Fall: Ein 37-jähriger, gesunder Mann fällt einige Zeit nach einem Zeckenstich ins Koma – wie hängt das zusammen? 

Dr. Laura Cabrera, Dr. Nina Mörsch

Interessenkonflikte

5. Juni 2023

Anfang Juli sucht ein zuvor gesunder 37-jähriger Mann in Kanada eine Klinik der Primärversorgung wegen folgender Symptome auf: Fieber, Halsschmerzen, verstopfte Nase und wandernde Gelenkschmerzen. Außerdem berichtet er von kreisförmigen Rötungen, die sich Ende Juni auf seinem Rücken und seiner Brust entwickelt haben. 

Seiner Vermutung nach seien es Kratzer, die er sich beim Pflücken von Himbeeren zugezogen habe, gewesen. Nach einer Woche waren die Läsionen verblasst. Von einem Zeckenstich wusste er nichts. Allerdings lebt er in einem Risikogebiet [1]

Körperliche und apparative Untersuchung

Der Arzt vermutet eine virale Infektion und schickt den Patienten wieder nach Hause. Tatsächlich verschwinden die Symptome spontan wieder.

Später im Juli allerdings stellt sich der Patient erneut einem Arzt vor, da er seit 3 Tagen unter Dyspnoe und Herzklopfen leidet. Hinzu kommen Brustschmerzen bei Anstrengung. Mit einer Herzfrequenz von 42 Schlägen pro Minute wird er in eine Klinik überwiesen. Der Mann hatte keine kardiale Vorgeschichte.

Die initiale Elektrokardiographie zeigt einen vollständigen AV-Block. Der Blutdruck des Patienten liegt 141/93 mm Hg, er ist fieberfrei und die Sauerstoffsättigung erweist sich als normal. Die körperliche Untersuchung auf kardiovaskuläre Veränderungen ist unauffällig. Auch finden die Ärzte weder Ausschläge noch Gelenkschwellungen.

Während der kontinuierlichen kardialen Überwachung zeigt sich im Wechsel ein AV-Block I°, ein AV-Block II° Typ Mobitz (2:1-Überleitung) und ein vollständiger AV-Block.

Diagnose und Therapie

In Zusammenschau mit der vorangegangenen Symptomatik vermuten die Ärzte eine Lyme-Borreliose. Sie ordnen deshalb die Durchführung von serologischen Tests an und beginnen eine empirische Antibiose mit Ceftriaxon.

Außerdem planen sie eine Echokardiographie für den folgenden Tag. Doch 12 Stunden nach Aufnahme wird der Patient hypoton und schwitzt stark. Bei einer Herzfrequenz von nur noch 30 Schlägen/hat wies er einen AV-Block II° Typ Mobitz (2:1).

Das Reanimationsteam eilt zum Patienten. Zur Behandlung der Bradykardie erhält er Atropin und Dopamin, um die Zeit bis zum Einsatz eines transvenösen Schrittmachers zu überbrücken. Bevor jedoch mit dem Pacing begonnen wird, entwickelt der Mann Kammerflimmern. Die Ärzte führen daraufhin eine kardiopulmonale Reanimation und Defibrillation durch.

Doch der Zustand des Patienten verschlechtert sich weiter: Es kommt zu einer pulslosen elektrischen Aktivität mit junktionalem Ersatzrhythmus und AV-Block dritten Grades. Trotz Wiederbelebungsmaßnahmen lässt sich keine Rückkehr der spontanen Zirkulation erreichen. Eine extrakorporale Membranoxygenierung wird eingeleitet und ein Herzunterstützungssystem eingesetzt.

Die arterielle Blutgasanalyse zeigt einen erhöhten Laktatspiegel und eine schwere metabolische Azidose. Die Bildgebung weist zudem auf eine schwere anoxische Hirnverletzung hin. Die Chancen auf eine Heilung der neurologischen Schäden schätzen die Ärzte als gering ein.

Nach Gesprächen mit seiner Familie beginnen sie mit einer palliativen Therapie und stellen alle invasiven Maßnahmen ein. Der Mann stirbt 48 Stunden nach der Krankenhausaufnahme.

Diskussion

Die Lyme-Serologie bestätigt schließlich den Verdacht auf eine akute Infektion mit Borrelia burgdorferi. Ebenso sind IgG-Antikörper gegen Anaplasma phagocytophilum, ein weiteres durch Zecken übertragbares Bakterium, nachweisbarAufgrund der Ergebnisse weiterer Untersuchungen (Screening auf Elektrolyt-, Stoffwechsel- und Strukturanomalien, Autoimmunerkrankungen und andere Infektionen) schließen Ärzte andere Ursachen des AV-Blocks aus.

Eine Autopsie zeigt Einblutungen ins kardiale Gewebe sowie interstitielle lymphatische Infiltrationen, die mit einer Lyme-Karditis vereinbar sind. Der PCR-Test an Herzgewebe fällt ebenfalls positiv für Borrelia burgdorferi aus.

Die Autoren des Fallberichts raten aufgrund ihrer Erfahrungen: 

  • Ärzte sollten sich der Möglichkeit einer Lyme-Karditis bei Patienten mit AV-Block bewusst sein, insbesondere, wenn sich diese im Freien in Risikogebieten aufgehalten haben.

  • Bei Verdacht auf eine Lyme-Karditis sollte dringend eine Elektrokardiographie durchgeführt und frühzeitig mit Antibiotika begonnen werden, ohne auf das Ergebnis der serologischen Tests zu warten.

  • Bei Patienten mit Verdacht auf eine Lyme-Karditis sollte eine telemetrische Überwachung über mindestens 24-48 Stunden in Betracht gezogen und die Verfügbarkeit einer transkutanen Stimulation im Falle einer Verschlechterung sichergestellt werden.

  • Ärzte sollten wissen, dass der AV-Block und die Bradykardie bei Patienten mit Lyme-Karditis rasch voranschreiten können, bis hin zum plötzlichen Herztod.

Der Beitrag ist im Original erschienen auf Coliquio.de.

 

Kommentar

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