Tipps zur Diagnostik vom Kongress: Welche Patienten leiden an einer chronischen kritischen Extremitätenischämie?

Dr. Linda Fischer

Interessenkonflikte

15. Mai 2023

Wiesbaden – Weniger als 10% aller Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) haben auch eine chronische Gliedmaßen-bedrohende Ischämie (CLTI). Diese ist oft infrainguinal. Etwa jeder 3. Fall betrifft nur Unterschenkelarterien. 

Die Datenlage zur CLTI sei aus verschiedensten Gründen schwierig, konstatiert Prof. Dr. Christine Espinola-Klein, Fachärztin für Innere Medizin, Angiologie, Kardiologie und Hämostaseologie und Direktorin der Kardiologie III – Angiologie an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie sprach beim129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin [1]

Inzidenz höher bei älteren Menschen und bei Männern

Die wenigen vorliegenden Daten zeigen eine CLTI-Prävalenz (Fontaine III-IV, Knöcheldruck < 70 mmHg, Knöchel-Arm-Index ABI < 0,6) von 0,75 % (95 % Konfidenzintervall KI 0,26-1,46) bzw. rund 800 pro 100.000 Personen (95 %-KI 300-1.400). Die Inzidenz liegt im fortgeschrittenen Lebensalter (> 65 Jahre) höher, mit etwa 150 pro 100.000 pro Jahr. Frauen sind seltener betroffen als Männer. 

3-Stufendiagnostik der pAVK

Wie Ärzte bei der Diagnostik vorgehen, fasst die Referentin zusammen:

  1. Basisdiagnostik: Anamnese, klinische Untersuchung, ABI.

  2. Angiologische Funktionsdiagnostik: Dopplersonografie, Oszillografie, transkutaner O2-Partialdruck (Bestätigung der Diagnose).

  3. Morphologische Diagnostik: Duplexsonografie, radiologische Bildgebung (Therapieplanung).

Basisdiagnostik: Wunden inspizieren, ABI erfassen

  • Anamnese (klinische Symptome, Risikofaktoren, Komorbidität)

  • Inspektion (Wunden, Hautkolorit)

  • Pulsstatus, Auskultation

  • Lagerungsprobe

  • ABI, Zehendruck (TBI)

Differenzialdiagnose der Wunden: Wo sind welche Gefäße beteiligt?

Bei Wunden sind verschiedene Differenzialdiagnosen zu berücksichtigen (Tab. 1). Mischbilder sind häufig, wenn z. B. ein venöses Ulcus nicht abheilt, da unter der Kompression bei einer inzwischen sich entwickelnden PAVK zusätzlich ein Durchblutungsproblem vorliegt. Auch beim diabetischen Fußsyndrom handele es sich häufig um ein Mischbild zwischen arterieller und neuropathischer Beteiligung. 

 

venös

arteriell

neuropathisch

druck-assoziiert

Ursache

Krampfadern, frühere tiefe Venen-Thrombosen, Fettleibigkeit, Schwangerschaft, wiederkehrende Venen-Entzündungen

Diabetes, Hypertonie, Rauchen, frühere Gefäß-Erkrankung

Diabetes, Trauma, langanhaltender Druck

eingeschränkte Mobilität

Lokalisation

Bereich zwischen unterer Wade und Innenknöchel

Zehen und Füße, Außenknöchel und Schienbein

plantarer Bereich des Fußes, Zehenspitze, seitlich des 5. Mittelfuß-Knochens

tief, oft mazeriert

Behandlung

Kompression, Hochlagerung der Beine, chirurgische Behandlung

Revaskularisierung, Thrombozyten-Aggregations-Hemmer, Behandlung von Risikofaktoren

Druck-Entlastung, topische Wachstumsfaktoren

Druck-Entlastung, angemessene Ernährung

Tab. 1: Bewertung und Behandlung von Geschwüren der unteren Extremitäten, adaptiert nach Singer et al.

In jedem Fall gelte es, herauszuarbeiten, an welcher Stelle welche Gefäße beteiligt seien, um dann zu revaskularisieren und ein Abheilen der Wunde zu erreichen, betont Espinola-Klein.

ABI: Je niedriger, desto schwerer die pAVK

Der Knöcheldruck werde wie der Blutdruck gemessen, weiß die Fachärztin. Es sei darauf zu achten, die Manschette möglichst distal anzulegen. Gemessen wird der ABI über den niedrigsten systolischen Blutdruck am Knöchel, dividiert durch den mittleren systolischen Armblutdruck. Je niedriger der ABI ausfällt, desto höher der pAVK-Schweregrad (Tab. 2). 

ABI

Schweregrad

> 1,4

falsch hoch, v.a. bei Mediasklerose

0,9–1,3

Normalbefund

0,75–0,9

leichte pAVK

0,5–0,75

mittelschwere pAVK

< 0,5

schwere pAVK

Tab. 2: Diagnostik der PAVK nach der S3-Leitlinie.

