Können Hörgeräte einen Teil der Demenzfälle verhindern? Eine Beobachtungsstudie liefert Hinweise

Megan Brooks

Interessenkonflikte

19. Mai 2023

Eine nicht behandelte Hörminderung erhöht das Demenzrisiko bei Erwachsenen mittleren und höheren Alters, wie eine neue Untersuchung bestätigt. Die Studie wurde in Lancet Public Health publiziert [1]. Die groß angelegte britische Beobachtungsstudie ergab ein um 42% erhöhtes Demenzrisiko bei Menschen mit Hörverlust im Vergleich zu Gleichaltrigen ohne Hörprobleme. Darüber hinaus bestand kein erhöhtes Risiko, wenn Personen mit Hörverlust Hörgeräte benutzten.

„Es häufen sich die Hinweise darauf, dass eine Hörminderung der wichtigste veränderbare Risikofaktor für eine Demenz im mittleren Lebensalter ist, aber die Wirksamkeit von Hörgeräten zur Verringerung des Demenzrisikos in der realen Welt bleibt unklar“, sagte Autor Prof. Dr. Dongshan Zhu von der Shandong Universität im chinesischen Jinan in einer Pressemitteilung.

 
Es häufen sich die Hinweise darauf, dass eine Hörminderung der wichtigste veränderbare Risikofaktor für eine Demenz im mittleren Lebensalter ist. Prof. Dr. Dongshan Zhu
 

„Unsere Studie liefert den bisher besten Beweis dafür, dass Hörgeräte eine nur geringfügig eingreifende, kosteneffektive Behandlung sein könnten, um die möglichen Auswirkungen einer Hörminderung für die Entwicklung einer Demenz zu verringern“, so Zhu.

Die Studie folgt auf den Bericht der Lancet Commission on Dementia 2020, nach dem ein Hörverlust mit etwa 8% der Demenzfälle weltweit in Verbindung gebracht werden kann, wie Medscape berichtete.

Überzeugende Evidenzen

Für die Studie führte das Forschungsteam eine Längsschnittanalyse der Daten von 437.704 Personen aus der UK Biobank durch. Die meisten Personen waren weiß, 54% weiblich, das Durchschnittsalter zu Studienbeginn betrug 56 Jahre. Etwa drei Viertel der Gruppe hatten keinen Hörverlust, ein Viertel wies aber einen gewissen Grad an Hörverlust auf, wobei 12% dieser Personen bereits Hörgeräte nutzten.

  • Nach Kontrolle relevanter Kofaktoren hatten Personen mit Hörverlust, die keine Hörgeräte nutzten, im Vergleich zu Personen ohne Hörverlust ein erhöhtes Risiko, an Demenz zu erkranken (Hazard Ratio [HR] 1,42; 95%-Konfidenzintervall [KI]1,29–1,56).

  • Bei Personen mit Hörverlust, die ein Hörgerät nutzten, wurde kein erhöhtes Risiko festgestellt (HR 1,04; 95%-KI 0,98–1,10).

Die positive Assoziation mit der Nutzung von Hörgeräten wurde für die Demenz insgesamt sowie für die ursachenspezifischen Demenz-Subtypen Alzheimer-Krankheit, vaskuläre Demenz und Demenzen, die in keine der beiden Gruppen gehörten, analysiert.

Die Daten deuten auch darauf hin, dass der Schutz vor Demenz durch die Nutzung von Hörgeräten wahrscheinlich eher auf die direkten Auswirkungen der Hörgeräte zurückzuführen ist als auf indirekte Mediatoren wie soziale Isolation, Einsamkeit und depressive Stimmung.

Möglichst früh Hörgeräte einsetzen

Laut Zhu unterstreichen die Ergebnisse die „dringende Notwendigkeit“, Hörgeräte so früh wie möglich einzusetzen, wenn eine Person Hörprobleme entwickelt. „Eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung ist dazu notwendig, einschließlich der Sensibilisierung für den Hörverlust und die möglichen Zusammenhänge mit der Demenzentwicklung, der Verbesserung des Zugangs zu Hörgeräten durch Kostensenkung und eine breitere Unterstützung für Mitarbeitende in der Primärversorgung bei der Untersuchung auf Hörschäden, der Sensibilisierung und der Bereitstellung von Therapien wie der Anpassung von Hörgeräten“, sagte Zhu.

