COVID-19: Was bringt der frühere „Game Changer“ Nirmatrelvir-Ritonavir heute noch in der Praxis?

Christos Evangelou 

Interessenkonflikte

12. Mai 2023

San Diego – Nirmatrelvir-Ritonavir (Paxlovid®), ein antivirales Kombinationspräparat gegen COVID-19, ist das wichtigste neue Medikament, das Hausärzte in den letzten Jahren verschrieben haben. Es hat dazu beigetragen, dass viele Patienten nicht stationär behandelt werden mussten. Prof.Dr. Gerald Smetana sprach auf der Jahrestagung des American College of Physicians über Details der Verordnung und über Studiendaten [1]. Er arbeitet als Internist am Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston und ist Professor für Medizin an der Harvard Medical School in Boston.

Nirmatrelvir-Ritonavir wurde erstmals Ende 2021 von der US Food and Drug Agency (FDA) als Notfallmedikament zugelassen, um das Fortschreiten der Krankheit zu verhindern, als die COVID-19-Fälle und Todesfälle sprunghaft anstiegen und sich die Delta- und Omikron-Varianten zu verbreiten begannen. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) gab am 28. Januar 2022 grünes Licht für eine bedingte Zulassung in der gesamten EU.

Smetana sieht Nirmatrelvir-Ritonavir als Beispiel für neue Medikamente, die für Hausärzte wichtig seien und entscheidende Bedeutung für die öffentliche Gesundheit hätten.

Warum Ärzte den Wirkmechanismus kennen sollten

Ein Blick auf die Details: Nirmatrelvir hemmt die SARS-CoV-2-Hauptprotease (Mpro). Sie ist für die virale Replikation erforderlich. Im Gegensatz zum SARS-CoV-2-Spike-Protein ist Mpro in Coronaviren hoch konserviert und weist nur selten Mutationen auf. Zum Vergleich: Therapeutische, monoklonale Antikörper zielen auf das Spike-Protein ab; ihre Wirkung ist bei Virusvarianten mittlerweile eingeschränkt. Nirmatrelvir wirkt auch gegen Omikron – und voraussichtlich auch gegen Varianten, die möglicherweise noch entstehen.

 
Obwohl Details für Internisten nicht wichtig sind, kann ein grundlegendes Verständnis des Wirkmechanismus [Ärzten] helfen, besser zu verstehen, für welche Patienten die Medikamente indiziert sind. Prof. Dr. Gerald Smetana
 

Der HIV1-Proteaseinhibitor Ritonavir ist nicht gegen SARS-CoV-2 wirksam. Er kann dazu beitragen, die Serumkonzentration von Nirmatrelvir zu erhöhen, indem er dessen Metabolisierung hemmt.

„Obwohl Details für Internisten nicht wichtig sind, kann ein grundlegendes Verständnis des Wirkmechanismus [Ärzten] helfen, besser zu verstehen, für welche Patienten die Medikamente indiziert sind“, erklärt Smetana. Dies sei besonders wichtig für neu zugelassene Medikamente, zu denen es erfahrungsgemäß etliche Informationen aus Studien gebe.

„Die Kenntnis der Wirkmechanismen neuer Medikamente kann uns helfen, ihre Wirksamkeit und mögliche Nebenwirkungen vorherzusagen“, ergänzt Dr. Hubertus Kiefl, Internist am Beth Israel Deaconess Medical Center und Dozent an der Harvard Medical School.

 
Die Kenntnis der Wirkmechanismen neuer Medikamente kann uns helfen, ihre Wirksamkeit und mögliche Nebenwirkungen vorherzusagen. Dr. Hubertus Kiefl
 

Ein tieferes Verständnis kann Ärzten auch dabei helfen, bessere Entscheidungen zu treffen. Dazu zählt beispielsweise, monoklonale Antikörper beim Auftreten einer neuen Variante mit Mutationen in Oberflächenproteinen zurückhaltend zu verordnen oder zu entscheiden, welche Patienten Nirmatrelvir-Ritonavir erhalten. Bei dem Präparat sind potenziell schwerwiegende Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten in Betracht zu ziehen.

Wer profitiert heute noch von Nirmatrelvir-Ritonavir?

Nirmatrelvir-Ritonavir verringert das Risiko eines Krankenhausaufenthalts – allerdings nur bei Hochrisikopatienten. Smetana präsentierte entsprechende Daten der EPIC-HR-Studie, einer zulassungsrelevanten klinischen Studie der Phase 2/3, mit 2.246 erwachsenen Patienten mit COVID-19, die alle nicht geimpft waren. Außerdem wiesen sie mindestens 1 Risikofaktor für schweres COVID-19 auf.

