Chronische Schmerzen an multiplen Körperregionen sind mit einem erhöhten Risiko assoziiert, eine Demenz zu entwickeln. Diese gehen auch mit einem beschleunigten kognitiven Verfall einher sowie einer Abnahme des Hippocampus-Volumen – im Vergleich zu schmerzfreien Patienten oder Patienten mit nur einer chronischen Schmerzstelle. Das Risiko für eine Demenz und der Abbau der Gehirnstrukturen des Hippocampus war umso stärker, je mehr Körperregionen von chronischen Schmerzen betroffen waren.
Die Ergebnisse des Teams um Erstautor Wenhui Zhao des Institute of Psychology, Chinese Academy of Sciences, und des Department of Psychology, University of Chinese Academy of Sciences, Beijing, China, wurden in Proceedings of the National Academy of Science veröffentlicht [1] ].
Die Autoren untersuchten in der Studie einen Zusammenhang zwischen chronischen Schmerzen an multiplen Körperregionen (multisite chronic pain: MCP) und dem Risiko für eine Demenz. Dafür analysierten sie im 1. Schritt Längsschnittdaten aus der UK-Biobank von über 350.000 Teilnehmenden und unterteilten diese in die Gruppen schmerzfrei, chronische Schmerzen an einer Körperstelle und chronische Schmerzen an mehr als einer Körperstelle.
Die Studienautoren fanden heraus, dass nach einem mittleren Follow-up von 11,8 Jahren das Risiko für eine Demenz bei Patienten mit einer chronischen Schmerzstelle 1,15-fach und bei Patienten mit MCP 1,36-fach höher war – im Vergleich zur schmerzfreien Kontrollgruppe. Bei MCP-Patienten gegenüber den Patienten mit nur einer chronischen Schmerzstelle war das Risiko für eine Demenz um das 1,30-Fache erhöht.
MCP ist assoziiert mit kognitiven Einschränkungen und Hippocampus-Atrophie
Im 2. Schritt analysierten die Autoren die Daten einer Untergruppe von 26.000 Teilnehmenden im Alter von 45 bis 82 Jahren, von denen Magnetresonanztomografie (MRT)-Scans vorlagen, auf einen Zusammenhang zwischen MCP und der kognitiven Funktion sowie dem Hippocampus-Volumen.
Nach Anpassung in Bezug auf Alter und Geschlecht konnten sie bei über 19.000 Teilnehmenden, die wiederum aus den 3 Gruppen bestanden, feststellen, dass bei MCP-Patienten eine übermäßige Verschlechterung der Kognition und Gehirnstruktur vorlag. Bei Patienten mit MCP fanden die Autoren eine breitere und schnellere kognitive Beeinträchtigung sowie eine signifikante Atrophie des Hippocampus.
Mit steigender Anzahl an schmerzenden Körperregionen steigt auch das Demenzrisiko
Das Risiko, eine Demenz zu entwickeln, stieg proportional zu der Anzahl der schmerzenden Körperstellen und war nach Korrektur aller Kovariablen bei Patienten mit 5 Schmerzstellen um das 1,59-Fache erhöht – im Vergleich zu der schmerzfreien Kontrollgruppe. Damit sei „das Ausmaß dieses Effekts vergleichbar mit dem Demenzrisiko durch Herzinsuffizienz, posttraumatischer Belastungsstörung und Depression“, so die Autoren.
Die Teilnehmenden schnitten mit steigender Anzahl an MCP in verschiedenen Tests für die kognitive Performance ebenfalls schlechter ab, insbesondere in Tests zur fluiden Intelligenz, der Vervollständigung von Matrixmustern, des numerischen Gedächtnisses, des paarweisen assoziativen Lernens und der Ersetzung von Symbolen durch Ziffern.
Verlust des Hippocampus-Volumen entspricht einer Alterung um 8 Jahre
Die Autoren nutzten die Verfügbarkeit der großen MRT-Datenmenge, um den Effekt der MCP auf das Hippocampus-Volumen zu quantifizieren. Da das Volumen während eines normalen Alterungsprozesses abnimmt, verglichen die Forscher die Effekte der MCP auf die Hippocampus-Atrophie mit der Atrophie eines gesunden 60-jährigen schmerzfreien Teilnehmers.
Bei Patienten mit 5 Schmerzstellen zeigte sich ein Alterungseffekt des Hippocampus-Volumen von bis zu 8 Jahren. Dieser sei vergleichbar mit einer früheren Studie, in welcher der Gehirnvolumen-Verlust durch starken Alkoholkonsum eines 50-Jährigen einer Alterung um etwa 9 Jahre entsprach.
„Das stark reduzierte Hippocampus-Volumen spiegelt eine beschleunigte Hirnalterung wider und könnte die Ursache für eine Reihe von altersbedingten kognitiven Belastungen und für ein Demenzrisiko sein“, spekulieren die Autoren.
Hinweis auf biologische Zusammenhänge
„Wir fanden auch heraus, dass sich der Effekt des Volumenverlusts der grauen Substanz im Hippocampus mit der Anzahl der koexistierenden chronisch schmerzenden Stellen verschlimmerte.“ Dies entspreche dem Volumenverlust, der beim Demenzrisiko beobachtet wurde, weshalb die Autoren auf einen Zusammenhang spekulieren. Der ausgeprägte Effekt auf das Gehirnvolumen sei relativ spezifisch für die Hippocampus-Region und nicht Anzeichen einer allgemeinen Verschlechterung, diskutieren die Autoren weiter.
Sie schlussfolgern, dass kognitiver Abbau und Hippocampus-Atrophie biologisch interagieren und den erhöhten Demenzrisiken bei MCP zugrunde liegen könnten. Zusammenfassend schreiben sie, dass die „Ergebnisse zeigten, dass das Demenzrisiko bei MCP im Vergleich zu anderen chronischen Erkrankungen oder psychischen Störungen sehr hoch ist.“ Es sei notwendig, den kognitiven Abbau bei MCP-Patienten zu verhindern, z.B. indem die Anzahl der sich überschneidenden Schmerzzustände bei grundlegenden Untersuchungen und klinischen Entscheidungen berücksichtigt würden.
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Source: Dreamstime
Medscape Nachrichten © 2023
Diesen Artikel so zitieren: Schmerzen lassen Hirn schrumpfen: Risiko für Demenz erhöht sich mit der Anzahl chronisch schmerzender Körperstellen - Medscape - 5. Mai 2023.
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