In den USA könnten schon bald blutbasierte Biomarkertests für das Kolorektalkarzinom (KRK) zugelassen werden, was den Menschen eine weitere und bequemere Möglichkeit der Früherkennung bieten würde.
Vor kurzem gab die Firma Guardant Health bekannt, dass der US-Zulassungsantrag für seinen Bluttest Shield™ zur Darmkrebsfrüherkennung abgeschlossen sei. Die Zulassung durch die US-Behörde Food and Drug Administration (FDA) würde es dem Unternehmen ermöglichen, die Kostenübernahme für den Test durch den öffentlichen Versicherer Medicare zu erhalten.
Konkurrierende Unternehmen wie CellMax Life, Freenome und Exact Sciences (bietet bereits das auf Stuhlproben basierende Produkt Cologuard® an), verfolgen ähnliche Wege bei der Entwicklung von Bluttests für das Kolorektalkarzinom. Wenn diese Unternehmen erfolgreich sind, könnten Ärzte und Patienten in einigen Jahren in den USA zwischen mehreren von der FDA zugelassenen Tests wählen.
„Sie sind auf dem Vormarsch und werden sich zunehmend durchsetzen“, sagt Dr. David A. Johnson, Leiter der Gastroenterologie an der Eastern Virginia Medical School in Norfolk. Bluttests für Darmkrebs könnten die Früherkennung beim Darmkrebs revolutionieren.
Das Koloskopie-Screening könnte dann in den kommenden Jahren weitgehend durch hochempfindliche nicht invasive Tests ersetzt werden, wenn sich die Bluttests wie erwartet bewähren, schreibt Dr. John M. Carethers, Präsident der American Gastroenterological Association (AGA), in einer E-Mail an Medscape.
Der „heilige Gral“?
„Ein Bluttest zur Krebsfrüherkennung – das ist so etwas wie der ‚heilige Gral‘ der Krebsvorsorge, seitdem in den 1960er-Jahren behauptet wurde, dass ein Bluttest auf das karzinoembryonale Antigen (CEA) eine fast 100%ige Sensitivität und Spezifität für das Kolonkarzinom aufweise – was sich jedoch als falsch herausstellte“, schrieb Dr. David F. Ransohoff, Gastroenterologe an der Universität von North Carolina (USA), in einem Artikel 2021. Ransohoff beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der nicht-invasiven Darmkrebsvorsorge.
Die Idee solcher Tests zum Screening auf gleich mehrere Krebserkrankungen (MCD) ist ein sehr verlockendes Ziel. Diese „Technologie besitzt das Potenzial, einen asymptomatischen Krebs an verschiedenen Stellen des Organs mithilfe eines einfachen Bluttests zu erkennen, was oft als ‚Flüssigbiopsie‘ bezeichnet wird“, erklärte das National Cancer Institute (NCI) vor Kurzem.
Mehrere Firmen bieten MCD-Tests an, von denen einige auch KRK-Komponenten enthalten. Zu den bekanntesten multiplen Tests, die aktuell auf dem Markt sind, gehört der Galleri®-Test der Firma Grail. Derzeit wird jedoch empfohlen, diesen 50 Krebsarten umfassenden Test nur zusätzlich zu den empfohlenen Darmkrebs-Früherkennungstests wie einer Koloskopie durchzuführen, heißt es auf der Website des Unternehmens.
Guardant Health betont auch, dass ihr KRK-spezifischer Bluttest Früherkennungsmaßnahmen wie die Darmspiegelung nur ergänzen und nicht ersetzen solle.
Potenzial der Bluttests
Die Aussicht, die Koloskopie als Standardverfahren der Darmkrebsfrüherkennung nach und nach abzuschaffen, möge verlockend klingen, würde aber auch einen großen Umbruch in einem Bereich bedeuten, in dem bislang die Koloskopie dominiere. Einem Bericht der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) zufolge folgten in den USA im Jahr 2018 67% der Erwachsenen im Alter von 50 bis 75 Jahren den Empfehlungen der US Preventive Services Task Force (USPSTF) für eine Darmkrebsvorsorge, und insgesamt 60,6% hatten sich in den vergangenen 10 Jahren einer Darmspiegelung unterzogen.
Dennoch haben das NCI und die FDA signalisiert, welches Potenzial sie in multiplen Krebstests sehen. Das NCI hat seine Pläne zur Förderung der Entwicklung derartiger Untersuchungen in seinem Budgetantrag für das Haushaltsjahr 2024 hervorgehoben. Das Institut bereitet eine 4-jährige Pilotstudie für solche Tests vor, an der 24.000 Personen zwischen 45 und 70 Jahren teilnehmen sollen. Die Studie soll als Grundlage für eine randomisierte kontrollierte Studie mit 225.000 Personen dienen.