Haben Ärzte die Behandlung mit 300 mg Nirmatrelvir plus 100 mg Ritonavir 2-mal täglich für 5 Tage nach Symptombeginn oder früher eingeleitet, führte dies im Vergleich zu Placebo zu einer 89-prozentigen relativen Verringerung des Risikos stationärer Therapien oder Todesfälle aufgrund von COVID-19, verglichen mit Placebo. Das Zeitfenster der Nachbeobachtung ging bis zum 28. Tag seit Beginn der Beschwerden.

Analysen von Subgruppen zeigten, dass einige Patienten stärker von der Therapie profitierten als andere. Die höchste Risikoreduktion wurde bei Patienten im Alter von mindestens 65 Jahren beobachtet.

„Es ist wichtig, daran zu denken, dass alle Patienten dieser Studie nicht geimpft waren und keine vorherige SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht hatten“, betont Smetana. „Diese Studienpopulation … entspricht nicht den meisten Patienten, die wir heute behandeln.“

Unveröffentlichte Daten einer Studie mit Standard-Risikopatienten hätten eine nicht signifikante Verringerung des Risikos von Krankenhausaufenthalten oder Todesfällen gezeigt. Diese Studie sei Smetana zufolge aufgrund der geringen Hospitalisierungs- und Sterberaten abgebrochen worden.

Ein Blick auf Real-World-Daten

Die Tatsache, dass sich Patienten in der EPIC-HR-Studie von Patienten unterschieden, mit denen Internisten heute zu tun hätten, mache Daten aus der realen Welt entscheidend für die Bestimmung des Nutzens von Nirmatrelvir-Ritonavir in der täglichen Praxis, betonte Smetana.

Eine Real-World-Studie aus Israel, die während der 1. Omikron-Welle (Januar bis März 2022) durchgeführt worden ist, zeigte, dass die Behandlung mit Nirmatrelvir allein das relative Risiko einer Krankenhauseinweisung bei Erwachsenen über 65 Jahren erheblich verringern konnte, während es bei Erwachsenen im Alter von 40 bis 65 Jahren keine Hinweise auf einen Nutzen gab. Smetana wies darauf hin, dass im Gegensatz zur EPIC-HR-Kohorte die meisten Patienten in der israelischen Studie eine vorherige Immunität aufgrund einer Impfung oder einer früheren SARS-CoV-2-Infektion gehabt hätten.

Viele Wechselwirkungen mit anderen Pharmaka

Nirmatrelvir-Ritonavir interagiert mit etlichen Arzneimitteln, von denen einige häufig von Patienten in der Primärversorgung eingenommen werden.

Um Internisten bei der Erkennung von Wechselwirkungen zu helfen, schlug Smetana den Einsatz des Liverpool COVID-19 Drug Interactions Checker vor. Er kategorisiert potenzielle Wechselwirkungen nach deren Schweregrad.

Dieses Tool ist speziell auf COVID-19-Medikamente ausgerichtet. Die Liverpooler Gruppe bietet auch Online-Interaktionstests für HIV, Hepatitis und Krebs an. „Wir brauchen mehr Tools wie dieses, um die sichere Anwendung neuer Medikamente zu verbessern“, fordert Smetana.

Er nennt Ärzten folgende Möglichkeiten für den Umgang mit Wechselwirkungen:

  • Verschreiben Sie eine alternative COVID-19-Therapie.

  • Pausieren Sie andere Medikationen, falls dies möglich ist.

  • Passen Sie die Dosis der Begleitmedikation an, und überwachen Sie Patienten engmaschig auf Begleiterkrankungen.

Änderungen der Medikation sollten bis zu 3 Tagen nach Beendigung der Nirmatrelvir-Ritonavir-Behandlung fortgesetzt werden, ergänzte Smetana.

Wichtige Überlegungen zur Verordnung von Nirmatrelvir-Ritonavir

Smetana erklärte außerdem, worauf Ärzte bei der Verordnung von Nirmatrelvir-Ritonavir achten sollten.

  • Das Zeitfenster liegt bei maximal 5 bis 7 Tagen seit (vermutetem) Symptombeginn.

  • Zur Frage der Sicherheit in der Schwangerschaft gibt es kaum belastbare Informationen.

Smetana erinnerte erneut daran, dass Nirmatrelvir-Ritonavir zwar die bevorzugte Erstbehandlung für Hochrisikopatienten sei, dass aber auch ein anderer antiviraler Wirkstoff, Molnupiravir, zur Verfügung stehe, der für einige Patienten möglicherweise besser geeignet sei.

Er warnte auch davor, neue Medikamente für Indikationen zu verschreiben, die noch nicht von der FDA zugelassen seien. „Als Ärzte verwalten wir oft begrenzte Ressourcen, wenn neue Medikamente auf den Markt kommen, aber noch nicht in ausreichender Menge vorhanden sind, um die Nachfrage zu decken“, sagte er. „Die Beschränkung der Verschreibung auf von der FDA zugelassene Indikationen trägt dazu bei, einen gerechten Zugang zu gewährleisten.“

Der Beitrag wurde von Michael van den Heuvel aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

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