Essen – „… sed vitae discimus“ – und dies gilt besonders für das Wissen um Gesundheit und Krankheit – wo man es erwirbt, wie man beides unterscheidet und wie man sich möglichst gesund (v)erhält. Das betonten die rund 250 Delegierten des 127. Ärztetages in Essen, der am vergangenen Freitag zu Ende ging [1].
Weil es nach Überzeugung der Delegierten schlecht steht um die Gesundheitserziehung, forderte der Ärztetag die Kultusministerkonferenz auf, eine länderübergreifend abgestimmte Strategie zu entwickeln, die darlegt, wie man in Kitas und Schulen einen Unterricht für mehr Gesundheitskompetenz verankern kann.
„Kitas und Schulen spielen eine entscheidende Rolle dabei, Kindern und Jugendlichen Wissen und Kompetenzen für eine gesunde Lebensführung zu vermitteln“, sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt in seiner Einführung zum Thema. Das Ärzteparlament hatte sich das Thema „Gesundheitsbildung: vom Wissen zum Handeln“ auf die Tagesordnung gesetzt – aus Sorge über eine verschlechterte Gesundheit von Jugendlichen infolge von Bewegungsmangel, Übergewicht und Süchten.
Nur die Hälfte der Kinder zwischen 3 und 6 Jahren sind körperlich aktiv
In der Tat sind gerade mal knapp die Hälfte aller Jungen und Mädchen im Alter von 3 bis 6 Jahren körperlich aktiv. Bis zum Alter von 14 bis 17 Jahren sank dieser Anteil auf rund 13% (bei Jungen) und 8% bei Mädchen, so zitierte Reinhardt die Querschnittsergebnisse der 2. KIGGS-Welle, der „Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ des Robert Koch-Instituts.
Weiter verschlechtert hat sich die Lage im Zuge der Corona-Wellen. Die DAK-Gesundheit ermittelte 2020 die Auswirkungen des Home-Schoolings auf Kinder und ihre Eltern. Danach klagten 25% der Kinder über Traurigkeit, 23% über Erschöpfung, hinzu traten Schlafprobleme und Schmerzen. Nicht besser bei den Eltern: 49% der Mütter sprachen von Stress (Väter: 45%) und 52% der Mütter klagten über Erschöpfung (Väter: 39%). Auch das Zusammenleben in den Familien litt: 28%, beziehungsweise 23% der Mütter und Väter berichteten von mehr Streit.
Fächerübergreifender Ansatz der Gesundheitsbildung?
Das Bildungssystem könne sicher nicht alle Fehlentwicklungen stoppen. Aber Gesundheitsthemen fächerübergreifen bundesweit in den Unterricht zu übernehmen, wäre zukunftsweisend, so Reinhardt. Der Ärztechef sieht seine Forderungen vom Willen der Bevölkerung gedeckt. Laut einer forsa-Bevölkerungsumfrage aus dem Jahr 2019 hält 37% der Befragten es für „sehr wichtig“, Gesundheitsthemen im Unterricht zu lehren und 54% für „wichtig“.
Der Ärztetag habe schon lange für ein Schulfach Gesundheitsbildung plädiert, erinnerte Reinhardt und erklärte: „Ich persönlich tendiere allerdings inzwischen für eine Art fächerübergreifenden Ansatz der Gesundheitsbildung.“
Um jungen Menschen mehr Gesundheitsbildung zu verschaffen, sei die Schule der ideale Ort. Das sagte der Münchner Gesundheitswissenschaftler Prof. Dr. Orkan Okan in seinem Vortrag vor dem Ärztetag. Okan leitet das vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) finanzierte Projekt „Gesundheitskompetente Schule“, das noch bis zum September 2023 läuft. Der entsprechende Leitfaden ist unter Mitwirkung mehrere Landeärztekammern entstanden.
Gesundheitskompetenz sei dreierlei, so Okan: der kompetente Umgang mit Gesundheitsinformationen, die Kommunikation über Themen der Gesundheit und die Schlussfolgerungen aus Wissen und Können – das Gesundheitshandeln. Damit ist klar: Gesundheitskompetenz ist eine Sache der Schulen, weil sie mit Wissen, Bildung und mit Motivation verbunden ist. Dazu brauche es nicht nur Unterricht für die Schüler, sondern auch Fortbildungen für die Lehrer.
Gesundheitserziehung in Schulen oft noch ein „Fremdköper“
Dass Gesundheitskompetenz ein Thema für die Schule ist, steht außer Frage, so Okan. „In den Schulen erreiche wir Kinder aller sozialen Schichten und egal woher sie kommen.“
Schulen sind bereits Lernorte, die hoch qualifizierte Bildung vermittelten, so Okan. Auch die Lehrer sind als Fachkräfte schon vorhanden. Und: Je früher die Schülerinnen und Schüler der Gesundheitsbildung begegnet, umso effektiver, denn bereits in jenen Jahren bilden sich die Kompetenzen, wie z.B. Kommunikationsfähigkeit.
Studien zeigten den Zusammenhang von niedriger Gesundheitskompetenz und ungesundem Verhalten wie Alkoholkonsum, Rauchen, Bewegungsarmut schlechtem Gesundheitszustand oder erhöhtem Medienkonsum.
„Die Kompetenz ist eine Determinante von Verhalten“, resümiert Okan. Und umgekehrt gilt, gesündere Schüler gehen regelmäßiger zur Schule und verfügen über mehr und höhere Bildung. „Bildung ist eine Determinante von allem, was mit Gesundheit zu tun hat. Hier schließt sich der Kreis“, so der Münchner Professor.
Aber von nichts kommt nichts. Gesundheitserziehung in den Schulen sei oft noch ein „Fremdköper“, so Okan. Das Fach Gesundheitskompetenz sei noch nicht in den Lehrplänen verankert, kritisierte er. Es fehlten Zeit und Geld, für die Gesundheitserziehung in den Schulen und Kitas.
Okan forderte daher z.B. Mustercurricula für die Lehrkräfte, Fortbildungen für die Lehrer oder die engere Zusammenarbeit von Bildungs- und Gesundheitsressorts sowie die engere Einbindung von Ärztinnen und Ärzten.
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Diesen Artikel so zitieren: Kinder bewegen sich nicht mehr: Kitas und Schulen müssen stärker Gesundheitswissen lehren – so könnte es laut Ärztetag gehen - Medscape - 24. Mai 2023.
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