Die FDA hat ihr Interesse bekundet, Unternehmen bei der Markteinführung von Krebs-Bluttests zu unterstützen, indem sie ihnen den Status eines „Breakthrough Device“ zuerkennen will. Eine solche Einstufung beschleunigt vor allem für Schwerstkranke den Zugang zu neuartigen Medizinprodukten. Dieser Schritt gilt als Zeichen dafür, dass die FDA einem Produkt eine hohe Priorität einräumt, indem sie versucht, das Antrags- und Prüfungsverfahren zu straffen.
CellMax Life scheint der einzige KRK-spezifische Screening-Bluttest zu sein, der von der FDA einen solchen Status erhalten hat, so Dr. Atul Sharan, Mitbegründer und Chief Executive Officer von CellMax Life, in einer E-Mail an Medscape.
Dr. Lance Baldo, medizinischer Leiter von Freenome, erklärt gegenüber Medscape, dass die FDA möglicherweise Teile des Antrags im nächsten Jahr prüfen werde, so dass ein Bluttest für asymptomatische Personen mit durchschnittlichem Darmkrebsrisiko dann 2025 auf den Markt kommen könnte.
Erfolgsbilanz nicht makellos
Sorgen um eine mögliche Abschaffung des koloskopischen Screenings sind jedoch noch nicht angesagt. In der Vergangenheit haben Bluttests auf Darmkrebs eher enttäuscht.
So erhielt etwa das deutsche Unternehmen Epigenomics 2016 die erste FDA-Zulassung für den Darmkrebs-Bluttest Epi proColon®. Das Unternehmen wartete jedoch vergeblich auf eine Kostenübernahme für den Test durch Medicare. In einer Mitteilung aus dem Jahr 2021, in der die Entscheidung erläutert wird, stellen die Centers for Medicare & Medicaid Services (CMS) fest, dass Epi proColon® angesichts zuverlässigerer Alternativen wie etwa von Stuhlprobentests für manche Patienten einen Schaden bedeuten würde.
Eine ähnliche Einschätzung der CMS betraf den Bluttest der Firma Grail, der einen Listenpreis von 949 US-$ hat, obwohl das Unternehmen Erstattungsvereinbarungen mit mehreren selbstversicherten Arbeitgebern und Versicherern, wie Point32Health, getroffen hatte.
Bei den CMS hat man gleichwohl das große Interesse an derartigen Bluttests erkannt. In dem Memo von 2021 legte die Behörde auch ihre Anforderungen für die Kostenübernahme durch Medicare dar. Die CMS erklärten, dass es blutbasierte Früherkennungstests für bestimmte Patienten erstatten wolle, wenn die Produkte die folgenden Standards erfüllten:
FDA-Zulassung zur Darmkrebs-Früherkennung,
nachgewiesene Testeigenschaften für einen blutbasierten Früherkennungstest mit einer Sensitivität von ≥ 74% und einer Spezifität von ≥ 90% für die Erkennung von Darmkrebs im Vergleich zum anerkannten Standard (derzeit die Koloskopie) als Mindestschwellenwerte, basierend auf den in der FDA-Beschreibung enthaltenen Zulassungsstudien.
Im Februar 2023 präsentierte CellLife Max auf dem ASCO Gastrointestinal Cancers Symposium Daten, die zeigen, dass der Bluttest ein Kolonkarzinom mit einer Sensitivität von 92,1% und fortgeschrittene Adenome mit 54,5% bei einer Spezifität von 91% erkennt.
Zuvor hatte Guardant im Dezember 2022 eine Pressemitteilung mit Studienergebnissen veröffentlicht, die den CMS-Anforderungen entsprachen. Der Test erkannte Kolorektalkarzinome mit einer Sensitivität von 83%. Die Spezifität lag nach Angaben der Firma bei 90%, was einer Falsch-positiv-Rate von nur 10% entspricht.
Obwohl diese Ergebnisse vielversprechend erscheinen, sagt Dr. Asad Umar, Onkologe der Abteilung für Krebsprävention am NCI, dass Ärzte zurückhaltend bei Ratschlägen oder Fragen zu multiplen onkologischen Tests sein sollten, da es nur wenige Daten aus prospektiven Studien zu den Einflüssen auf das Outcome gebe.
Selbst unter den Ärzten, die bereits derartige Tests zum Screening eingesetzt haben, gibt es viele Bedenken wegen falsch-positiver Ergebnisse, die eine diagnostische Abklärung erfordern, und falsch-negativer Ergebnisse, die ein trügerisches Gefühl der Sicherheit vermitteln, so Umar.
