Weiblicher Darmkrebs, männlicher Reflux? Mehr Geschlechtssensibilität lohnt sich in der Gastroenterologie – gerade für Männer

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

4. Mai 2023

Wiesbaden – Unterschiede zwischen den Geschlechtern spielen in der Medizin eine wichtige Rolle. Paradebeispiel ist der Herzinfarkt, der sich bei Frauen anders bemerkbar macht als bei Männern und deshalb häufig zu spät erkannt wird. Aber auch in der Gastroenterologie mache es einen Unterschied, ob man Refluxerkrankung, Ösophaguskarzinom oder Darmkrebs bei Mann oder Frau behandelt, wie Prof. Dr. Andrea Riphaus beim 129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin in Wiesbaden hervorhob [1].

Die Leitende Oberärztin der Inneren Medizin am St.-Elisabethen-Krankenhaus in Frankfurt/Main erläuterte, dass Geschlechtsunterschiede insbesondere bei der gastroösophagealen Refluxerkrankung (GERD) eine Rolle spielen: „Die Refluxerkrankung tritt bei Männern gehäuft auf. Funktionsdiagnostische Untersuchungen zeigen, dass sich bereits die Speiseröhre zwischen den Geschlechtern unterscheidet.“

 
Die Refluxerkrankung tritt bei Männern gehäuft auf. Funktionsdiagnostische Untersuchungen zeigen, dass sich bereits die Speiseröhre zwischen den Geschlechtern unterscheidet. Prof. Dr. Andrea Riphaus
 

Demnach ist der Ruhedruck des unteren Ösophagussphinkters bei Frauen höher als bei Männern. Sowohl die Zahl der Refluxepisoden als auch deren Länge liegen deutlich niedriger. „Möglicherweise führt schon das dazu, dass Frauen weniger Refluxsymptome haben“, sagte Riphaus.

Gastroösophagealer Reflux: Erosiv oder nicht?

Auch darauf, ob es sich um eine nicht-erosive (NERD) oder erosive Refluxerkrankung (ERD) handelt, hat das Geschlecht Einfluss. Die NERD ist die häufigste Manifestationsform, mehr als 50% der Refluxerkrankungen gehören in diese Gruppe. Sie tritt aber bei Frauen häufiger auf als bei Männern. Die ERD dagegen – gekennzeichnet durch endoskopisch sichtbare Läsionen – findet sich häufiger bei Männern.

Riphaus betonte, dass die endoskopische Diagnostik in diesen Fällen oft nicht ausreichend sei. „Ich würde dafür plädieren, bei solchen Patientinnen und Patienten häufiger einmal eine 24-Stunden-Manometrie oder 24-Stunden-pH-Metrie durchzuführen“, sagte sie.

Was die Schwere der Refluxsymptome bei GERD angeht, besteht eine Assoziation sowohl mit dem Alter als auch dem Geschlecht. Eine schwedische Studie zeigte: Während schwere Symptome bei Frauen mit zunehmendem Alter häufiger werden, werden sie bei Männern mit zunehmendem Alter seltener.

Die Ursache für diese unterschiedlichen Verläufe ist unbekannt. Hinsichtlich Risikofaktoren wie Gewicht, Alkohol- und Nikotinkonsum gab es keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen.

Männer haben häufiger einen Barrett-Ösophagus

„Möglicherweise haben Männer mit zunehmendem Alter häufiger einen symptomprotektiven Barrett-Ösophagus“, sagte Riphaus. „Dieser weist im Vergleich zum Plattenepithel eine höhere Säureresistenz auf. Aber auch die Geschlechtshormone könnten eine Rolle spielen.“

 
Möglicherweise haben Männer mit zunehmendem Alter häufiger einen symptomprotektiven Barrett-Ösophagus. Prof. Dr. Andrea Riphaus
 

Dass weibliche Geschlechtshormone möglicherweise einen protektiven Einfluss haben könnten, darauf weist die zeitliche Latenz hin, mit der der Barrett-Ösophagus bei Frauen auftritt: „Die Prävalenz ist bei beiden Geschlechtern mit dem Alter zunehmend“, so Riphaus, „aber mit einem Unterschied von 20 Jahren.“ Während das Risiko bei Männern schon ab dem 55. Lebensjahr zunehme, sei dies bei Frauen erst ab dem 75. Lebensjahr der Fall.

Ösophaguskarzinom: Östrogentherapie für Männer?

Auch das Ösophaguskarzinom tritt bei Männern deutlich häufiger auf als bei Frauen. Doch dieser Geschlechtsunterschied verringert sich mit zunehmendem Alter: Während das Ösophaguskarzinom im Alter von 50 bis 54 Jahren bei Männern 10-mal häufiger ist als bei Frauen, ist es im Alter von 80 bis 84 Jahren nur noch 4-mal häufiger.

