Wiesbaden – Längst ist es nicht mehr ungewöhnlich, wenn Kardiologen oder Nephrologen sich aus dem Medikamentenschatz der Diabetologie bedienen. Aber auch in der Diabetologie selbst finden sich zunehmend Indikationen, in denen eine Therapie ohne Diabetes mellitus Sinn ergibt. Beim 129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin in Wiesbaden gaben Experten einen Überblick [1].
SGLT2-Inhibitoren bei HFrEF-Patienten
Geht es um Medikamente, die für die Diabetestherapie entwickelt wurden, mittlerweile aber weit darüber hinaus eingesetzt werden, stehen SGLT2-Inhibitoren an 1. Stelle – etwa in der Kardiologie.
„Bei der Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) wurden die SGLT2-Inhibitoren schon in der Leitlinie 2021 mit einem wichtigen Stellenwert versehen“, sagte Prof. Dr. Stefan Frantz, Direktor der Medizinischen Klinik I am Universitätsklinikum Würzburg und Geschäftsführender Vorstand des Deutschen Zentrums für Herzinsuffizienz.
Sowohl Dapagliflozin als auch Empagliflozin verringerten in großen Outcome-Studien Endpunktereignisse signifikant – unabhängig vom Diabetesstatus der HFrEF-Patienten. Und die SGLT2-Inhibition beeinflusste den kombinierten Endpunkt aus Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz sowie kardiovaskuläre Todesfälle bereits innerhalb von 30 Tagen. „Es ist also wichtig, die Substanzen früh einzusetzen“, betonte Frantz.
„Der frühe Effekt der SGLT2-Inhibition auf Endpunktereignisse hat zu einem Umdenken geführt“, so Frantz. „Während wir früher die einzelnen Substanzen langsam nach oben titriert haben, definiert die Leitlinie heute 5 Substanzen, die mit einer Klasse-I-Empfehlung sofort eingesetzt werden können, darunter die SGLT2-Inhibitoren.“
Therapieoption bei HFpEF mit Effekt auf das Outcome
Im Gegensatz zur HFrEF gab es für HF-Patienten mit erhaltener Ejektionsfraktion (HFpEF) lange Zeit keine Behandlungsoptionen, die etwas an den Outcomes geändert hätten. Was bei HFrEF gut wirkte, hatte bei ihnen keinen Effekt. „Das hat sich in den letzten Monaten geändert“, betonte Frantz.
Neue Studien zeigten, dass sich mit Empagliflozin und Dapagliflozin Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz bzw. Verschlechterungen der Herzinsuffizienz signifikant verringern lassen. Frantz ergänzte, dass der Effekt unabhängig vom Präparat und von der Pumpfunktion sei.
„In der europäischen Leitlinie finden sich SGLT2-Inhibitoren bei HFpEF noch nicht, da bei ihrer Erstellung diese Studien noch nicht publiziert waren. Aber ich gehe davon aus, dass dieser Punkt im Update, das dieses Jahr kommen soll, berücksichtigt werden wird“, so Frantz. „Die SGLT2-Inhibition erlaubt uns erstmals, HFpEF-Patienten mit einer Therapie zu versorgen, die signifikant zur Reduktion kardiovaskulärer Endpunkte beiträgt.“
Auch die Niere profitiert
Doch das Herz ist keineswegs das einzige Organ, das von einer Diabetestherapie auch ohne bestehende Diabeteserkrankung profitieren kann. In den Zulassungsstudien zeigte sich, dass Dapagliflozin und Empagliflozin die Verschlechterung einer chronischen Nierenerkrankung (CKD) sowie renale Todesfälle signifikant reduzieren können. Ob Patienten Diabetes hatten, war für den Effekt nicht relevant.
„Diese Substanzen wirken für unsere Patienten mit Niereninsuffizienz tatsächlich prognoseverbessernd“, sagte Prof. Dr. Felix Mahfoud, Leitender Oberarzt der Klinik für Innere Medizin III - Kardiologie, Angiologie und internistische Intensivmedizin des Universitätsklinikums des Saarlandes in Homburg/Saar. „Wir sollten sie frühzeitig zum Einsatz bringen, um Patienten mit hohem Progressionsrisiko zu schützen.“
Frühzeitiger Einsatz bei CKD bremst Verschlimmerung
Der frühzeitige Einsatz ist wichtig, da sich in den Studien auch zeigte, dass SGLT2-Inhibitoren auch im Bereich Nephroprotektion ihre Wirkung schnell entfalten. Schon nach 20-28 Tagen traten in den mit SGLT2-Inhibitoren behandelten Gruppen weniger primäre Endpunktereignisse auf als in der Placebogruppe. „Bereits nach weniger als 4 Wochen sehen wir, dass wir unseren Patienten mit diesen Substanzen etwas Gutes tun“, betonte Mahfoud.
Allerdings wird die Nierenerkrankung bei 1 von 4 Patienten mit CKD noch immer zu spät entdeckt. „Unser Ziel muss sein, diese Patienten möglichst früh, noch bevor die CKD mit einer Abnahme der eGFR zu Tage tritt, zu identifizieren“, sagte Mahfoud und riet dazu, nicht nur die eGFR, sondern auch die Albumin-Kreatinin-Rate (UACR) zu bestimmen.
