TikTok und Co besser als ihr Ruf? Bei Essstörungen können sie für Jugendliche wertvolle Informationsquelle sein, bestätigt Studie

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

8. Mai 2023

Essstörungen wie Anorexia nervosa sind komplexe psychopathologische Erkrankungen mit der höchsten Mortalität unter allen psychischen Störungen – und besonders unter Jugendlichen verbreitet. Gleichzeitig konsumieren viele Jugendliche soziale Medien wie TikTok und informieren sich dort mittels kurzen Videos zu Themen, die sie bewegen, also auch solche zu Essstörungen.

Eine US-Studie untersuchte jetzt 200 TikTok-Videos zu Essstörungen mit 4 Hauptthemen:

  • Befürwortung von Einstieg in und Aufrechterhaltung von Essstörungen,

  • Darstellung körperlicher und seelischer Erfahrungen mit Essstörungen,

  • Darstellung möglicher Ausstiegsmethoden und

  • soziale Unterstützung von Personen mit Essstörungen.

Das eine zentrale Ergebnis der Gruppe um Valerie Lockingbill, School of Information Sciences der University of South Carolina, USA, war: Die Informationen in Videos, die Essstörungen vom Anorexia-Typ als negativ definierten, waren signifikant seriöser als die Informationen in Videos, die diese als positiv propagierten (p°<°0,001).

Das andere Ergebnis war allerdings, dass die Nutzer die seriöseren Informationen nicht anders nutzten als die irreführenden: Bei der Verfolgung von Klicks, Likes, Shares und Kommentaren fanden die Forscher keinerlei signifikanten Unterschiede. Die meisten Nutzer konnten die seriösen Informationen demnach nicht von den irreführenden Informationen unterscheiden.

Die Autoren veröffentlichten ihre Ergebnisse im Journal of the American Medical Association Network Open  [1] .

Je negativer die Essstörungen beurteilt werden, desto seriöser die Infos

Die Seriösität von Aussagen in den 200 TikTok-Videos wurde von den Autoren analog zu ähnlichen Studien, aber auch im Abgleich mit seriösen medizinisch-informativen Quellen beurteilt – wie der offiziellen Internetseite der Mayo-Clinic, Medline Plus und National Institute of Mental Health.

Seriöse Aussagen definierten Essstörungen als Gesundheitsgefährdung und gaben Informationen zu Folgen von Essstörungen für die Gesundheit und zu Wegen, Essstörungen zukünftig zu vermeiden.

Irreführende Aussagen propagierten Essstörungen dagegen als Mode, Schönheitsideal und Lifestyle und gaben Informationen zum Einstieg und zu ihrer Aufrechterhaltung oder aber fehlerhafte Informationen, auch wenn sie sich mit der Vermeidung von Essstörungen befassten.

4 Themengruppen von Videos

Thematisch lassen sich die Videos 4 Gruppen zuordnen:

Die 1. Themengruppe einer Befürwortung von Einstieg in und Aufrechterhaltung von Essstörungen enthielt Videos mit Empfehlungen, was und wie viel man pro Tag essen und/oder welche körperlichen Übungen man machen sollte, um ein möglichst geringes Körpergewicht zu erreichen bzw. zu halten. Dabei wurden häufig auch sprachlich eindringliches Vokabular benutzt, um ein normales Körpergewicht negativ darzustellen.

In der 2. Themengruppe, Darstellungen körperlicher und seelischer Erfahrungen mit Essstörungen, wurden Videos kategorisiert, in denen Urheber ihre Erfahrungen mit negativen körperlichen und seelischen Folgen der Essstörungen schildern und romantisierend-positive Erfahrungen relativieren.

Die 3. Themengruppe, in der mögliche Ausstiegsmethoden zusammengefasst wurden, enthielt sowohl persönliche positive Erfahrungen der Urheber als auch Schwierigkeiten beim Überwinden von Essstörungen. Manche Videos zeigten einzelne Schritte auf diesem Weg, etwa das Zelebrieren von Mahlzeiten.

Die 4. Themengruppe, soziale Unterstützung, bestand aus Videos, in denen sich die Nutzer über ihre Essstörungs-Probleme austauschen und ihre Erfahrungen mit ihren Ausstiegsbemühungen mit anderen Betroffenen teilen wollen.

Medizinisch seriöse TikTok-Videos könnten Jugendliche erreichen

In der Diskussion gehen die Autoren auf mehrere Ergebnisse der Studie ein: zunächst, dass die Themen von negativen Sichtweisen auf Essstörungen und die Anleitungen zu deren Überwindung zahlenmäßig fast doppelt so häufig auf TikTok vertreten sind wie Pro-Essstörungs-Themen. Dieses entspricht nicht den verbreiteten Vorurteilen gegenüber den sozialen Medien – wohl aber ähnlichen Studien, die zuvor zum gleichen Thema auch bei anderen sozialen Medien (YouTube, Tumblr und Reddit) durchgeführt wurden, erklären die Autoren.

Das Ergebnis, dass die Videos, die sich mit der Überwindung von Essstörungen befassen, seriösere Informationen bieten als diejenigen, die Essstörungen positiv propagieren, interpretieren die Forscher als Chance, über TikTok auch seriöse Inhalte vermitteln zu können.

Und das Ergebnis, dass sich die Reaktion von Nutzern auf seriöse nicht von denen auf irreführende Informationen unterscheidet, sehen sie ebenfalls eher positiv in dem Sinn, dass seriöse Informationen nicht weniger angenommen werden als irreführende.

Kürzlich habe TikTok seine Algorithmen dahingehend verändert, berichten die Forscher weiter, dass sich häufig wiederholendes Feedback der Nutzer auf negative Themen gelöscht werde. Damit wirke TikTok der Tendenz entgegen, dass Urheber mit vielen Followern (Influencer) in sozialen Medien einen großen Einfluss als Meinungsmacher haben.

Als Fazit appellieren die Autoren an gesundheitsfördernde Personen, Gruppen und Institutionen, soziale Medien wie TikTok in ihre Kommunikation zu Jugendlichen vermehrt einzubeziehen, um seriöse Empfehlungen zu Themen wie Essstörungen direkt in dieser Zielgruppe zu platzieren.

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