EMA-Sicherheitsausschuss: Überprüfung von Hydroxyprogesteron – und erneute Warnung vor Fluorchinolon-Antibiotika 

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

15. Mai 2023

Aufgrund von Studiendaten und von Fallberichten beginnt der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), Hydroxyprogesteron-haltige Präparate zu überprüfen. Er hat bereits im Jahr 2019 vor unerwünschten Effekten durch Fluorchinolon-Antibiotika gewarnt – doch Ärzte verordnen die Wirkstoffe immer noch jenseits zugelassener Indikationen. Jetzt warnen Experten alle Heilberufler erneut vor dem unbedachten Einsatz. Vorsicht ist aufgrund des erhöhten Tuberkulose-Risikos auch bei Gavreto® (Pralsetinib) angebracht [1]. Die Details: 

Überprüfung von Hydroxyprogesteron beginnt

Der EMA-Sicherheitsausschuss hat eine Überprüfung von Arzneimitteln eingeleitet, die Hydroxyprogesteron enthalten. Grund dafür sind Bedenken hinsichtlich der Sicherheit und Wirksamkeit. 

In der EU ist Hydroxyprogesteroncaproat erhältlich. Es wird injiziert, um Fehl- oder Frühgeburten zu verhindern. In einigen Ländern können Ärzte die Wirkstoffe auch zur Therapie gynäkologischer Erkrankungen mit Mangel an Progesteron verordnen.

Ergebnisse einer Studie deuten darauf hin, dass Menschen, die im Mutterleib Hydroxyprogesteroncaproat ausgesetzt waren, später ein erhöhtes Krebsrisiko haben könnten. Das Risiko schien sich zu erhöhen, wenn das Arzneimittel während des 1. Trimenons verabreicht wurde. Auch die Zahl der Injektionen stand mit einem steigenden Risiko in Verbindung. Hydroxyprogesteron-Gaben im 2. oder 3. Schwangerschaftsdrittel schienen das Krebsrisiko bei Männern weiter zu erhöhen, nicht aber bei Frauen.

Damit nicht genug. Resultate einer weiteren Studie deuten darauf hin, dass Hydroxyprogesteroncaproat zur Vermeidung von Frühgeburten oder medizinischen Komplikationen aufgrund von Frühgeburtlichkeit nicht wirksamer ist als Placebo.

Aufgrund dieser Bedenken hat die französische Arzneimittelbehörde (ANSM) den PRAC gebeten, Nutzen und Risiken dieser Arzneimittel in allen zugelassenen Anwendungsbereichen zu überprüfen und eine Empfehlung darüber abzugeben, ob Zulassungen in der EU beibehalten, geändert, ausgesetzt oder widerrufen werden sollten.

Fluorchinolon-Antibiotika: Die EMA erinnert an Maßnahmen zur Risikominimierung

Beschlossen wurde auf der Sitzung auch, Heilberufler erneut auf bekannte Risiken von Fluorchinolon-Antibiotika hinzuweisen. Das betrifft orale, inhalative oder injizierbare Präparate. 

Bereits 2019 hat die EMA nach einer EU-weiten Überprüfung vor sehr seltenen, aber schwerwiegenden Nebenwirkungen gewarnt. Dazu zählen u.a. gastrointestinale und psychische Störungen, aber auch Sehnenentzündungen und -rupturen. 

Eine von der EMA finanzierte Studie hat ergeben, dass der Einsatz von Fluorchinolon-Antibiotika seither zwar zurückgegangen ist, diese Arzneimittel aber immer noch außerhalb ihrer empfohlenen Verwendungszwecke verschrieben werden. Deshalb informiert der Ausschuss Heilberufler erneut zum Einsatz dieser Pharmaka.

Sie sollten NICHT verwendet werden…

  • zur Behandlung von Infektionen, die sich ohne Therapie meist bessern oder nicht schwerwiegend sind (z. B. Halsinfektionen),

  • zur Behandlung von nicht-bakteriellen Infektionen, z. B. der nicht-bakteriellen (chronischen) Prostatitis,

  • zur Vorbeugung von Reisedurchfall oder rezidivierender Infektionen der unteren Harnwege,

  • zur Behandlung leichter oder mittelschwerer bakterieller Infektionen, es sei denn, andere antibakterielle Arzneimittel, die üblicherweise für diese Infektionen empfohlen werden, können nicht verwendet werden.

Im Rahmen der EMA-Studie haben Forscher Daten der Primärversorgung aus 6 europäischen Ländern (Belgien, Frankreich, Deutschland, Niederlande, Spanien und Vereinigtes Königreich) zwischen 2016 und 2021 erhoben. Sie fanden heraus, dass Maßnahmen zur Einschränkung der Verordnung bislang ohne große Wirkung geblieben sind.  

Jetzt erinnert der Ausschuss Ärzte und Apotheker erneut daran, dass der Einsatz von Fluorchinolon-Antibiotika auf Patienten beschränkt werden sollte, für die es keine alternativen therapeutischen Optionen gibt. Und selbst dann ist eine sorgfältige Abwägung des Nutzens und der Risiken wichtig. 

Ärzte sollten Patienten auf das Risiko schwerwiegender Nebenwirkungen sowie auf die potenziell langanhaltende und schwerwiegende Natur unerwünschter Effekte hinweisen. Patienten wiederum sollten bei ersten Anzeichen von Nebenwirkungen sofort einen Arzt aufsuchen. 

Besondere Vorsicht ist geboten bei Patienten, die gleichzeitig mit Kortikosteroiden behandelt werden, bei älteren Erwachsenen, bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion und bei Patienten, die sich einer Organtransplantation unterzogen haben, da das Risiko einer Fluorchinolon-induzierten Tendinitis und eines Sehnenrisses bei ihnen erhöht sein kann.

Gavreto®: Maßnahmen zur Minimierung des Tuberkuloserisikos

In einer weiteren Mitteilung warnt der Ausschuss Heilberufler über das erhöhte Tuberkuloserisiko unter Gavreto® (Pralsetinib). In der EU ist das Medikament als Monotherapie für die Behandlung erwachsener Patienten mit RET-positivem fortgeschrittenem nicht-kleinzelligem Lungenkrebs (NSCLC) indiziert, die zuvor nicht mit einem RET-Inhibitor behandelt wurden.

Bei Patienten, die Gavreto® erhielten, trat sehr selten eine Tuberkulose, meist extrapulmonal, auf. Bei einer Untersuchung der weltweiten Sicherheitsdaten fanden Wissenschaftler 9 Fälle von Tuberkulose, von denen die meisten (7/9) aus Tuberkulose-endemischen Regionen gemeldet wurden.

Der Rat des PRAC: Vor Beginn der Behandlung sollten Patienten auf eine aktive oder inaktive (latente) Tuberkulose untersucht werden – und im Falle positiver Tests vor Beginn der Behandlung mit Gavreto® eine antimykobakterielle Standardtherapie erhalten.

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Kommentar

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