Bei seiner Sitzung im April hat der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) 7 Medikamente zur Zulassung empfohlen, darunter das 1. Vakzin gegen Infektionen mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) bei Menschen ab 60 Jahren. Grünes Licht gab es auch für 3 Orphan Drugs [1]. Indikationen für ein COVID-19-Vakzin und für eine COVID-19-Therapie wurden ebenfalls erweitert.
Arexvy® gegen RSV-Infektionen
Der EMA-Ausschuss hat eine Marktzulassung für Arexvy® (rekombinant, adjuvant) empfohlen. Es handelt sich um den 1. Impfstoff zum Schutz von Erwachsenen ab 60 Jahren gegen Erkrankungen der unteren Atemwege, welche durch das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) verursacht werden.
RSV ist ein weit verbreitetes Atemwegsvirus, das in der Regel leichte, erkältungsähnliche Symptome verursacht. Die meisten Menschen erholen sich innerhalb von 1 bis 2 Wochen, aber RSV kann bei gefährdeten Menschen, einschließlich älterenr Erwachsenen und Menschen mit Lungen- oder Herzkrankheiten oder Diabetes, schwerwiegende Folgen haben. In Europa verursacht RSV jedes Jahr schätzungsweise 250.000 Krankenhausaufenthalte und 17.000 Todesfälle bei Menschen ab 65 Jahren.
Arexvy® enthält eine modifizierte Version des RSV-Fusionsoberflächenglykoproteins. Dieses Protein ist für die Infektion des Körpers mit RSV unerlässlich und stellt auch das Hauptziel von Antikörpern dar, die zur Bekämpfung der Infektion gebildet werden. Der Impfstoff enthält auch ein Adjuvans, um die Immunreaktion zu verstärken.
Die Stellungnahme stützt sich auf die Daten einer randomisierten, placebokontrollierten Studie an 25.000 Erwachsenen aus 17 Ländern. Ergebnisse zeigten einen Schutz von schätzungsweise 83% gegen RSV-bestätigte Erkrankungen der unteren Atemwege für mindestens 6 Monate. Die am häufigsten gemeldeten Nebenwirkungen waren Kopfschmerzen, Müdigkeit, Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen und Schmerzen an der Injektionsstelle.
Die Studie ist noch nicht abgeschlossen. Sie soll dazu dienen, die Wirksamkeit einer Einzeldosis Arexvy® über mehrere Jahre und die Notwendigkeit einer Auffrischungsimpfung zu bewerten sowie die Sicherheit zu überwachen.
Camzyos® (Mavacamten) bei Kardiomyopathie
Grünes Licht gab der Ausschuss ebenfalls für Camzyos® (Mavacamten), einem Präparat zur Behandlung der symptomatischen obstruktiven hypertrophen Kardiomyopathie. Bei der Erkrankung verdickt sich der Herzmuskel, und dem Herzen fällt es schwerer, Blut zu pumpen.
Mavacamten wirkt als reversibler kardialer Myosin-Inhibitor. Durch Modulation der Anzahl der Myosinköpfe, die in einen energieerzeugenden Zustand übergehen können, hemmt Camzyos das kardiale Myosin und normalisiert so die Kontraktilität des Herzmuskels, verringert die Obstruktion des linksventrikulären Ausflusstrakts und verbessert den Füllungsdruck des Herzens.
Die Vorteile von Camzyos®, die in 2 randomisierten, placebokontrollierten Phase-3-Studien nachgewiesen wurden, sind eine Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit (gemessen an der pVO2max) und ein geringerer Bedarf an einer Therapie zur Verkleinerung des Septums, jeweils im Vergleich zu Placebo. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Schwindel, Dyspnoe, systolische Dysfunktionen und Synkopen.
Columvi® (Glofitamab) beim diffusen großzelligen B-Zell-Lymphom
Ein positives Gutachten wurde für Columvi® (Glofitamab) zur Behandlung des diffusen großzelligen B-Zell-Lymphoms abgegeben, einer aggressiven Form des Non-Hodgkin-Lymphoms.
