Verbessert sich bei depressiven Patienten durch eine Psychotherapie die Depression, dann sinkt offenbar auch ihr Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen. Das zeigt eine große Kohortenstudie aus dem Vereinigten Königreich. „Menschen, deren depressive Symptome sich nach der Therapie gebessert hatten, wiesen ein um 10-15% niedrigeres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen auf als diejenigen, die keine Verbesserung erreichten, berichten die Autorinnen und Autoren im European Heart Journal [1].
„Es gab die Annahme und einzelne Hinweise darauf, dass die Behandlung einer Depression vor kardiovaskulären Erkrankungen schützen könnte, aber keine aussagekräftige Evidenz“, sagt Prof. Dr. Heike Spaderna, Professorin für Gesundheitspsychologie mit den Schwerpunkten Prävention und Rehabilitation an der Universität Trier, im Gespräch mit Medscape. „Natürlich ist auch diese retrospektive Studie kein Beweis für einen kausalen Zusammenhang, aber es ist die erste groß angelegte Studie, die relativ plausible Belege dafür liefert, dass dem tatsächlich so sein könnte.“

Prof. Dr. Heike Spaderna
Höheres Risiko für kardiovaskulären Erkrankungen bei Depression
Sowohl Depressionen als auch kardiovaskuläre Erkrankungen sind hochprävalent, es ist somit möglich, dass sie unabhängig voneinander auftreten. Aber Studiendaten zeigen, dass die beiden Krankheiten interagieren: Kardiovaskuläre Erkrankungen tragen zu Depressionen bei und Depressionen zu kardiovaskulären Erkrankungen.
„Menschen mit einer schweren Depression haben ein um etwa 72 Prozent erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen“, sagt Erstautorin Dr. Céline El Baou vom University College London, London, Vereinigtes Königreich. „Unsere Studie deutet darauf hin, dass eine Verbesserung der psychischen Gesundheit auch für die körperliche Gesundheit von Vorteil sein könnte, insbesondere für Menschen unter 60 Jahren“, ergänzt sie.
Bis zu 7 Jahre Nachbeobachtung
Die Forschungsgruppe um El Baou analysierte die Daten von 636.955 Erwachsenen, die sich aufgrund einer Depressionserkrankung einer Psychotherapie, zum Beispiel einer kognitiven Verhaltenstherapie, unterzogen und initial keine kardiovaskuläre Erkrankung hatten. Sie waren im Schnitt 55 Jahre alt, 2 Drittel waren Frauen.
Als Verbesserung der depressiven Symptome galt eine Reduktion des Patient Health Questionnaire-9 (PHQ-9)-Scores um mindestens 6 Punkte ohne Verschlechterung einer Angstsymptomatik. Letzteres sollte verhindern, dass die Therapie als erfolgreich eingestuft wird, wenn sich die Depression verbessert, die Angst aber verschlimmert. Die Nachbeobachtung der Patienten begann 1 Jahr nach der letzten Therapiesetzung und lief über median 3,1 Jahre, maximal waren es 7 Jahre.
Nach Therapie weniger KHK, Schlaganfälle und Tote
Die depressiven Symptome verbesserten sich bei 59% der Patienten, bei 41% nicht. Es kam zu 49.803 kardiovaskulären Ereignissen und 14.125 Studienteilnehmende starben. Die Verbesserung der Depression war mit einem um 12% geringeren Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen assoziiert.
Koronare Herzkrankheiten (KHK) waren um 11%, Schlaganfälle um 12% seltener. Und die Gesamtmortalität war bei den Patienten mit verbesserter Symptomatik um 19% niedriger als bei denjenigen, bei denen die Psychotherapie nicht zu einer Verbesserung geführt hatte.
Bei den Analysen berücksichtigten die Forschenden Kovariablen wie Alter, Ethnizität, Geschlecht, sozioökonomischen Status und andere gesundheitliche Einschränkungen, die die Assoziationen beeinflussen könnten.