 
Jetzt ist es an der Zeit, das Bewusstsein für den Hörverlust und dessen Diagnose zu erhöhen und die Akzeptanz und Nutzbarkeit von Hörgeräten zu vergrößern. Dr. Gill Livingston und Dr. Sergi Costafreda
 

In einem Kommentar schreiben Dr. Gill Livingston und Dr. Sergi Costafreda vom University College London, dass mit dieser Studie „der Beweis, dass Hörgeräte ein wirksames Mittel sind, um das Demenzrisiko bei Menschen mit Hörverlust zu reduzieren, ohne randomisierte kontrollierte Studie so gut wie möglich geführt wurde. Denn eine solche ist praktisch unmöglich oder ethisch nicht vertretbar, da Menschen mit Hörverlust nicht von der Nutzung wirksamer Behandlungen abgehalten werden sollten.“

„Die Evidenzen dafür, dass die Behandlung eines Hörverlustes ein vielversprechender Weg zur Senkung des Demenzrisikos ist, sind überzeugend. Jetzt ist es an der Zeit, das Bewusstsein für den Hörverlust und dessen Diagnose zu erhöhen und die Akzeptanz und Nutzbarkeit von Hörgeräten zu vergrößern“, fügen Livingston und Costafreda hinzu.

Hochwertige Evidenz – aber mit Einschränkungen

Mehrere Experten kommentierten die Analyse für das gemeinnützige britische Science Media Centre, das nicht an der Studie beteiligt war. So sagte Dr. Charles Marshall von der Queen Mary University of London, dass die Studie „qualitativ hochwertige Evidenzen“ dafür liefere, dass Menschen, die wegen eines Hörverlustes Hörgeräte tragen, ein geringeres Demenzrisiko haben als Menschen mit Hörverlust ohne solche Geräte.

 
Dies deutet darauf hin, dass ein Teil der Demenzfälle durch die Verwendung von Hörgeräten zur Korrektur einer Hörminderung verhindert werden könnte. Dr. Charles Marshall
 

„Dies deutet darauf hin, dass ein Teil der Demenzfälle durch die Verwendung von Hörgeräten zur Korrektur einer Hörminderung verhindert werden könnte. Da es sich jedoch um eine Beobachtungstudie handelt, kann man nicht sicher sagen, dass Hörgeräte tatsächlich das Demenzrisiko senken“, so Marshall weiter.

„Hörgeräte erzeugen einen leicht verzerrten Klang, und das Gehirn muss sich erst daran gewöhnen, damit diese Hilfen nützlich sind“, sagte er. „Bei Personen mit Demenzrisiko kann es zu frühen Veränderungen im Gehirn kommen, die eine solche Anpassung beeinträchtigen und dazu führen, dass sie sich gegen die Nutzung eines Hörgerätes entscheiden. Dies würde eine Störvariable bedeuten und den Eindruck erwecken, dass Hörgeräte das Demenzrisiko verringern, während tatsächlich nur Menschen mit relativ gesunden Gehirnen identifiziert werden“, fügt Marshall hinzu.

 
Es ist etwa auch möglich, dass Menschen, die sich in einem sehr frühen Stadium der Krankheit befinden, seltener Hilfe wegen ihres Hörverlusts suchen. Dr. Tara Spires-Jones
 

Dr. Tara Spires-Jones von der Universität Edinburgh sagte, dass diese „gut durchgeführte“ Studie die Ergebnisse früherer ähnliche Studien bestätige, in denen ein Zusammenhang zwischen Hörverlust und Demenzrisiko gezeigt werden konnte. Allerdings wies sie wie Marshall darauf hin, dass derartige Studien nicht schlüssig beweisen können, dass eine Hörverlust eine Demenzentwicklung begünstige.

„Es ist etwa auch möglich, dass Menschen, die sich in einem sehr frühen Stadium der Krankheit befinden, seltener Hilfe wegen ihres Hörverlusts suchen“, sagte sie. Insgesamt deuten diese Studie und andere Daten jedoch darauf hin, dass ein gesundes und aktives Gehirn das Demenzrisiko senkt.

 
Hörgeräte erzeugen einen leicht verzerrten Klang, und das Gehirn muss sich erst daran gewöhnen, damit diese Hilfen nützlich sind. Dr. Charles Marshall
 

Spires-Jones stimmt mit der Forschungsgruppe darin überein, dass es wichtig sei, Menschen mit Hörverlust dabei zu helfen, effektive Hörgeräte zu erhalten, um ihr Gehirn zu beschäftigen und reichere soziale Interaktionen zu ermöglichen.

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

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