Das Grundgesetz spricht allen Menschen das Grundrecht auf Freiheit zu, in das nur auf einer gesetzlichen Grundlage eingegriffen werden darf. Was die Fixierung von Patientinnen und Patienten anbelangt, war eine solche Grundlage lange kaum gegeben, erklärte Katrin Wirkner-Schießl, stellvertretende Leitung der Stabsabteilung Justiziariat Universität Erlangen, auf dem 22. Kongress der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin [1].
Mittlerweile gibt es § 1906 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch), der eine Legitimation darstellt, sowie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2018 mit Vorgaben zur 5- und 7-Punkt-Fixierung. Von medizinischer Seite gibt es die S3-Leitlinie „Verhinderung von Zwang: Prävention und Therapie aggressiven Verhaltens bei Erwachsenen“ der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN).
Bei rechtswidrigen Eingriffen in dieses Grundrecht ohne Legitimation droht nicht nur eine zivilrechtliche Schadensersatz- und Schmerzensklage, sondern auch strafrechtliche Haftung nach § 239 StGB (Strafgesetzbuch).
Fallbeispiel zu freiheitsentziehenden Maßnahmen
Wirkner-Schießl startete mit einem typischen klinischen Fallbeispiel: Ein Patient mit einer akuten, lebensbedrohlichen Erkrankung wird eingewiesen, ist zu dem Zeitpunkt nicht mehr bei Bewusstsein, wird schon künstlich beatmet und dann auf der Intensivstation im künstlichen Koma gehalten. Die Grunderkrankung regeneriert sich nach 2 Tagen, sodass der Patient aus dem Koma zurückgeholt werden kann.
Anschließend wird er wiederholt medikamentös sediert oder mit Handfesseln, Bauchgurt und Bettgittern wegen aggressiven Verhaltens und Unruhe fixiert. Kurz nach der Entlassung verklagt er das Klinikum wegen Freiheitsentziehung.
Wann liegt eine Freiheitsentziehung vor?
Freiheitsentziehende Maßnahmen liegen vor, wenn eine Person gegen ihren natürlichen Willen durch mechanische Vorrichtungen oder auf andere Weise in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigt wird und diese Beeinträchtigung nicht ohne fremde Hilfe überwinden kann.
In dem vorliegenden Fallbeispiel urteilte das Gericht so, dass der Patient zum Zeitpunkt des Komas keinen Willen bilden konnte, sich fortzubewegen und insofern in diesem Zeitraum keine Freiheitsentziehung vorlag.
Sedierende Medikamente – primäres Ziel maßgebend
Zu Mitteln der Freiheitsentziehung zählen u.a. auch sedierende Medikamente. Hier bestünde häufig Streit mit den jeweiligen Betreuungsgerichten, inwieweit eine gezielte Medikation mit Sedativa eine freiheitsentziehende Maßnahme sein kann, führte Wirkner-Schießl aus.
Hier sei immer das primäre Ziel der sedierenden Medikation maßgebend: Ist das primäre Ziel ein therapeutischer Zweck, liegt keine Freiheitsentziehung im Sinne der Vorgaben des § 1906 BGB vor. Die Freiheitsentziehung stellt dann nur eine in Kauf genommene Folge dar.
Anders sieht es aus, wenn die Sedierung primär dazu dient, den Patienten oder die Patientin am Verlassen z.B. des Zimmers oder Betts zu hindern. Dies sei aber ein Graubereich, so Wirkner-Schießl. Die Justiziarin empfiehlt, einen sehr guten Kontakt zu den vor Ort bestehenden Betreuungsgerichten zu pflegen, um nachfolgende Rechtsstreitigkeiten zu verhindern.
Zulässigkeit freiheitsentziehender Maßnahmen
Einsichtsfähige Patientinnen und Patienten mit Einwilligung müssen vorher aufgeklärt werden, betonte Wirkner-Schießl. Aus juristischer Sicht nicht ausreichend seien hierfür pauschale Einwilligungen oder formularmäßige Erklärungsmuster, die für immer wiederkehrende Freiheitsentziehung formuliert werden.
Tipp der Justiziarin: Den Patienten oder die Patientin bei einem geplanten größeren Eingriff im Rahmen des präoperativen ärztlichen Aufklärungsgesprächs zu der Operation auch gleich gezielt zu der postoperativen Fixierung (z.B. im Falle eines Durchgangssyndroms) aufklären. So seien Ärztinnen und Ärzte auf der sicheren Seite.
Lehnt eine einwilligungsfähige Person Maßnahmen ab, sind freiheitsentziehende Maßnahmen gerechtfertigt nach § 34 StGB, wenn eine konkrete Gefahr z.B. für Dritte besteht, so Wirkner-Schießl.
Bei nicht einwilligungsfähigen Patientinnen und Patienten werde grundsätzlich die Einwilligung durch eine stellvertretende oder betreuende Person benötigt. Aber auch hier könnten sich Ärztinnen und Ärzte in dringlichen Fällen z.B. auf § 34 StGB stützen.