Bei Glofitamab handelt es sich um einen monoklonalen, bispezifischen Antikörper. Durch die gleichzeitige Bindung an CD20 auf B-Zellen und CD3 auf T-Zellen vermittelt Glofitamab die Bildung einer immunologischen Synapse mit nachfolgender Aktivierung und Proliferation der T-Zellen, Sekretion von Zytokinen und Freisetzung zytolytischer Proteine, was zur Lyse von CD20-exprimierenden B-Zellen führt.
Der Nutzen von Columvi® zeigte sich bei einer offenen multizentrischen Studie bei Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom. Die häufigsten Nebenwirkungen sind das Zytokinfreisetzungssyndrom, Infektionen, Neutropenie, Anämie, Thrombozytopenie, Kopfschmerzen, Verstopfung, Durchfall, Übelkeit, Hautausschlag, Fieber, Hypophosphatämie, Hypomagnesiämie, Hypokalzämie und Hypokaliämie.
Jaypirca® (Pirtobrutinib) beim Mantelzell-Lymphom
Jaypirca® (Pirtobrutinib) erhielt vom CHMP eine positive Stellungnahme für die Behandlung des rezidivierten oder refraktären Mantelzell-Lymphoms.
Pirtobrutinib ist ein reversibler Inhibitor der Bruton-Tyrosinkinase. Das Enzym ist an der Aktivierung von Signalwegen beteiligt, welche für die Vermehrung, den Transport, die Chemotaxis und die Adhäsion von B-Zellen notwendig sind.
Jaypirca® kann bei Patienten mit rezidiviertem und refraktärem Mantelzell-Lymphom ein Ansprechen bewirken. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Müdigkeit, Neutropenie und Durchfall.
Opfolda® (Miglustat) bei Morbus Pompe
Der Ausschuss empfahl Opfolda® (Miglustat) zur Behandlung der Glykogenspeicherkrankheit Typ II (Morbus Pompe) in Kombination mit Cipaglucosidase alfa.
Die Pompe-Krankheit ist eine seltene genetische Störung. Bei Patienten ist der Körper nicht in der Lage, Glykogen abzubauen, was zu einer fortschreitenden Anhäufung der Substanz führt. Es kommt zu einer Vielzahl von Symptomen, darunter eine Vergrößerung des Herzens, Atembeschwerden und Muskelschwäche.
Daten zur Zulassung wurden als Hybridantrag eingereicht, der sich zum Teil auf präklinische und klinische Daten eines bereits zugelassenen Referenzprodukts und zum Teil auf Ergebnisse neuer Studien stützt.
Der Wirkstoff von Opfolda® ist Miglustat, ein pharmakokinetischer Enzymstabilisator, der während der Infusion selektiv an Cipaglucosidase alfa im Blut bindet und den Verlust der Enzymaktivität während der Zirkulation minimiert.
Miglustat stabilisiert Cipaglucosidase alfa, eine rekombinante, humane, saure α-Glucosidase, wenn es bei Patienten mit Morbus Pompe im Spätstadium verabreicht wird. Als häufigste Nebenwirkung nennt der CHMP Verstopfung.
Generika: Sugammadex Piramal® (Sugammadex) als Antidot gegen Muskelrelaxanzien
Für Sugammadex Piramal® (Sugammadex), ein Generikum zur Aufhebung einer durch Rocuronium oder Vecuronium ausgelösten neuromuskulären Blockade bei Erwachsenen, wurde ebenfalls eine positive Stellungnahme abgegeben.
Rocuronium und Vecuronium sind Muskelrelaxantien, die bei bestimmten Operationen, die eine Vollnarkose erfordern, eingesetzt werden. Sugammadex wird eingesetzt, um die Erholung von der Wirkung des Muskelrelaxans zu beschleunigen.