Die UACR als Surrogatmarker der Albuminausscheidung zeigt frühe Nierenschäden mit höherer Sensitivität an. Als Grenzwert gilt eine UACR > 30 mg/g. Dadurch kann eine CKD auch bei jüngeren Patienten detektiert werden, die noch keine Abnahme der eGFR zeigen.
„Die Progression der Nierenerkrankung, gegen die wir früher nicht viel unternehmen konnten, ist heute ein adressierbarer Endpunkt“, sagte Mahfoud. Erreichbar sei ein nephroprotektiver Effekt von 2-3 ml/min/1,73m2geringerer Abnahme der eGFR.
Keine guten Argumente gegen SGLT2-Inhibition bei CKD
Er ergänzte, dass sich die Therapie mit SGLT2-Inhibitoren als sicher erwiesen habe. Argumente gegen eine SGLT2-Inhibition, die von manchen Ärztinnen und Ärzten angeführt werden, wie akutes Nierenversagen (AKI), Hypertonie oder Volumendepletion ließ er nicht gelten. „Eine Metaanalyse mit 10.000 Patienten aus 5 randomisiert-kontrollierten Studien zeigt, dass AKI unter SGLT2-Inhibition sogar etwas seltener ist, während das Risiko für Hypertonie oder Volumendepletion unverändert bleibt.“
In Kombination mit RAS-Hemmern können SGLT2-Inhibitoren zudem additive Effekte entfalten. In einer im vergangenen Jahr publizierten Studie profitierten nicht-diabetische Patienten mit albuminurischer CKD von einer Kombinationsbehandlung mit SGLT2-Inhibitoren und RAS-Hemmern.
Es wurde nicht nur der primäre Endpunkt aus Verdopplung des Kreatinins, eGFR < 15 ml/min/1,73m2, Dialyse, Transplantation und Tod um 65% reduziert, die Patienten lebten auch signifikant länger. „Ein Patient, der 50 Jahre alt ist, gewinnt durch die additiven Effekte der beiden Therapien zusätzliche 7 Jahre an Lebenszeit“, berichtete Mahfoud.
Diabetestherapie für Nicht-Diabetiker auch beim Diabetologen
Prof. Dr. Matthias Laudes, der am Campus Kiel des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein den Bereich Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährungsmedizin leitet, wies darauf hin, dass es auch in der Diabetologie eine Indikation für diese Medikamente außerhalb des Diabetes gebe: „Moderne Diabetestherapeutika haben positive Effekte über den Diabetes hinaus, da spielt der Blutzucker gar keine Rolle mehr.“
Die Aufteilung des Diabetes mellitus in Typ-1-Diabetes und Typ-2-Diabetes gilt seit einigen Jahren zunehmend als überholt. „Man hat festgestellt, dass sich die Verläufe von Patienten mit Typ-2-Diabetes so unterschiedlich sind, dass eine Unterteilung des Diabetes in mehr Subgruppen sinnvoll ist“, sagte Laudes.
Schwedische Forscher identifizierten durch eine Cluster-Analyse anhand von 6 Variablen 5 Diabetes-Subtypen, die sich in ihren Verläufen und Risiko für Folgeerkrankungen unterschieden.
Es zeigte sich, dass einer dieser Subtypen, der schwer insulinresistente Diabetes (SIRD), ein besonders hohes Risiko hat, eine diabetische Nephropathie zu entwickeln. „SIRD-Patienten haben bereits bei Diagnosestellung eine angeschlagene Nierenfunktion“, sagte Frantz. „Das bedeutet, dass wir als Diabetologen bei diesem Subtyp schon im Stadium des Prädiabetes mit einer nephroprotektiven Therapie beginnen sollten. Damit hat künftig auch der Diabetologe eine Indikation für die Therapie mit einem SGLT2-Inhibitor unabhängig von einem manifesten Diabetes.“
Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass SGLT2-Hemmer auch bei einer metabolischen Lebererkrankung (MeSH) von Nutzen sein könnten.
Hype um Antidiabetika für die Adipositastherapie
„Aber es gibt auch noch andere Diabetesmedikamente, die wir außerhalb des Diabetes bzw. im Stadium des Prädiabetes einsetzen können, um Diabetes und Folgeerkrankungen zu verhindern, etwa GLP-1-Agonisten (Inkretinmimetika)“, sagte Frantz.
Auch sie haben einen Nutzen bei MeSH gezeigt, doch vor allem die moderne Adipositastherapie bedient sich Inkretin-basierter Therapien aus der Diabetologie. Ein regelrechter Hype sei mittlerweile – insbesondere in den USA – um Semaglutid als Abnehmmittel ausgebrochen, so Frantz. Bei Nahrungsaufnahme warnen GLP-1-Agonisten die Betazellen vor, so dass sie bereits Insulin produzieren, noch bevor der Glukosespiegel ansteigt, aber sie wirken auch im Gehirn und verstärken dort das Sättigungsgefühl. „Das verursacht die Gewichtsreduktion“, so Frantz.
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Diesen Artikel so zitieren: Zwischen Hype und Hoffnung: Was Antidiabetika außerhalb der Diabetestherapie wirklich leisten - Medscape - 28. Apr 2023.
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