Heftige Kritik an der Pflegereform von Gesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD). In der 1. Beratung des Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetzes (PUEG) musste der Bundesgesundheitsminister in der vergangenen Woche herbe Kritik einstecken.
Die oppositionelle CDU/CSU pochte auf mehr Unterstützung für die häusliche Pflege. FDP und Linke stellten die Systemfrage. Auch Lauterbach sprach von einem „Wendepunkt“, was die langfristige Finanzierung der Pflegeversicherung angehe und brachte in seiner Rede für die Zukunft die Vollkaskoversicherung und die Bürgerversicherung ins Gespräch. Konsens im Bundestag war: So wie derzeit gehe es mit der Pflege nicht weiter.
Der Gesetzentwurf von SPD, Grünen und der FDP sieht nun unter anderem vor, den allgemeinen Beitragssatz zur Pflegeversicherung zum 1. Juli 2023 um 0,35% auf 3,4% anzuheben. Der Arbeitgeber-Anteil liegt bei 1,7%. Das bedeutet für die Kassen eine Einnahme-Steigerung von 6,6 Milliarden Euro im Jahr. Mit dem Geld soll unter anderem die Pflegesätze für die stationäre und ambulante Pflege angehoben werden.
Man stehe vor schweren finanziellen Herausforderungen, sagte Lauterbach bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs. Immer mehr Menschen müssten gepflegt werden, und sie werden immer länger gepflegt. Außerdem erhielten die Altenpflegerinnen und -pfleger eine bessere Bezahlung. Das kostet. „Die Gründe für die Kostensteigerungen sind Gründe, die wir ausdrücklich begrüßen“, betonte Lauterbach.
Was die langfristige Finanzierung der Pflegeversicherung angeht, sagte der Minister: „Wir stehen an einem Wendepunkt. Das jetzige System kann man nicht dauerhaft weiter so ausbauen. Es muss anders gemacht werden!“ Man müsse über mehr Steuern reden, möglichweise über eine Pflegevollkaskoversicherung und über die Bürgerversicherung, so Lauterbach – „auch diese Diskussion fiele mir nicht schwer“.
Lauterbach: Finanzierung der Pflegeversicherung steht an einem „Wendepunkt“
Politiker der Opposition reagierten mit Zustimmung und Kritik. Erich Irlstorfer von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßte den Entwurf als „Klartext“ und erklärte, es sei wichtig, dass die Pflege öffentlich priorisiert werde. Der CSU-Vertreter erinnerte aber daran, dass 80% der rund 5 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland von ihren Angehörigen gepflegt werde. Diese Arbeit müsse mehr Anerkennung erfahren, forderte Irlstorfer. „Das geht auch Richtung Finanzministerium“, sagte der Politiker. „Wir brauchen mehr Entlastung für die Pflegenden und müssen mehr Geld in die Kurzzeitpflege investieren.“
Diana Stöcker (CDU/CSU) sagte, die pflegenden Angehörigen leisten Unersetzliches. Die häusliche Pflege müsse deshalb Priorität haben, weil die Pflegeheime nicht genug Platz böten für alle Pflegebedürftigen. Stöcker erinnerte an die Zusagen im Koalitionsvertrag der Ampel: Dort habe die Koalition die Entlastung der pflegenden Angehörigen versprochen. „Aber davon können wir im vorliegenden Gesetz nichts erkennen“, sagte Stöcker und forderte wie ihr Parteifreund Irlstorfer „flexible und bürokratiearme Leistungen sowie Kurzzeit-, Tages- und Nachtpflegeangebote.“ Im Übrigen fehlten dem Gesetzentwurf Angebote, die die Pflege zukunftsfest machen, dazu gehöre zum Beispiel die Erprobung von Quartierspflege-Konzepten.