„In Ösophaguskarzinomen sind vermehrt Östrogen- und Progesteronrezeptoren nachgewiesen worden“, sagte Riphaus. „Die Karzinogenese scheint durch den Metabolismus von Geschlechtshormonen beeinflusst zu sein.“

 
In Ösophaguskarzinomen sind vermehrt Östrogen- und Progesteronrezeptoren nachgewiesen worden. Die Karzinogenese scheint durch den Metabolismus von Geschlechtshormonen beeinflusst zu sein. Prof. Dr. Andrea Riphaus
 

Bei Östrogenrezeptoren unterscheidet man den α-Typ und den β-Typ. Es wurde gezeigt, dass bei Männern, die den Östrogenrezeptor α, nicht aber den Östrogenrezeptor β aufweisen, die postoperative Überlebensrate deutlich reduziert ist. „Und das sind 70% der Männer“, so Riphaus.

Aus diesen Erkenntnissen leite sich die Frage ab, ob man bei Männern eine Östrogentherapie zur Verbesserung der Prognose einsetzen sollte, ergänzte sie. Aber diese Frage könnten nur Studien beantworten, die es bis dato noch nicht gebe.

Kolorektales Karzinom: Männer erkranken früher als Frauen

Und auch vom kolorektalen Karzinom sind Männer häufiger und vor allem früher betroffen als Frauen. Riphaus begrüßte deshalb die Absenkung der Altersgrenze für die Vorsorgekoloskopie bei Männern um 5 Jahre.

Da auch im Gewebe des Kolons Östrogenrezeptoren exprimiert werden, wird vermutet, dass unterschiedliche Östrogenlevel an dem Risikounterschied zwischen Männern und Frauen beteiligt sein könnten. „Die im Kolon überwiegend vorhandenen β-Rezeptoren spielen eine wichtige Rolle für die normale Differenzierung der Darmschleimhaut“, sagte Riphaus. „Und bei Patientinnen und Patienten mit kolorektalen Neoplasien sind sie vermindert.“

Eine postmenopausale HRT kann schützen

Ein weiterer wichtiger Hinweis auf die Bedeutung der weiblichen Geschlechtshormone lieferte bereits 1999 eine Metaanalyse von 18 epidemiologischen Studien. Sie zeigte, dass eine postmenopausale Hormonersatztherapie (HRT) mit einem signifikant verringerten Risiko für kolorektale Karzinome assoziiert ist (Relatives Risiko [RR] 0,66).

Eine randomisiert-kontrollierte Studie der Women’s Health Initiative (WHI) von 2002 zeigte zwar, dass der protektive Effekt auf Östrogen-Gestagen-Kombinationen beschränkt ist. „Aber sie reduzierten das relative Risiko immerhin um 44%“, so Riphaus.

Auch was die Adipositas angeht, zeigten sich Geschlechtsunterschiede im Hinblick auf das kolorektale Karzinom: „Wir wissen, dass Adipositas ein Risikofaktor für das kolorektale Karzinom ist“, sagte Riphaus. Aber: Bei adipösen Männern besteht eine signifikante Korrelation mit dem fortgeschrittenen kolorektalen Karzinom, und sie haben häufiger ein Kolonkarzinom. Bei Frauen dagegen ist Adipositas mit Karzinomen im M0-Status assoziiert, und sie haben ein erhöhtes Risiko für Rektumkarzinome.

Nur die vollständige Koloskopie bringt Klarheit

Riphaus ergänzte, dass kolorektale Karzinome bei Frauen über 70 Jahren gehäuft im rechten Kolon aufträten, bei Männern dagegen gehäuft im distalen Kolon. „Eine vollständige Koloskopie bis zum Caecum ist deshalb unerlässlich“, betonte sie.

Aus dem Blickwinkel der Therapie haben Frauen postoperativ eine bessere Prognose. Männer profitieren dafür häufiger von einer adjuvanten Therapie. Riphaus vermutet, dass es bei Frauen mit 5-FU-basierten Therapien häufiger zu Toxizitäten kommt, derentwegen die Therapie abgebrochen wird. „Hier sollte eine Dosisanpassung vorgenommen werden, anstatt die Therapie komplett abzusetzen“, sagte sie.

In der palliativen Therapie des kolorektalen Karzinoms gebe es nur wenig geschlechtsspezifische Analysen. „Aber man weiß, dass Frauen mit rechtsseitigem Kolonkarzinom unter Anti-EGFR ein deutlich schlechteres Ansprechen haben als Männer mit linksseitigem Karzinom“, berichtete die Expertin.

Fanden Sie diesen Artikel interessant? Hier ist der Link zu unseren kostenlosen Newsletter-Angeboten – damit Sie keine Nachrichten aus der Medizin verpassen.

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....