Nach einem adipositas-chirurgischen Eingriff im Jahr 2014 hatte Kristal Hartman immer noch Schwierigkeiten, ihr Gewicht langfristig unter Kontrolle zu halten. Es dauerte über ein Jahr, bis sie 50 kg abgenommen hatte. Zunächst konnte sie ihren Gewichtsrückgang halten, doch dann stieg ihr BMI allmählich wieder an.
„Der Körper hat eine Art Sollwert, und man muss ihn immer wieder austricksen, damit er nicht wieder an Gewicht zunimmt“, sagte Hartman, die im nationalen Vorstand der Obesity Action Coalition sitzt, gegenüber Medscape.
Daher begann sie 2,5 Jahre nach ihrer Operation mit wöchentlichen s.c.-Injektionen des Glucagon-like Peptide-1(GLP-1)-Agonisten Semaglutid, einem Medikament, das aufgrund seiner Beliebtheit bei Prominenten und Influencern in den sozialen Medien fast schon berüchtigt ist.
Die Arzneimittel Ozempic gegen Typ-2-Diabetes und Wegovy gegen Fettleibigkeit enthalten beide Semaglutid, allerdings in leicht unterschiedlicher Dosierung. Wegovy wurde zwar Anfang 2022 von der EU-Kommission zugelassen, doch ist es in Deutschland noch nicht erhältlich und der Hersteller kann aktuell auch keine Aussage über den Zeitpunkt der Markteinführung machen.
Die Popularität von Semaglutid hat indes zu Lieferengpässen für Menschen mit Typ-2-Diabetes oder Adipositas geführt. Andere Medikamente, die auf GLP-1 und andere appetitregulierende Hormone einwirken, stehen ebenfalls in den Startlöchern, wie etwa der duale GIP/GLP-1-Rezeptor-Agonist (sog. „Twinkretin“) Tirzepatid, der auch wöchentlich per injectionem verabreicht wird. Im vergangenen Mai wurde der Wirkstoff von der Food and Drug Administration (FDA) in den USA zur Behandlung des Typ-2-Diabetes zugelassen, während die Zulassung für Adipositas noch aussteht. In der EU ist es ausschließlich zur Typ-2-Diabetes-Therapie zugelassen und in Deutschland aktuell noch gar nicht erhältlich.
Hartman berichtet, dass die Einnahme von Semaglutid ihr nicht nur dabei geholfen hat, Gewicht zu verlieren, sondern auch „ihre zwanghaften Gedanken über das Essen einzudämmen“. Um ihren BMI in einem gesunden Bereich zu halten, setzt Hartman neben der Einnahme des GLP-1-Agonisten auch auf andere Strategien wie Sport und psychologische Unterstützung.
An langfristige Anwendung denken
„Ärztinnen und Ärzte sollten diesen Substanzen gegenüber wirklich offenbleiben, denn sie gehören zu den zahlreichen Instrumenten im Kampf gegen die Adipositas. Wie bei jeder anderen chronischen Krankheit müsse man auch bei diesen Medikamenten an eine langfristige Anwendung denken, und nicht daran, 3 oder 5 kg abzunehmen. Dafür sind diese Wirkstoffe nicht gedacht. Sie richten sich an Personen, die jeden Tag ihres Lebens mit der chronischen Adipositas klarkommen müssen“, betont sie.
„Im Durchschnitt verlieren Menschen nach einem adipositaschirurgischen Eingriff 25 bis 40% ihres Gesamtgewichts“, sagt Dr. Teresa LaMasters, Präsidentin der American Society for Metabolic and Bariatric Surgery. Allerdings gebe es nach der Operation in der Regel eine „kleine“ Gewichtszunahme.
„Bei den meisten Personen sind es nur 3 bis 6 kg, aber bei einigen kann es doch deutlich mehr sein“, sagte LaMasters, die auch Adipositaschirurgin an der UnityPoint Clinic in Des Moines, Iowa, ist
„Wir sehen immer noch einige Menschen, etwa 10 bis 30%, die eine signifikante Gewichtszunahme aufweisen, und dann schauen wir uns das genauer an. In diesen Fällen ist die Krankheit Adipositas definitiv noch vorhanden“, fügte sie hinzu.
