Fall: Diese 55-Jährige entwickelt nach der Stimulation eines Fußes Orgasmus-Attacken – haben Sie eine Erklärung? 

Maria Weiss

Interessenkonflikte

1. Juni 2023

Der Damenfuß mag zwar als erotisches Symbol in Männerphantasien eine gewisse Rolle spielen, wurde aber bisher nicht mit weiblichen Orgasmen in Verbindung gebracht. Umso erstaunlicher ist ein im Journal of Sexual Medicine publizierte Fall einer 55-jährigen Patientin [1]

Die Patientin und ihre Geschichte

Bei ihr steht eine laparoskopischen Cholezystektomie an. In der Folge kommt es zu Komplikationen einschließlich Sepsis und respiratorischer Insuffizienz. Ärzte verlegen die Patientin auf die Intensivstation und beatmen sie maschinell. 

Bald nach der Extubation klagt die Frau über Missempfindungen wie Kribbeln und Brennen im linken Fuß, ohne dass muskuläre Schwächen oder Rückenschmerzen nachweisbar sind.

Die Beschwerden bleiben das gesamte folgende Jahr in unveränderter Intensität bestehen. Daraufhin verordnen ihre Ärzte verschiedene Medikamente wie Amitriptylin, Paroxetin und Carbamazepin, die aber alle wegen fehlender Wirksamkeit und Nebenwirkungen wieder abgesetzt wurden.

2-3 Tage nach Beginn der Paroxetin-Therapie treten erstmals vom linken Fuß ausgehenden Orgasmen auf. Sie erreichen die Vagina; ausgelöste, 5-6 Sekunden anhaltende Empfindung fühlen sich wie ein echter Orgasmus an – allerdings ohne sexuelles Begehren.

Begleitet wird das Phänomen häufig von einer vaginalen Lubrikation und Harninkontinenz; das Bewusstsein bleibt erhalten. Erreicht die Patientin beim Geschlechtsverkehr mit ihrem Mann einen Orgasmus, folgt sofort darauf ein Orgasmus-ähnliches Gefühl im linken Fuß. Die spontanen Orgasmus-Attacken treten 5- bis 6-mal am Tag auf, was zu einem hohen Leidensdruck führt. 

Körperliche und apparative Untersuchungen

Eine Epilepsie als Ursache schließen die Ärzte aus. Auch das Hirn-MRT (Magnetresonanztomografie) ist unauffällig. Im EMG (Elektromyografie) sehen sie eine leichte Abschwächung der sensorischen Amplitude des linken Nervus (N.) suralis und des linken medialen und lateralen N. plantaris.

Durch eine TENS (Transkutane Elektrische Nervenstimulation) am linken Metatarsal-Phalangeal-Gelenk gelingt es den Ärzten tatsächlich, ein Orgasmusgefühl in der Vagina auszulösen. Auch umgekehrt führt eine TENS-Anwendung an der linken Vaginalwand zu dem Orgasmusgefühl im linken Fuß.

Verlauf, Diagnose und Therapie

Die behandelnden Neurologen entscheiden sich für eine diagnostische Blockade des linken dorsalen Wurzelganglions auf Höhe S1, was unmittelbar zu einer 50-prozentigen Abnahme der Frequenz und einer 80%igen Abnahme der Intensität der Orgasmen führt. 

Dann folgt eine therapeutische Blockade des gleichen Ganglions und zusätzlich eine pulsierte Radiofrequenztherapie. Unter dieser Behandlung verschwindet das „Fuß-Orgasmus-Syndrom“ vollständig – genauso wie die Dysästhesien im Bereich des Fußes.

Diskussion

Eine mögliche Erklärung für das merkwürdige Phänomen könnte sein, dass es 1,5 Jahre nach der Intensivbehandlung mit sensorischer Neuropathie zu einer partiellen Nervenregeneration (Axonotmesis) gekommen ist. Die Autoren des Fallberichts spekulieren, Information eines kleinen re-innervierten Hautstückes am Fuß über afferente C-Fasern und autonome (viszerale) Informationen aus der Vagina auf Spinalebene seien wohl falsch verschaltet worden. Damit seien Berührung des Fußes vom Gehirn als vaginaler Orgasmus fehlgedeutet worden.

Die Hypothese lässt vieles offen. Sie erklärt nicht, warum normale Orgasmen oder die Stimulation der Vaginalhaut zu Orgasmus-ähnlichen Empfindungen im Fuß führen. Unklar ist auch, ob es sich wirklich um einen Einzelfall handelt – oder ob mehr Menschen mit oder ohne vorangegangene Fußverletzungen darunter leiden, ihre Beschwerden aber aus Scham verschweigen. 

Der Beitrag ist im Original erschienen auf Coliquio.de.

 

Kommentar

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