Lebensstil und Entzündungsprozesse könnten die Assoziation erklären
Die Studie zeigt nicht, in welcher Weise die Verbesserung der Depression zu einer Reduktion des kardiovaskulären Risikos beigetragen haben könnte. Aber Spaderna zufolge gibt es dafür 2 Möglichkeiten: „Ein Mechanismus könnte sein, dass sich durch die Verbesserung der Depression auch der Lebensstil verbessert. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der körperlichen Aktivität: Hierfür ist sowohl der Zusammenhang mit Depression, aber auch der protektive Effekt auf die Herz-Kreislauf-Gesundheit gut belegt.“
Auf der anderen Seite gebe es aber auch die Hypothese, dass Depressionen Entzündungsprozesse im Organismus begünstigten, auch in den Gefäßwänden. Und das könne ebenfalls Einfluss auf die kardiovaskuläre Gesundheit nehmen, ergänzt die Gesundheitspsychologin.
Stärkerer Effekt in jüngeren Jahren
El Baou und ihre Koautoren berichten auch, dass die Assoziationen zwischen der Verbesserung der Depression und dem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen bei den 45- bis 60-Jährigen besonders stark ausgeprägt waren. Bei ihnen war eine Verbesserung der Depression mit einem Rückgang kardiovaskulärer Erkrankungen um 15% verbunden. Nach dem 60. Lebensjahr betruge dieser Rückgang nur noch 6%.
Und auch im Hinblick auf das Gesamtüberleben profitierten die 45- bis 60-Jährigen stärker von einem Rückgang der depressiven Symptome: Ihr Sterberisiko war um 22% reduziert, bei den Über-60-Jährigen waren es nur 15%.
„Unsere Ergebnisse stimmen mit dem bisherigen Forschungstand überein, dass Interventionen, die das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen reduzieren sollen, effektiver sind, wenn sie in einem jüngeren Alter ansetzen“, kommentiert El Baou.
Und Spaderna vermutet: „Möglicherweise fällt es älteren Menschen schwerer, wieder ein aktiveres Leben zu führen, auch wenn sich die Depression verbessert hat.“ Dabei würde es sich lohnen: „Auch im hohen Alter können sich Verhaltensänderungen noch positiv auf Gesundheit und Lebenserwartung auswirken“, betont die Expertin.
Aber auch Multimorbidität könnte im höheren Alter eine Rolle spielen: „Ältere haben oft weitere Erkrankungen, etwa einen Bluthochdruck oder einen Diabetes, die sich auf das kardiovaskuläre Risiko auswirken können. Möglicherweise schlägt der Effekt der Depressionsverbesserung auf Herz und Kreislauf dann nicht mehr durch“, ergänzt Spaderna.
Zugang zur Psychotherapie erleichtern
Die Autoren räumen ein, dass die Studie nicht definitiv beweisen kann, dass die Verbesserung der Depression zu der Reduktion der kardiovaskulären Erkrankungen geführt hat. Auch Lebensstilfaktoren wie Rauchen und Bewegungsmangel, zu denen keine Daten vorlagen, könnten die Ergebnisse beeinflusst haben.
Dennoch ist El Baou überzeugt, dass es „von größter Wichtigkeit ist, den Zugang zu Psychotherapien zu erleichtern, um die psychische und körperliche Gesundheit zu fördern“. Dies gelte insbesondere für Bevölkerungsgruppen, die besonders schwer Zugang zu psychotherapeutischer Versorgung fänden und gleichzeitig ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen aufwiesen.
Und Spaderna betont mit Blick auf das deutsche Gesundheitssystem: „Es ist bedauerlich, dass in Deutschland viele Patientinnen und Patienten große Schwierigkeiten haben, einen Therapieplatz zu finden. Das muss dringend geändert werden.“ Und auch die Bevölkerung müsse, so die Psychologin weiter, stärker dafür sensibilisiert werden, dass man sich mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen frühzeitig in Behandlung begeben sollte. „Die Zusammenhänge zwischen Depressivität und kardiovaskulären Erkrankungen sind noch viel zu wenig bekannt“, sagt sie.
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Photographer: © Chernetskaya
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Diesen Artikel so zitieren: Ein Herz und eine Seele: Werden Depressionen psychotherapeutisch behandelt, sinkt das kardiovaskuläre Risiko - Medscape - 11. Mai 2023.
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