Wann bedarf es einer Genehmigung durch das Betreuungsgericht?
Einer Genehmigungspflicht durch das Betreuungsgericht bedarf es bei betreuten oder bevollmächtigten Patientinnen und Patienten mit regelmäßigen oder über einen längeren Zeitraum freiheitsentziehenden Maßnahmen (§ 1906 BGB). In der Regel sollte dies durch die bevollmächtigte oder betreuende Person passieren, im Einzelfall kann dies aber auch der Arzt oder die Ärztin übernehmen, so Wirkner-Schießl.
Was nicht (mehr) ausreicht: ein schon bestehender Unterbringungsbeschluss, der automatisch die Freiheitsentziehung durch Fixierung oder andere Zwangsmaßnahmen umfasst.
Eine Ausnahme von diesen Kriterien zur Genehmigungspflicht können andere Maßnahmen darstellen, wie z.B. das Fixieren von Hand oder Fuß, um einen Sonden- oder Katheter-Zugang zu verhindern. Hier, berichtete Wirkner-Schießl, habe ihr Klinikum mit dem zuständigen Betreuungsgericht eine Abmachung geschlossen, dass in solchen Fällen keine Anträge zu stellen sind – immer unter der Prämisse, die rechtlichen Grenzen und den Schutz des Patienten oder der Patientin einzuhalten.
Zu den Kriterien: Eine Regelmäßigkeit der Maßnahme besteht, wenn sie stets zur gleichen Zeit oder aus wiederkehrendem Anlass erfolgt.
Eine Maßnahme über einen längeren Zeitraum ist ein strittiger Punkt, den laut Wirkner-Schießl Betreuungsrichterinnen und Betreuungsrichter oft unterschiedlich sehen. Die Justiziarin fasste die Rechtslage, wann ein längerer Zeitraum vorliegt, folgendermaßen zusammen:
wenn die Maßnahme länger als bis zum Ende des folgenden Tages (24:00 Uhr) durchgeführt wird,
wenn voraussichtlich die Dauer von 3 Tagen überschritten wird,
CAVE 5- oder 7-Punkt-Fixierung: Ist absehbar, dass eine 5- oder 7-Punkt-Fixierung die Dauer einer halben Stunde überschreitet, ist vorher zu prüfen, ob eine richterliche Entscheidung eingeholt werden muss.
Wann bedarf es einer Genehmigung durch das Betreuungsgericht?
Einer Genehmigungspflicht durch das Betreuungsgericht bedarf es bei betreuten oder bevollmächtigten Patientinnen und Patienten mit regelmäßigen oder über einen längeren Zeitraum freiheitsentziehenden Maßnahmen (§ 1906 BGB). In der Regel sollte dies durch die bevollmächtigte oder betreuende Person passieren, im Einzelfall kann dies aber auch der Arzt oder die Ärztin übernehmen, so Wirkner-Schießl.
Was nicht (mehr) ausreicht: ein schon bestehender Unterbringungsbeschluss, der automatisch die Freiheitsentziehung durch Fixierung oder andere Zwangsmaßnahmen umfasst.
Eine Ausnahme von diesen Kriterien zur Genehmigungspflicht können andere Maßnahmen darstellen, wie z.B. das Fixieren von Hand oder Fuß, um einen Sonden- oder Katheter-Zugang zu verhindern. Hier, berichtete Wirkner-Schießl, habe ihr Klinikum mit dem zuständigen Betreuungsgericht eine Abmachung geschlossen, dass in solchen Fällen keine Anträge zu stellen sind – immer unter der Prämisse, die rechtlichen Grenzen und den Schutz des Patienten oder der Patientin einzuhalten.
Zu den Kriterien: Eine Regelmäßigkeit der Maßnahme besteht, wenn sie stets zur gleichen Zeit oder aus wiederkehrendem Anlass erfolgt.
Eine Maßnahme über einen längeren Zeitraum ist ein strittiger Punkt, den laut Wirkner-Schießl Betreuungsrichterinnen und Betreuungsrichter oft unterschiedlich sehen. Die Justiziarin fasste die Rechtslage, wann ein längerer Zeitraum vorliegt, folgendermaßen zusammen:
wenn die Maßnahme länger als bis zum Ende des folgenden Tages (24:00 Uhr) durchgeführt wird,
wenn voraussichtlich die Dauer von 3 Tagen überschritten wird.
CAVE 5- oder 7-Punkt-Fixierung: Ist absehbar, dass eine 5- oder 7-Punkt-Fixierung die Dauer einer halben Stunde überschreitet, ist vorher zu prüfen, ob eine richterliche Entscheidung eingeholt werden muss.
Durchführung freiheitsentziehender Maßnahmen
Die Durchführung erfordert eine ärztliche Anordnung nach Abwägung als Ultima Ratio-Maßnahme – im Notfall könne dies aber auch durch die Pflege erfolgen (außer Zwangsmedikation), erklärte Wirkner-Schießl. Dann muss allerdings nachträglich unverzüglich der Arzt oder die Ärztin unterrichtet werden. Die Justiziarin hob hervor, dass die Fixierung nach Vorgaben sowohl des Herstellers als auch des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erfolgen muss.
