Aspekte dieses Fallberichts. Es ist eine echte Pionierarbeit, die sehr sorgfältig und verantwortungsvoll durchgeführt wurde.“
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Credits:
Photographer: © Yong Ni
Lead image: Dreamstime.com
Medscape Nachrichten © 2023
Diesen Artikel so zitieren: Echte Pionierarbeit: Hirngefäß-OP im Mutterleib erfolgreich durchgeführt – gesundes Mädchen geboren - Medscape - 26. Mai 2023.
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