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Neuro-Talk: Wichtige Studien zu Schlaganfall, Übergewicht, Rückenschmerzen und Haarausfall als Nebenwirkung

5. Juni 2023

Das sind die Themen von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener: Thrombektomie gewinnt weiter an Bedeutung, Mittel gegen Rückenschmerzen wirken nicht und warum fallen nach CGRP-Antikörpern manchmal die Haare aus?

Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Duisburg-Essen

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen.

Im April 2023 gab es eine ganze Reihe von wichtigen neuen Studien in der Neurologie.

Mechanische Thrombektomie bei schweren Schlaganfällen

Die mechanische Thrombektomie ist eindeutig etabliert im Zeitfenster bis zu 24 Stunden. Die meisten Studien wurden bei Patienten mit mittelschweren Schlaganfällen durchgeführt. Bei Patienten mit sehr schweren Schlaganfällen und großem Infarktvolumen war man bisher sehr zurückhaltend, weil man Angst hatte, dass es in das ischämische Areal nach erfolgreicher Reperfusion einblutet.

Es gibt jetzt aber 2 Studien, die gezeigt haben, dass auch diese Patienten eindeutig von der mechanischen Thrombektomie profitieren. Die erste Studie aus den USA, die SELECT-2-Studie, ist im New England Journal of Medicine publiziert [1]. Hier wurden 352 Patienten eingeschlossen mit einem Alberta Stroke Program Early Computed Tomography(ASPECT) Score zwischen 3 und 5. Sie wurden entweder thrombektomiert oder nur mit Best Medical Care behandelt.

Für die Shift-Analyse der modifizierten Rankin-Skala ergab sich ein eindeutiger Benefit für die Thrombektomie mit einer Odds-Ratio von 1,51. Auch die Zahl der Patienten, die keinerlei funktionelle Einschränkungen hatten, war mit der Thrombektomie 20% versus 7% eindeutig höher. Die Mortalität war identisch und es gab keine Unterschiede bei den intrazerebralen Blutungen.

Die chinesische Studie ANGEL-ASPECT [2] hatte eine höhere Patientenzahl, nämlich 465, auch mit ASPECT-Score 3 bis 5. Hier war die Odds-Ratio für die Shift-Analyse der modifizierten Rankin-Skala nach 90 Tagen 1,37. Es gab etwas mehr intrazerebrale Blutungen bei Patienten nach Thrombektomie.

Das ist deswegen wichtig, weil jetzt ganz eindeutig ist, dass offenbar auch Patienten mit großem Infarkt-Volumen von der Thrombektomie profitieren.

Patienten für Thrombektomie mit CT auswählen

Ein weiterer Aspekt ist, welche Methode man einsetzt, um Patienten zu identifizieren, die für eine Thrombektomie jenseits von 6 Stunden infrage kommen. Das ist bisher die Kernspintomographie mit Diffusions- und Perfusions-gewichteten Sequenzen. Nicht alle Krankenhäuser, die potenziell eine Thrombektomie durchführen können, verfügen über diese Methode rund um die Uhr.

Deswegen hat eine holländische Arbeitsgruppe in der MR-CLEAN-LATE-Studie untersucht, ob man zur Auswahl der Patienten eventuell auch eine CT-Angiographie nehmen kann und dann Patienten einschließt, die gute Kollateralen haben [3].

Das haben sie gemacht und sie haben in einem Zeitfenster von 6 bis 24 Stunden 535 Patienten randomisiert zu Thrombektomie oder Best Medical Care. Es zeigt sich eine eindeutige Überlegenheit der Thrombektomie. Die Mortalität war gleich, die Blutungsrate war etwas höher.

Also auch Krankenhäuser, die nur ein CT und eine CT-Angiographie haben, können Patienten aussuchen, die jenseits von 6 Stunden von einer mechanischen Thrombektomie profitieren.

Statin nach Schlaganfall zur Sekundärprävention

Es wird empfohlen, dass alle Patienten, die eine TIA oder einen ischämischen Insult erlitten haben, ein Statin bekommen. Jetzt gibt es eine große Studie aus dem finnischen Gesundheitssystem, in der fast 60.000 Patienten nachverfolgt wurden, die einen Schlaganfall hatten und ein Rezept über ein Statin bei der Entlassung bekommen hatten [4].

Es zeigte sich, dass etwa 27% der Patienten nach 1 Jahr kein Statin einnahmen. Diese Patienten haben eine deutlich höhere Mortalität, nämlich 7,5% versus 4%, und haben auch eindeutig mehr andere schwerwiegende vaskuläre Ereignisse.

Leider kann diese Studie nicht beantworten, warum die Patienten keine Statine eingenommen haben, beispielsweise ob sie wegen Nebenwirkungen abgebrochen haben. Aber das zeigt noch einmal, wie wichtig es ist zu kontrollieren, ob die Patienten nach einem ischämischen Schlaganfall auch mit Statinen behandelt werden.

Übergewicht und kognitive Einschränkungen

Die nächste Studie fand ich schon sehr verstörend. Diese Studie hat quantitativ Hirnvolumina gemessen und im PET die Ablagerung von Tau-Protein und Beta-Amyloid, und zwar bei verschiedenen Gruppen [5]. Es war eine große Studie mit 1.300 Teilnehmern, und zwar Menschen mit normalem Gewicht, Menschen mit Alzheimer, Menschen mit Übergewicht und Patienten mit Untergewicht.

Diese Studie zeigt erschreckenderweise, dass Patienten mit ausgeprägtem Übergewicht und normaler Kognition dasselbe Ausmaß von Hirnatrophie haben wie Alzheimer-Patienten. Sie haben allerdings keine Ablagerung von Beta-Amyloiden und von Tau-Protein.

Das ist deswegen erschreckend, weil das ein Hinweis dafür sein könnte, dass Übergewicht auf lange Sicht auch zu kognitiven Einschränkungen führt.

COVID-19-Impfung bei MS

Die nächste Studie beschäftigt sich mit der Frage, ob Patienten mit MS gegen COVID-19 geimpft werden können. Das ist eine Übersichtsarbeit mit 19 Beobachtungsstudien und über 14000 MS-Patienten, publiziert im Multiple Sclerosis Journal[6]. Die Studie zeigt, dass MS-Patienten kein erhöhtes Risiko haben, nach einer COVID-19-Impfung einen MS-Schub zu bekommen.

Analgetika bei Rückenschmerzen

In einer riesigen Studie im British Medical Journal wurde mit 15.134 Teilnehmern mit unspezifischen Rückenschmerzen aus 96 Studien die Wirksamkeit und Sicherheit von 69 verschiedenen Medikamente untersucht [7].

Es stellte sich heraus, dass fast keines dieser Medikamente wirklich wirksam ist oder dass der Nachweis der Wirksamkeit gelingt. Am besten hat noch Pregabalin abgeschnitten. Das heißt aber nicht, dass diese Medikamente nicht wirksam sind, sondern es gibt einfach viel zu wenig gute Studien für diese Population.

Alopezie unter CGRP-Antikörpern

Ganz zum Schluss ein kurzer Hinweis aus Cephalalgia[8]. Monoklonale Antikörper gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor können nicht nur Verstopfung auslösen. Es gibt eine neue Nebenwirkung. Sie ist selten, aber bitte achten Sie darauf: Es kann auch zu Haarausfall kommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt doch einiges Neue im April 2023 in der Neurologie.

Ich bin Christoph Diener von der Universität Duisburg-Essen und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
 

Kommentar

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