Medikamente können postoperativer Gewichtszunahme entgegenwirken
Wenn eine an Adipositas erkrankte Person nach einem entsprechenden Eingriff das Gewichtsziel nicht erreicht, ist es laut LaMasters sinnvoll, zusätzlich ein Medikament gegen Übergewicht einzunehmen. Die neueren GLP-1-Agonisten können bei manchen Erkrankten zu einem Gewichtsverlust von etwa 15% führen.
„Die GLP-1-Agonisten haben sich als sehr hilfreich erwiesen, wenn nach einer Adipositas-Operation wieder an Gewicht zugelegt wird, oder auch, wenn bei einer extremen Adipositas das anfängliche Ansprechen auf die Operation optimiert werden soll“, erklärte sie.
Sie wies jedoch darauf hin, dass bestimmte Personen keine GLP-1-Agonisten erhalten sollten, wie etwa Menschen mit einem Schilddrüsenkarzinom oder einer Pankreatitis in der Vorgeschichte.
Dr. Caroline M. Apovian, Co-Direktorin des Center for Weight Management and Wellness und Professorin an der Harvard Medical School in Boston, erklärte gegenüber Medscape, dass die Physiologien, die einerseits der Adipositaschirurgie und andererseits den neueren Antiadiposita zugrunde liegen, bis zu einem gewissen Grad übereinstimmen.
„Um das Körpergewicht dauerhaft zu senken, muss man sich anpassen. Wir haben gelernt, dass man Appetit-Hormone wie GLP-1 anpassen muss, und das ist der Grund, warum die Adipositaschirurgie funktioniert. Sie bietet die dauerhafteste und effektivste Therapie der Fettleibigkeit, weil die Sekretion und das Timing vieler Hormone, die das Körpergewicht regulieren, während der Operation angepasst werden“, erklärt sie.
Wenn Menschen GLP-1-Agonisten zur Behandlung von Fettleibigkeit mit oder ohne Operation einnehmen, sind diese Medikamente „für eine unbegrenzte Dauer gedacht und von der FDA zugelassen und nicht zum kurzzeitigen Gebrauch vorgesehen“, sagt Apovian.
Dr. Benjamin O'Donnell, Professor am Wexner Medical Center der Ohio State University in Columbus, stimmte zu, dass die neueren Antiadiposita sehr wirksam sein können, äußerte aber Bedenken, ob sie über Jahre hinweg verschrieben werden sollten.
„Wenn jemand adipös ist, benötigt er Medikamente, die ihm helfen, den Appetit zu zügeln und ein niedrigeres, gesünderes Gewicht zu halten. Es ist scheint dann nur logisch, dieses Medikament auch weiter einzunehmen“, sagt er.
„Es fällt mir aber auch schwer zu sagen, dass jemand dieses Medikament für den Rest seines Lebens nehmen sollte. Ein Grund für mein Zögern ist, dass die Medikamente teuer sind und es schwierig ist, die Leute bei der Stange zu halten, vor allem wegen der Änderungen bei den Versicherungsbedingungen“, fügte er einschränkend hinzu.
Gründe für das Absetzen: Nebenwirkungen und mangelnder Versicherungsschutz
Viele Menschen in den USA müssen genau aus diesem Grund die neueren Medikamente absetzen. Als der Versicherungsschutz von Kristal Hartman auslief, musste sie eine Zeit lang ohne Semaglutid auskommen.
„In dieser Zeit habe ich wieder richtig zugenommen und bin wieder in einen anormalen BMI-Bereich gerutscht“, sagte Hartman. Als sie das Medikament wieder nehmen konnte, ging das Gewicht erneut zurück und ihr BMI kehrte wieder auf Normalwerte zurück.
Diese Medikamente kosten in den USA aktuell monatlich rund 1400 Dollar, es sei denn, die Patienten können auf Initiativen wie Firmengutscheine zurückgreifen. Einige Versicherer wie auch die staatlich geförderten Programme Medicare und Medicaid übernehmen die Kosten für die neuen Medikamente nicht.
O'Donnell meint dazu: „Ein besserer Zugang für mehr Menschen würde insgesamt helfen.“
Andere Personen setzen GLP-1-Agonisten wegen der Nebenwirkungen, wie etwa Übelkeit, ab.
