Ultraschall für die Kitteltasche – wie Hausärzte oder Mitarbeiter im Rettungsdienst davon profitieren

Dr. Horst Gross

Interessenkonflikte

16. Mai 2023

Wiesbaden – Bisher hat die Sonografie einen entscheidenden Nachteil. Die Geräte sind sperrig und benötigen eine Steckdose. Die für den Point-of-Care-Einsatz konzipierten Schallköpfe laufen dagegen mit Akku und senden das Bild drahtlos per Wi-Fi auf jedes Handy oder Tablet. Das eröffne der Sonografie völlig neue Perspektiven, berichtet Dr. Alexis Müller-Marbach (Helios Klinikum Niederberg), beim 129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin [1]

Vorteile in der Notaufnahme

Eine dänische Studie mit 500 Patientinnen und Patienten testete die Bedside-Sonografie unter realen Bedingungen in der Notaufnahme. Bei insgesamt 450 Personen untersuchten die Autoren, ob die Sonografie in der Kitteltasche das Aufnahmeverfahren diagnostisch verbessert. Alle Notfallpatienten wurden einer standardisierten POCUS-Prozedur (Point Of Care Ultrasound) unterzogen.

Und tatsächlich: In 10% der Fälle bestätigte sich schon durch POCUS die primäre Verdachtsdiagnose, in 27% der Fälle hatte die Bedside-Sonografie den diagnostischen Prozess in die richtige Richtung gelenkt. 

KIS-Anbindung

In der Klinik punkten die Kitteltaschengeräte nicht nur beim Einsatz in der Notaufnahme. Auch auf der Normalstation ermöglichen sie die Abklärung einer Verdachtsdiagnose noch während der Visite. Die aktuellen Geräte können ihr Bild auch in Krankenhausinformationssysteme (KIS) übertragen, sodass der Einsatz in der Klinik auch datenrechtlich legal ist.

Ideal im Rettungsdienst

Aber auch im Rettungsdienst sieht Müller-Marbach wesentliche Vorteile. So kann bereits auf dem Notarztwagen (NAW) ein Verdacht auf Pneumo- oder Hämatothorax verifiziert und entsprechend gehandelt werden. Das Legen eines zentralen Venenkatheters (ZVK) im NAW wird durch die sonografische Führung deutlich risikoärmer. 

Selbst in Extremsituationen wie Notfalleinsätzen im Himalaja oder in der Antarktis können schnelle und aussagekräftige Diagnosen gestellt werden. Beispielsweise kann bei Verdacht auf Höhenkrankheit ein Lungenödem ausgeschlossen oder Knochenbrüche durch sonografische Untersuchung der Knochenkonturen lokalisiert werden.

Sonografie im Weltraum

Selbst auf der Raumstation ISS befindet sich mittlerweile ein Sonografie-Gerät. Denn die Sonografie wird bei Bedarf auch live auf andere Handys übertragen, sodass ein eingewiesener Helfer den Schallkopf führt und ein zugeschalteter Arzt den Befund erstellt: eine Idee, die inzwischen auch von der Bergrettung umgesetzt wird. 

Hausbesuche verbessern

Hausärzte profitieren besonders von dieser Lösung. Beispielsweise können Schmerzen im Oberbauch vor Ort abgeklärt werden, denn selbst kleinste Gallensteine lassen sich finden.

Eine Gallenblasenentzündung können Ärzte sich dank der hohen Auflösung an der typischen Verdickung der Gallenwand erkennen. Und bei Patienten mit Dauerkatheter ist ein Harnverhalt durch einen verstopften Blasenkatheter sofort erkennbar. 

Ein besonderer Nutzen ergibt sich für den Einsatz in der ambulanten Palliativmedizin. POCUS ermöglicht die häusliche Aszites- oder Pleurapunktion.

Schnelle Desinfektion

Auch unter hygienischen Aspekten punktet die bettseitige Sonografie. Müller-Marbach verweist auf Erfahrungen in seiner Klinik während der COVID-19-Welle. Als wesentliches Problem habe sich herausgestellt, dass die großen, stationären Sonografie-Geräte nach einem Einsatz im Isolierzimmer sich nur schwer desinfizieren ließen. 

Ganz anders sieht es bei der tragbaren Sonografie aus: Handy und Schallkopf werden während der Untersuchung in Plastiktüten gesteckt, die anschließend entsorgt werden. 

Preisgünstige Gesamtlösung

Die Bildqualität solcher Systeme ist hervorragend und vergleichbar mit der von stationären Geräten der Mittelklasse. 

Die mobilen Ultraschallgeräte sind auch aus Kostengründen interessant. Während herkömmliche Mittelklasse-Ultraschallgeräte zwischen 20.000 und 40.000 Euro kosten, liegen die günstigsten Bedside-Schallköpfe bei etwa 3.000 Euro. Wer jedoch nicht auf Dopplersonografie und ähnliche Zusatzfunktionen verzichten möchte, muss bis zu 8.000 Euro pro Gerät investieren. Hersteller bieten neben einem universellen Schallkopf auch spezielle Varianten für differenzierte Gefäß- und Gelenkuntersuchungen an.

Durchbruch für die Sonografie

Müller-Marbach kritisiert, dass die Sonografie traditionell Ärzten der Radiologie sowie nd Internisten vorbehalten sei. In einigen europäischen Ländern ist diese Regelung sogar gesetzlich verankert. Die einfach zu bedienenden und kostengünstigen Geräte könnten seiner Meinung nach dazu beitragen, die Sonografie zu emanzipieren und für jeden Arzt und jede Ärztin zugänglich zu machen, die auf der Grundlage dieses bildgebenden Verfahrens schnelle Entscheidungen treffen kann.

Der Beitrag ist im Original erschienen auf Coliquio.de.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....