Ein heiß diskutierter Punkt, zumindest in der Erlanger Klinik, war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2018 zur Überwachung während der Fixierung, berichtete Wirkner-Schießl. Diese gibt bei 5- und 7-Punkt-Fixierung eine Eins-zu-Eins-Betreuung durch therapeutisches oder pflegerisches Personal vor. Schon damals herrschte Pflegenotstand, was die Fragen aufwarf: Muss es wirklich eine Eins-zu-Eins-Betreuung sein? Und darf auch nicht formell qualifiziertes Personal betreuen?
Wieder kann ein guter Kontakt mit den lokalen Betreuungsrichterinnen und Betreuungsrichtern essenziell sein, betonte Wirkner-Schießl. Ihr Klinikum habe beispielsweise eine Absprache – gerade im intensivmedizinischen Bereich, in dem mehrere Personen nebeneinander eng von den Intensivpflegekräften überwacht werden –, dass es ausreicht, wenn eine Pflegekraft für 2 Personen durchgehend im sichtbaren Bereich präsent ist.
Zu der Frage, wer genau die Betreuung übernehmen kann, liegt für das Universitätsklinikum Erlangen eine Verfahrensanweisung für alle freiheitsentziehenden Maßnahmen vor, dass nicht die formelle Qualifikation des überwachenden Personals entscheidend ist. Vielmehr können nicht nur voll ausgebildete Kräfte, sondern auch fortgeschrittene Pflegefachschülerinnen und -schüler oder fortgeschrittene Medizinstudierende die Vitalfunktionen überwachen und eine adäquate Ansprache für die Patientinnen und Patienten darstellen. „Das wurde vor Ort mit dem Betreuungsgericht abgestimmt“, so die Justiziarin.
Dokumentation freiheitsentziehender Maßnahmen
Dass die Maßnahmen dokumentiert werden müssen, ist gesetzlich vorgeschrieben – wie genau, ist nicht geregelt. Aus haftungsrechtlicher Sicht empfahl Wirkner-Schießl, Dokumentationsbögen, Checklisten und/oder Überwachungsprotokolle zu erstellen, aus denen zumindest hervorgeht, dass die jeweilige Maßnahme als Ultima Ratio durchgeführt wurde und wer welche Schritte durchgeführt hat.
Müssen Sie Patientinnen und Patienten nach der Fixierung noch darauf hinweisen, dass sie die Fixierung gerichtlich überprüfen können?
„Die Lieblingsantwort der Juristen: Es kommt darauf an“, scherzt die Justiziarin und holt für ihre Antwort weiter aus:
Für die 5- und 7-Punkt-Fixierung gibt das Bundesverfassungsgericht vor, dass es einer vorherigen richterlichen Entscheidung bedarf.
Nicht gebraucht wird diese Genehmigung, wenn einschätzbar ist, dass die Maßnahme kurzfristig ist und weniger als eine halbe Stunde andauert. Im Eilfall akuter Selbst- oder Fremdgefährdung kann unverzüglich nachträglich eine gerichtliche Entscheidung eingeholt werden. Ist klar abschätzbar, dass die Maßnahme über eine halbe Stunde dauert und ist aber auch eindeutig absehbar, dass die Entscheidung des Gerichts erst nach Beendigung der Fixierung erfolgen würde, kann von dem Einholen einer Genehmigung abgesehen werden.
Liegt noch keine gerichtliche Entscheidung vor, die Maßnahme ist aber beendet, sei es wichtig, das Gericht zu informieren und den Antrag zurückzunehmen, betont Wirkner-Schießl. Der Prozess sei nicht darauf ausgelegt, jegliche 5- und 7-Punkt-Fixierung, die die Dauer von 30 Minuten entgegen der Erwartung nicht überschreitet, im Nachhinein vom Gericht überprüfen zu lassen.
Dies sei dann Aufgabe der behandelten Person. Darauf müsse die Person schriftlich hingewiesen werden und der Hinweis in der Krankenakte dokumentiert werden. Die Justiziarin empfiehlt für die Dokumentation ein Vorlageblatt in PDF-Form zum Ausfüllen, das dem Patienten oder der Patientin mitgegeben werden kann.
Dieser Artikel ist im Original am 15. Februar 2023 erschienen auf Coliquio.de .
Credits:
Lead image: Dreamstime.com
Medscape © 2023 WebMD, LLC
Die dargestellte Meinung entspricht der des Autors und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten von WebMD oder Medscape wider.
Diesen Artikel so zitieren: Fixierung von Patienten: Worauf müssen Ärzte achten? Juristin gibt Tipps zu Zulässigkeit, Genehmigung und Durchführung - Medscape - 10. Mai 2023.
Kommentar