Sugammadex Piramal® ist ein Generikum von Bridion®, das seit dem 25. Juli 2008 in der EU zugelassen ist. Studien haben die zufriedenstellende Qualität nachgewiesen. Da Sugammadex Piramal® intravenös verabreicht wird und zu 100% bioverfügbar ist, war eine Bioäquivalenzstudie gegenüber dem Referenzprodukt nicht erforderlich.
Empfehlungen zur Erweiterung der Indikation – auch bei COVID-19
Der Ausschuss empfahl 11 Indikationserweiterungen für Arzneimittel, die in der Europäischen Union (EU) bereits zugelassen sind. Die neuen Indikationen im Überblick.
Adempas® (Riociguat) ist jetzt auch zur Behandlung der pulmonalen arteriellen Hypertonie bei pädiatrischen Patienten unter 18 Jahren und einem Körpergewicht ≥ 50 kg mit WHO-Funktionsklasse (FC) II bis III in Kombination mit Endothelin-Rezeptor-Antagonisten indiziert.
Bimzelx® (Bimekizumab) kann eingesetzt werden für Erwachsene mit aktiver, nicht radiologischer axialer Spondyloarthritis mit objektiven Entzündungszeichen, die unzureichend auf nicht-steroidale entzündungshemmende Medikamente (NSAIDs) angesprochen haben oder diese nicht vertragen. Hinzu kommen Erwachsene mit aktiver ankylosierender Spondylitis, die auf eine konventionelle Therapie nur unzureichend angesprochen haben oder diese nicht vertragen. Allein oder in Kombination mit Methotrexat kann das Medikament auch bei aktiver Psoriasis-Arthritis bei Erwachsenen, die unzureichend auf ein oder mehrere krankheitsmodifizierende Antirheumatika (DMARDs) angesprochen haben oder diese nicht vertragen, verordnet werden.
Cosentyx® (Secukinumab) eignet sich auch zur Behandlung der aktiven mittelschweren bis schweren Hidradenitis suppurativa (Acne inversa) bei Erwachsenen mit unzureichendem Ansprechen auf eine konventionelle systemische Therapie.
Opdivo® (Nivolumab), bereits als Melanomtherapie für Erwachsene zugelassen, wird nun auch für Kinder ab 12 Jahren empfohlen.
Orkambi® (Lumacaftor/Ivacaftor) zur Behandlung von Mukoviszidose darf pädiatrischen Patienten ab 1 Jahr (vorher ab 2 Jahren) verabreicht werden.
Revestive® (Teduglutid) ist indiziert für die Behandlung von Patienten mit Kurzdarmsyndrom (SBS) im Alter von 4 Monaten statt 1 Jahr.
Ronapreve® (Casirivimab/Imdevimab) darf künftig auch zur Behandlung von COVID-19 bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 12 Jahren, die mindestens 40 kg wiegen und zusätzlichen Sauerstoff erhalten und bei denen der SARS-CoV-2-Antikörpertest negativ war, eingesetzt werden.
Spikevax® bivalent Original/Omicron BA.4-5 ist indiziert für die aktive Immunisierung zur Vorbeugung von COVID-19 bei Personen ab 6 Jahren (zuvor ab 12 Jahren), die mindestens 1 Grundimmunisierung erhalten haben.
Vemlidy® (Tenofoviralafenamid) dürfen Ärzte künftig auch bei chronischer Hepatitis B bei pädiatrischen Patienten ab 6 Jahren und einem Gewicht von mindestens 25 kg (zuvor ab 12 Jahren, ab 35 kg) verordnen.
Yervoy® (Ipilimumab) ist als Monotherapie oder in Kombination mit Nivolumab indiziert zur Behandlung des fortgeschrittenen (nicht resezierbaren oder metastasierten) Melanoms bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 12 Jahren.
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Medscape Nachrichten © 2023 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: EMA: Neue Empfehlungen – u.a. RSV-Impfstoff für Ältere, neue Therapien in der Hämatologie und COVID-19-Updates - Medscape - 27. Apr 2023.
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