„Screening ist ein Prozess, nicht nur ein Test. Der Prozess beinhaltet Folgeuntersuchungen für alle positiven Testergebnisse“, sagt Umar. „Zum jetzigen Zeitpunkt sollten Ärzte die Betroffenen darüber informieren, dass es bisher nicht genügend Daten gebe, um zuverlässig sagen zu können, wie diese Tests am besten eingesetzt werden.“
Hürden für eine breite Akzeptanz
Für Unternehmen, die in den USA einen Bluttest auf das Kolonkarzinom auf den Markt bringen wollen, sind 2 der 3 wichtigsten Schritte die Zulassung durch die FDA und die Kostenübernahme durch Medicare. Der letzte Schritt wäre eine A- oder B-Empfehlung der United States Preventive Services Taskforce (USPSTF), die eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen vorschreiben würde. „Das ist die große Dreierkombination“, sagt Baldo.
In den aktuell geltenden Empfehlungen der USPSTF zur Darmkrebsfrüherkennung von 2021 wird die Früherkennung für Erwachsene zwischen 50 und 75 Jahren mit A und zwischen 45 und 49 Jahren mit B bewertet. Zu den von der USPSTF empfohlenen Früherkennungsmethoden gehören die Koloskopie sowie hochsensitive Guajak-Tests und immunchemische Tests auf okkultes Blut im Stuhl. Es sind jedoch weitere Untersuchungen erforderlich, um die Genauigkeit und Wirksamkeit neuer Screening-Technologien wie Blut- oder Serumtests zu bestimmen.
Sollten KRK-Bluttests schließlich von der FDA zugelassen werden, wird die USPSTF wahrscheinlich Leitlinien zur Verfügung stellen, wie diese als Screening-Option genutzt werden können.
Ransohoff weist darauf hin, dass sich der Auftrag der USPSTF von dem der FDA und der CMS unterscheide. Die Herangehensweise der FDA ebenso wie der CMS an medizinische Tests sei es, die allgemeine Sicherheit und Wirksamkeit zu berücksichtigen, aber keine der beiden Behörden spreche Empfehlungen aus oder führe eine eigene strenge quantitative Risiko-Nutzen-Bewertung durch. Im Gegensatz dazu bewerte die USPSTF selbst detailliert und evidenzbasiert den Nutzen und mögliche Schädigungen von Produkten so Ransohoff.
„Für mich ist die USPSTF der Goldstandard“, sagt Ransohoff. „Man muss sich mit der FDA und den CMS auseinandersetzen, um Ansprüche geltend zu machen, die Nutzung überhaupt zu ermöglichen und die Kostenübernahme zu regeln. Aber die Task Force untersucht die Möglichkeiten und Konsequenzen quantitativ und liefert konkrete Empfehlungen für die Praxis.“
Was die Zukunft bringen könnte
Für Carethers werden in der Zukunft hochsensitive Bluttests das koloskopische Screening weitgehend ersetzen könnten. Seiner Meinung nach wird die Darmspiegelung dann nur noch bei Personen durchgeführt, die eine Diagnose und Therapie am dringendsten benötigen. So äußerte er sich in einem AGA-Podcast im Januar 2023 zu diesen Themen.
In 20 bis 25 Jahren könne die Koloskopie nur noch ein therapeutisches Verfahren sein, ähnlich der heutigen ERCP (endoskopische retrograde Cholangiopankreatikografie).
Selbst wenn sich KRK-spezifische Bluttests als wirksame Screening-Instrumente erwiesen, würde die Koloskopie überleben, betonte hingegen Ransohoff. Viele Menschen werden sich nach einem positiven Bluttest einer Darmspiegelung als diagnostischem Verfahren unterziehen müssen, und einige werden sich vielleicht auch für das Koloskopie-Screening entscheiden, statt sich häufig Blut abnehmen zu lassen.
Insgesamt müssen Ärzte und Patienten abwägen, ob ein nicht-invasiver Test, der nur die Diagnose von Darmkrebs ermöglicht, oder ein Koloskopie-Screening, das gleichzeitig auch eine präventive Behandlung ermöglicht, sinnvoller ist.
„Das oberste Ziel der Früherkennung ist die Verhinderung von Krebs, nicht seine Entdeckung“, sagt Johnson abschließend.
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Medscape Nachrichten © 2023
Diesen Artikel so zitieren: Kolorektalkarzinom-Diagnose durch Bluttests: Naht das Ende des Koloskopie-Screenings? - Medscape - 9. Mai 2023.
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