Ates Gürpinar (Linke) bezeichnete die Pflegemisere als das „bitterste Problem“ der Gegenwart, „denn wir reden von Armen, Alten und Schwachen“. Sie alle litten weniger unter dem Armutsrisiko als vielmehr von einer Armutsgarantie. „Sie brauchen mehr Geld“, sagte Gürpinar. Das Versichertensystem sei das Unsozialste, was wir haben, kritisierte der Linken-Politiker und wandte sich zur Regierungsbank: „Und dieses Problem, Herr Lauterbach, gehen Sie nicht an!“
Etwa das Pflegegeld im Rahmen der Reform nach 6 Jahren um 5% zu erhöhen, während die Inflation 17% betrage, sei kein Erfolg. „Und Sie verkaufen 12% minus als Erfolg – das ist lächerlich!“, rief Gürpinar. Er sprach sich für Bürgerversicherung aus. „Privatversicherte sollen Teil der Pflichtversicherung werden. Alle Einkommen-Arten werden einbezogen“, skizzierte der Linken-Politiker.
Lindemann (FDP): „Eigenverantwortung mit keinem Wort erwähnt!“
Einen Systemwechsel forderte auch Lars Lindemann von der FDP-Fraktion. In den öffentlichen Diskussionsbeiträgen Lauterbachs sei die Eigenverantwortung mit keinem Wort erwähnt worden, kritisierte Lindemann.
Er favorisierte denn auch ein anderes als das gegenwärtige Versicherungssystem für die Pflege. Aber der Vorschlag einer Vollkaskopflegeversicherung sei kein sinnvoller Beitrag, sagte Lindemann in Richtung Lauterbach. „Wir reden ständig davon, dass der Staat es regeln soll – dabei wird das Pflegeproblem in dieser Gesellschaft nur lösbar sein, wenn wir bei der Eigenverantwortung der Menschen ansetzen, und dazu hat die FDP Vorschläge“, sagte Lindemann.
So will die Partei die Pflegeleistungen priorisieren. „Und dazu müssen wir fragen, was können wir uns noch leisten, und was können wir uns nicht leisten.“ Es sei für die FDP kein Tabu, über die Erhöhung der Pflegebeiträge zu sprechen. Aber die FDP wolle in einer entsprechenden Kommission darüber sprechen, was die einzelnen Instrumente zu solcher Finanzierung seien.
Für die Grünen sprach Maria Klein-Schmeink. Beim Gesetz gebe es Verbesserungsbedarf sagte Klein-Schmeink. Auch die Grünen-Politikerin betonte die Bedeutung der häuslichen Pflege durch die Angehörigen und der professionellen Unterstützung, die beide mehr berücksichtigt werden müssten. „Und das ist in diesem Gesetz noch nicht so enthalten, wie wir uns das wünschen würden“, sagte Klein-Schmeink.
Zweitens kritisierte die Politikerin: „Wenn die Hälfte der Corona-bedingten Kosten, wie Masken oder Hygieneartikel, nicht aus dem Mitteln der Pflegeversicherung bezahlt worden wären, dann würden wir hier heute überhaupt nicht über Beitragssteigerungen reden müssen“, sagte Klein-Schmeink. Gesamtgesellschaftliche Aufgaben müssten durch Steuermittel bezahlt werden, sagte sie.
Kritik an den geplanten Beitragserhöhungen übte Kay-Uwe Ziegler von der AfD. Die Erhöhung der Lohnnebenosten kurbele die Inflation an, sagte Ziegler. Der Staat habe sich zudem 5 Milliarden Euro an Corona-bedingten Ausgaben vom Beitragszahler finanzieren lassen. Hätte man anders finanziert, „müsste es die von der Bundesregierung geplanten Beitragserhöhung nicht geben“, sagte Ziegler.
Außerdem kritisierte Ziegler die milliardenschweren Ausgaben des Gesundheitsministeriums für die Corona-Folgen. Ziegler: „Die geplante Beitragserhöhung hätte auch locker aus dem aufgeblähten Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums finanziert werden können.“
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Diesen Artikel so zitieren: „So geht´s nicht weiter!“ Herbe Kritik an Lauterbachs Pflegereform – das sind die Forderungen der verschiedenen Lager - Medscape - 3. Mai 2023.
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