Die Studien mit Lecanemab und Donanemab sorgen für “viel Aufregung”. Prof. Dr. Hans-Christoph Diener bewertet die Therapieoptionen für Alzheimer-Patienten und Probleme, die noch gelöst werden müssen.
Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Duisburg-Essen
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen.
Heute möchte ich aus aktuellem Anlass über neue Therapieansätze beim Morbus Alzheimer berichten.
Sie wissen, dass bis vor kurzem alle Therapiestudien bei Morbus Alzheimer negativ ausgegangen waren. Initial wurde versucht, mit kleinmolekularen Substanzen Neurotransmitter zu beeinflussen. Dann begann eine Entwicklung mit monoklonalen Antikörpern gegen verschiedene Komponenten von Beta-Amyloid.
Ganz klar war auch, dass eine Therapie früh beim beginnenden Alzheimer ansetzen muss, weil in späteren Stadien die Krankheit wahrscheinlich nicht mehr verlangsamt werden kann oder reversibel ist.
Clarity-AD- Studie mit Lecanemab
Es gibt jetzt 2 aufregende neue Studien. Eine kennen sie schon, die Lecanemab-Studie, die im Januar 2023 im New England Journal of Medicine publiziert worden ist [1]. In dieser Studie wurden 1.795 Patienten mit milder Demenz randomisiert alle 2 Wochen mit Lecanemab i.v. (10 mg/kg Körpergewicht) oder Placebo für 18 Monate behandelt.
Diese Studie war im primären und allen sekundären Endpunkten positiv. Im primären Endpunkt zeigte sich eine 27%ige Verlangsamung der Verschlechterung der kognitiven Funktionen im Vergleich zu Placebo.
Viel eindrucksvoller waren die Amyloid-PET-Untersuchungen, die zeigten, dass das Amyloid bei 2 von 3 Studienteilnehmern nach 18 Monaten praktisch verschwunden war.
Typische Nebenwirkungen waren zu beobachten durch Entzündungsreaktionen der Gefäße. Man nennt sie Amyloid-Related Imaging Abnormalities (ARIA). Sie manifestieren sich in der Bildgebung im MRT entweder als Hirnödem als Mikroblutungen. Dies waren 21,5% mit Lecanemab versus 9,5% mit Placebo, aber nur 3,5% der Patienten hatten überhaupt Symptome.
Nach Beendigung der Studie traten 3 Todesfälle auf, 1 unter Antikoagulation und 2 bei Thrombolyse.
TRAILBLAZER-Studie mit Donanemab
Neu ist, dass Lilly am 3. Mai 2023 die Ergebnisse der Donanemab-Studie TRAILBLAZER-ALZ 2 verkündet hat [2]. Sie hat dieselben Einschlusskriterien wie die Lecanemab-Studie und 18 Monate Beobachtungszeit. 47% der Teilnehmer mit milder Alzheimer-Erkrankung zeigten keine Verschlechterung kognitiver Funktionen verglichen mit 29% unter Placebo. Auch hier gab es positive Ergebnisse für die sekundären Endpunkte. ARIA, wie Ödeme (24% versus 6%) und Mikroblutungen (31% gegen 12%), wurden ebenfalls beobachtet.
Viele ungelöste Fragen
Nun haben wir 2 positive Studien, aber sehr viele ungelöste Fragen.
1. Ist der Unterschied in den kognitiven Funktion nach 18 Monaten klinisch bedeutsam und wird er mit längerer Behandlungsdauer eventuell stärker?
2. Sind die Ergebnisse nur für beginnenden Alzheimer valide und wann müsste die Behandlung möglicherweise beendet werden, wenn die Erkrankung fortschreitet.
3. Für die Diagnosestellung müssen entweder ein Amyloid-PET, ein Tau-PET oder Biomarker im Liquor vorliegen. Das wird wahrscheinlich in Zukunft durch Biomarker im Serum abgelöst werden.
4. Die Therapieüberwachung ist aufwändig, weil alle 3 Monate wegen ARIAs ein MRT erforderlich ist.
5. Welche Patienten kommen wegen potenzieller Nebenwirkungen nicht in Betracht? Wahrscheinlich sind dies Patienten, die antikoaguliert sind, Patienten mit Mikroblutungen und Patienten mit APO-E-Genotyp.
6. Die Kosten in den USA liegen im Moment geschätzt bei 26.500 US-Dollar pro Jahr. So hoch sind auch die Kosten einiger immunmodulatorische Therapien bei der MS. Frage ist natürlich, ob ein Gesundheitssystem sich diese Kosten überhaupt leisten kann.
Weitere Therapieansätze
Ganz aufregend ist ein weiterer neuer Therapieansatz, und zwar mit einem Tau-targeting antisense Oligonukleotid MAPTRX. Publiziert ist in Nature Medicine eine Dosis-Findungs-Studie mit intrathekaler Anwendung alle 4 oder 12 Wochen [3]. In der kleinen Studie erhielten 34 Patienten Verum, 12 Placebo.
Nach 12 Wochen zeigt sich eine eindrucksvolle Reduktion von Tau im PET. Die Studie ist natürlich zu klein und zu kurz für klinische Endpunkte.
Jetzt stellt sich die Frage, ob man in Zukunft möglicherweise Kombinationen von Antikörpern gegen Beta Amyloide und Antisense-Oligonukleotiden gegen Tau-Protein einsetzen muss, weil die Reduktion von Beta-Amyloiden nur 50% des Therapieerfolges voraussagen würde.
Nicht vergessen dürfen wir, welche wichtige Rolle die Behandlung vaskulärer Risikofaktoren und ein gesunder Lebensstil für die Prognose der Alzheimer-Erkrankung bedeutet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind aufregende Zeiten, weil es zum ersten Mal doch Hinweise dafür gibt, dass der Beginn der Alzheimer-Erkrankung behandelt und der Abbau der kognitiven Funktion möglicherweise verlangsamt werden kann.
Ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Diesen Artikel so zitieren: Neuro-Talk: Alzheimer kann man erstmals bremsen – was die 2 neuen Antikörper bringen und was sie kosten. Eine Einschätzung - Medscape - 30. Mai 2023.
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