In bestimmten Situationen ist die Messung nicht sinnvoll durchführbar, falls beispielsweise eine Mediasklerose vorliegt – häufig bei Patienten mit Diabetes. Eine Alternative zur ABI-Messung kann der Zehendruck sein.

Angiologische Funktionsdiagnostik: Funktionsmessungen und WIFi-Score

Wird bei der Basisdiagnostik eine Durchblutungsstörung festgestellt, folgen weitere angiologische Funktionsmessungen, um herauszufinden, wie der Befund kompensiert ist und wie die Durchblutung verbessert werden kann, damit die Wunde heilt.

Die Cw-Dopplersonografie ist Mediasklerose-unabhängig und erlaubt eine Einschätzung des vorgeschalteten Gefäßsegments. Während sich im Normalbefund eine triphasische Kurve zeigt, ist in einem poststenotischen Befund die Amplitude vermindert und der diastolische Rückstrom fehlt. Im postokklusiven Befund zeigt sich dann u. a. eine Signalverbreiterung und auch ein fehlender diastolischer Rückstrom.

Eine weitere Mediasklerose-unabhängige Messung ist die segmentale Oszillografie. Hier werden besondere Blutdruckmanschetten angelegt, die die Pulsation eines Gefäßsegmentes unmittelbar unter der Manschette erfassen.

Eine weitere Messung, die aber Fehlerquellen birgt, ist die transkutane O2-Partialdruckmessung. Sie sei Geräte-abhängig, betont Espinola-Klein. Gemessen werde in Läsionsnähe, im Liegen und im Sitzen (Orthostase). Ungefähre Kriterien für eine kritische Ischämie seien liegend < 20 mmHg und sitzend < 40 mmHg. Fehlerquellen umfassen Ödeme, Verhornungen, Vaskulitiden und chronisch-venöse Insuffizienz.  

WIFi-Score

Liegt schließlich eine Kombination aus ABI oder TBI, Messungen der Wundsituation und der transkutanen O2-Partialdruckmessung vor, ist der WIFi-Score (W=Wunde, I=Ischämie, Fi=Fußinfektion) etabliert. Er korreliert sehr gut mit dem Risiko einer Amputation.

Die Ausprägung der Wunde (Score 0-3), ABI oder TBI (Score 0-3) und die Fußinfektion (Score 0-3) werden erfasst. Je höher die Punktzahl liege, desto höher sei das Risiko für eine Majoramputation, erklärt Espinola-Klein ganz grob. Zu beachten seien hierbei Fehlerquellen der verschiedenen Messmethoden (Tab. 3). Die Fachärztin empfiehlt immer eine Kombination der Verfahren. 

Untersuchungsmethode

Vorteile

Nachteile

ABI

Screeningverfahren, schnell, kostengünstig, einfach

Fehlerquelle Mediasklerose, alternativ Zehendruck messen

Cw-Dopplersonografie

Etagenlokalisation hämodynamisch relevanter Strombahnhindernisse unabhängig von Mediasklerose

Sensitivität bei Beckengefäßen geringer, keine Darstellung der Anatomie, bei vorgeschalteten Stenosen sind nachgeschaltete Gefäße nur eingeschränkt beurteilbar

Oszillografie

Etagenlokalisation hämodynamisch relevanter Strombahnhindernisse unabhängig von Mediasklerose

semiquantitatives Verfahren, limitiert bei schweren Ödemen und großflächigen Ulzerationen

transkutaner O2-Partialdruck

Prognoseparameter zur Abheilungstendenz von Läsionen, geeignet zur Verlaufsbeurteilung

intaktes Hautsegment notwendig, multiple Fehlerquellen (Ödeme, chronisch venöse Insuffizienz, Vaskulitiden, Dermatosklerosen)

Ein Flussdiagramm für die Untersuchung von Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf eine CLTI finden Sie in der Abb. 3.1 in Conte et al.

 

Morphologische Diagnostik: Duplexsonografie, MRA, CTA

Kommen Patienten mit CLTI für eine Revaskularisierung infrage, erfolt eine weitere Diagnostik, bei der die Duplexsonografie eine zentrale Rolle spielt. Sie ist einfach bettseitig durchführbar, weiß Espinola-Klein. Wird weitere Bildgebung benötigt, stehen Magnetresonanz-Angiografie (MRA) und computertomografische Angiografie (CTA) zur Verfügung.

Einen möglichen Algorithmus für die morphologische Bildgebung bei Patientinnen und Patienten mit CLTI, die für eine Revaskularisierung infrage kommen, finden Sie in der Abb. 3.2 in Conte et al.

Neue Methoden der Perfusionsmessung: TOPP und Fluoreszenz

Künftig werde es weitere Methoden geben, die gerade bei der Untersuchung von Menschen mit Diabetes helfen könnten, so Espinola-Klein. Dazu zählen etwa das Tissue Optical Perfusion Pressure-Verfahren (TOPP)und die Fluoreszenzbildgebung.

Der Beitrag ist im Original erschienen auf Univadis.de.

 

Kommentar

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