„Gastrointestinale Beschwerden sind der häufigste Grund für das Absetzen dieser Medikamente“, sagt Dr. Disha Narang, Endokrinologin und Spezialistin für Adipositas am Northwestern Medicine Lake Forest Hospital in Illinois. „Es handelt sich um eine optionale Therapie, die Einnahme ist also nicht obligatorisch. Wenn sie sich nicht wohl fühlen oder krank sind, ist das ein guter Grund, das Medikament abzusetzen.“
Dr. Dan Bessesen, Leiter der Endokrinologie an der University of Colorado Anschutz Medical Campus in Denver, stimmt ihr zu. „Es ist unwahrscheinlich, dass Menschen diese Medikamente weiter einnehmen, wenn ihnen übel ist oder sie sich übergeben müssen.“ Dem könne man aber entgegenwirken, indem man mit einer sehr niedrigen Dosis beginne und diese langsam steigere. Ein solches Vorgehen erfordere eine gute Abstimmung zwischen Patient und Ärztin.
Dr. Goutham Rao, Professor an der Case Western Reserve University School of Medicine in Cleveland, Ohio, und Leiter der Gewichtsreduktions-Initiative „Fitter Me“ an den Unikliniken, sagte, dass er vor der Verschreibung von GLP-1-Agonisten zur Gewichtsreduktion 4 grundlegende und nicht verhandelbare Ziele für die Patienten festlege: „Innerhalb von 30 Minuten nach dem Aufstehen frühstücken, nur Wasser trinken, nach 19.00 Uhr nichts essen oder trinken, außer Wasser, und 30 Minuten kontinuierliche Bewegung pro Tag, was bei älteren Personen in der Regel Gehen bedeutet.“
Dies könne helfen, gute Gewohnheiten zu etablieren, denn „wenn die Patienten nicht innerlich an der Gewichtsabnahme beteiligt sind, erwarten sie, dass die Medikamente die ganze Arbeit machen“.
Nach dem Absetzen meist Gewichtszunahme
Wie die Geschichte von Kristal Hartman zeigt, führt das Absetzen der Medikamente häufig zu einer neuerlichen Gewichtszunahme.
„Ohne die Medikamente passieren wieder einige Dinge. Der Appetit wird eher zunehmen, sodass mit der Zeit auch tendenziell wieder mehr gegessen wird“, sagt Bessesen.
„Es kann zwar eine Weile dauern, bis das Gewicht wieder ansteigt, aber in jeder Studie zu Antiadiposita stieg das Gewicht allein durch die Lebensweise wieder an, wenn ein solcher Wirkstoff abgesetzt wurde“, fügt er hinzu.
In der STEP-1-Studie wurden fast 2.000 übergewichtige oder adipöse Personen im Verhältnis 2:1 randomisiert und erhielten entweder Semaglutid, das bis zur 16. Woche auf 2,4 mg wöchentlich hochdosiert wurde, oder ein Placebo. Nach 68 Wochen verzeichnete die Semaglutid-Gruppe einen durchschnittlichen Gewichtsverlust von 14,9% im Vergleich zur Placebo-Gruppe mit 2,4%.
Die Gruppen wurden bei einer Verlängerung der Studie ein weiteres Jahr verfolgt. Die Ergebnisse wurden im vergangenen Jahr in Diabetes, Obesity, and Metabolism veröffentlicht.
Innerhalb eines Jahres nach Therapieende hatten die Teilnehmenden wieder 2 Drittel des ursprünglich verlorenen Gewichts zugelegt.
Bessesen betonte daher, dass die meisten Ärzte den Umgang mit Fettleibigkeit völlig neu überdenken müssten.
„Ich glaube, dass die medikamentöse Behandlung von Adipositas in Zukunft wie die Behandlung einer Hypertonie und eines Diabetes in die Hände von Hausärzten gelegt werden sollte, die so etwas zumeist gut beherrschen. Ich würde sie ermutigen, mehr über die Behandlung von Adipositas zu lernen, mehr über Vorurteile und Stigmatisierung zu erfahren und darüber nachzudenken, wie eine mitfühlende und kompetente Behandlung aussehen könnte“, schloss er.
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus https://www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Medscape Nachrichten © 2023
Diesen Artikel so zitieren: Dauerhaft abnehmen: Medikamente wie Semaglutid sollten langfristig eingenommen werden – aber was heißt das eigentlich genau? - Medscape - 8. Mai 2023.
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